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Isabel Fargo Cole, die zehn Jahre lang die Berliner Literaturzeitschrift „No Man’s Land“ mit herausgegeben hat.

© Simona Lexau

DDR-Roman von Isabel Fargo Cole: Der Harz am rechten Fleck

Poetische Landnahme: Isabel Fargo Coles atmosphärisch dichter Roman „Die grüne Grenze“ über das Leben im DDR-Teil des Harzes.

Julius Cäsar, Tacitus und Plinius der Ältere waren die ersten Ausländer, die in ihren Schriften von den Wundern des Harzes kündeten. Auf den Kämmen des deutschen Mittelgebirges wollten die Römer knielose Elche gesichtet haben, die sich zum Schlafen an die Bäume lehnten, oder Vögel, deren Gefieder nachts leuchte wie Feuer.

Eine ähnlich starke Faszination muss der Herzynische Wald, wie der Harz nach der germanischen Überlieferung genannt wird, auch auf die amerikanische Wahlberlinerin Isabel Fargo Cole ausgeübt haben. Die Namen der Dörfer Sorge und Elend gingen der aus Galena/Illinois stammenden Germanistikstudentin nach einem Wanderurlaub nicht mehr aus dem Kopf. „Die grüne Grenze“ heißt ihr Debütroman, den sie in traumsicherem Deutsch geschrieben hat. Sie pflegt einen elegischen, versonnenen Stil, der Seltenheitswert hat: „Das Dorf Sorge liegt im Tal wie ein am Überhang stehen gebliebener Zug. Westlich der Eisenbahnbrücke ziehen sich die Waldhänge leicht zusammen, schon die Auen sind von einem undurchdringlichen Grün, wie auf einem gemalten Bild; nur ein Kind will wissen, was hinter einem Bild steckt.“

Recherche im Landesarchiv Sachsen-Anhalt

Der atmosphärisch dichte Zeitroman setzt 1973, dem Geburtsjahr der Autorin, im einstigen DDR-Teil des Harzes ein und endet 1987. Besonders interessiert Isabel Fargo Cole, wie in der DDR amerikanische Phänomene reflektiert wurden. Anfang der 1970er Jahre gab sich sich der relativ konsolidierte Staat dank diverser Auftritte der kommunistischen US-Bürgerrechtlerin Angela Davis bei den Weltfestspielen der Jugend betont weltoffen. In den Harz dringt dieser utopische Funke durch das Fernsehen: „Über den Besuch einer außerirdischen Schönheit freuten sich auch die Sorger, wenn deren schwarzer Nimbus die Schwerkraft überwand und der schlanke Körper fast abhob: Ja, auch sie wollten insgeheim die Haare der Angela Davis berühren.“

Um die Geschichte des Künstlerpaares Thomas und Editha möglichst exakt verorten zu können, las sich Fargo Cole in die Sagenwelt der Region ein. Außerdem unternahm sie aufwendige Recherchen, unter anderem im Landesarchiv Sachsen-Anhalt, im Bundesarchiv und in der Harzbücherei Wernigerode. Vor allem aber sprach sie mit Bewohnern des damaligen Sperrgebietes. Pilze sammeln durfte man nur mit Sondergenehmigung. Ausgerechnet dort, wo man nachts die ausgehungerten Hunde der DDR-Grenzsoldaten heulen hört, wähnt sich der Schriftsteller Thomas Grünwald in Sicherheit vor den Nachstellungen der Stasi – weit weg von Ost-Berlin, dessen Geisteszustand er als „erregt und wirr“ beschreibt. Als jüdisches Waisenkind hatte er den Zweiten Weltkrieg in einem Versteck überlebt. Anschließend adoptierte ihn ein Rotarmist, der ihn aber wieder abgeben musste. Die Suche nach dem russischen Ersatzvater Lew durchzieht den Roman.

Es wird viel gelesen und gesprochen und wenig gehandelt

Mit seiner schwangeren Frau Editha, einer Bildhauerin mit staatlichen Aufträgen, zieht Thomas im Frühjahr 1973 in das ehemalige Ausflugslokal der vermeintlich systemtreuen Schwiegermutter. Mit einiger Naivität will Thomas einen – wenn auch im Mittelalter spielenden – Roman über die Grenze schreiben. Schließlich hatte der Staatsratsvorsitzende Honecker in einer kurzen kulturpolitischen Entspannungsphase verkündet, in der Literatur gebe es keine Tabus mehr. Doch an dem Unterfangen, die Grenze episch zu verarbeiten, sind schon andere gescheitert – etwa 1960 der Hamburger Journalist Karsch in Uwe Johnsons Roman „Das dritte Buch über Achim“. Auch für Isabel Fargo Cole hat es mit der innerdeutschen Grenze eine autobiografische Bewandtnis: Als 14-Jährige sah sie bei einem Schüleraustausch mit Bielefeld zum ersten Mal die Mauer. Es zog sie ins ehemalige Ost-Berlin, wo sie an der Humboldt-Universität studierte. Sie hat sich als Übersetzerin von Franz Fühmann, Hermann Ungar und vor allem Wolfgang Hilbig einen Namen gemacht.

Nicht umsonst hat Isabel Fargo Cole einen Schriftsteller als Hauptfigur ihres vielschichtigen, so kontemplativen wie statischen Harzpanoramas gewählt. Thomas recherchiert über den örtlichen Mönchsweg, er korrespondiert mit seinem Lektor und freundet sich mit dem örtlichen Antiquar an. Es wird in diesem Buch daher viel gelesen und gesprochen und wenig gehandelt: „Des schlafenden Kaisers Bart breitete sich über den Einband, überwucherte die Vorsatzblätter, die Überschriften trieben aus, selbst die Farbdrucke schienen in geilem Wachstum begriffen. Das konnten die Menschen damals: sich der grauen Vernunft widersetzen, die grauen Gestalten von sich weisen. Man konnte das Buch kaum aus den Augen lassen, so wie es seine Triebe ausschickte.“

Cole taucht tief in die deutsche Geschichte ab

Thomas muss erkennen, dass selbst im abgelegensten Winkel der DDR kein apolitisches Leben möglich ist. Er wird zu unfreiwillig komischen Lesungen vor schreibenden Arbeitern aufgefordert und soll der Gesellschaft für deutsch-sowjetische Freundschaft Tribut zollen. Von ferne dringen Erschütterungen wie die Biermann-Ausbürgerung im November 1976 heran und drohen die Kleinfamilie zu destabilisieren. Thomas fühlt sich beobachtet, sodass er eine Geheimbibliothek anlegt. Das gibt Isabel Fargo Cole Gelegenheit, tief in die deutsche Geschichte abzutauchen, bis hin zu Görings Lebensborn-Heim in Wernigerode. Die Fülle des recherchierten Materials lässt den Text immer wieder in die Breite wuchern, sodass man sich zuweilen mehr Stringenz gewünscht hätte.

Allmählich entwickelt sich die Tochter Eli zur zentralen Figur. Früh schon bekommt das aufweckte Mädchen mehr von seiner Umgebung mit, als es den Eltern recht sein kann. Eines Tages verschwindet Eli im dichten Wald. Handelt es sich etwa um eine angeborene Neigung zur Republikflucht, wie es heißt? Das ist nur eine von vielen Fragen, die Isabel Fargo Cole bei ihrer poetischen Landnahme aufwirft, aber nicht unbedingt beantwortet. Das Entscheidende an diesem Buch ist seine grüngesättigte Atmosphäre.

Isabel Fargo Cole: Die grüne Grenze. Roman. Edition Nautilus, Hamburg 2017. 496 Seiten, 26 €.

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