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Böse Energie. Flugblatt gegen Robespierre, Radierung von 1793. Foto: p-a/akg

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Debatte: Die Freiheit und ihr Gegenteil

Gibt es einen Faschismus der Aufklärung? Der Islamwissenschaftler Stefan Weidner wirft seinen "islamophoben" Gegnern einen "Aufklärungsfaschismus" vor. Eine Antwort auf seinen Beitrag in der "Süddeutschen Zeitung".

In Deutschland gibt es – nicht nur Jürgen Habermas sei Dank – ein Ideal des öffentlichen Diskurses. Zwar sind seine tatsächlichen Formen galaxieenweit entfernt von allen diskursethischen Modellen einer Herrschaftsfreiheit. Aber wie bei fast sadistischer Auskostung vermeintlicher Widersprüche Debatten immer wieder im Vorwurf des Ideologischen kulminieren, ist immer wieder betrüblich. Der Islamwissenschaftler Stefan Weidner wirft in der „Süddeutschen Zeitung“ vom Montag seinen „islamophoben“ Gegnern einen „Aufklärungsfaschismus“ vor, den er wie folgt versteht: „Man darf, ja soll darüber streiten, ob eine Dialektik der Aufklärung, wie Horkheimer und Adorno sie skizziert haben, wirklich existiert. Ist aber nur ein Teil ihrer Thesen zutreffend, rückt die Vorstellung von einem Faschismus der Aufklärung aus dem Bereich begrifflicher Absurdität in denjenigen der Denkbarkeit.“

Auf diesem gleichsam epochalen Niveau der Debatte sollte man auch darauf verweisen, dass Weidners Rhetorik leider verrät, welches Verhältnis er zu den von ihm ins Spiel gebrachten Texten und Traditionen hat. Adorno und Horkheimer haben nichts „skizziert“; wenn, dann könnte man sagen, dass sie das Gewicht der Welt ihrer Zeit getragen und daraus ihren Text geschmiedet haben. Was Weidner da so dunkel raunend suggeriert, dass es nämlich einen „Aufklärungsfaschismus“ gebe – das ist, mit Verlaub, das europäische Thema seit dem Terror der Französischen Revolution. Schon Schiller dekonstruierte den Begriff „Freiheit“ in seiner berühmten Elegie. Und alle, aber auch alle europäischen Intellektuellen, die auf sich hielten, haben sich bei Gelegenheit dazu geäußert.

Das Problem des Aufklärungsfaschismus wurde – um eine zweihundertjährige Debatte in drei Sätzen grob zusammenzufassen – so erklärt: Die unveräußerlichen politischen Werte der Aufklärung, darunter Frieden, bürgerliche Rechte und unzensierte Öffentlichkeit, können Energien freisetzen, die zur Außerkraftsetzung eben dieser Werte führen – ganz praktisch, innerhalb weniger Monate in Form der terreur.

Das ist ein konkretes Problem, aber etwas ganz anderes, als es Adorno/Horkheimer mit ihrer „Dialektik der Aufklärung“ im Sinn hatten: Es ging ihnen nie um eine Dialektik dieser konkreten politischen Forderungen, sondern um eine Regression der Vernunft aufs Niveau einer falschen Mythologie. Weidner jedoch vermischt eine vulgärphilosophische Debatte über Rationalität und Irrationalität mit der Debatte um Aufklärung und Faschismus und wirft seinen Gegnern Verblendung vor. Das ist, auf Religion bezogen, schon deshalb unredlich, weil alle Anwälte der Aufklärung von Erasmus von Rotterdam bis zu Karl Popper und sogar Peter Sloterdijk darauf beharren, dass Religionsfriede am besten durch neutrale Ordnungspolitik geregelt werden kann.

Aufklärungsgeschichte und Säkularisationsgeschichte waren nie dasselbe. Aufklärer garantieren die freie Entfaltung der Religionen auf der Grundlage eines in religiösen Dingen neutralen Gesetzessystems. Säkularisierer kapern Kirchenbesitz und betreiben Religionskritik. Das hat miteinander zu tun, ist aber ganz und gar nicht deckungsgleich. Weidner nun tut so, als sei die Aufklärung eine Struktur, die jederzeit in Faschismus umschlagen könne. Selbst Immanuel Kant, der bis zuletzt auf dem katholischen Index stand, bezeichnete sein Projekt, was die göttlichen Dinge anbelangte, als Platzmachen für „den Glauben“. Weidners Verhältnis zur Tradition der Aufklärung ist so gebrochen, dass er darüber gleich auch ihre Wurzeln in der islamischen Ökumene und Philosophie vergessen zu haben scheint. Marius Meller

Marius Meller

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