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Mürbe Pracht. Die leeren Hotels von Bad Gastein samt morschen Kongresszentrum bilden die Romankulisse von "Bad Regina".

© Getty Images/iStockphoto

David Schalkos böser Roman "Bad Regina": Die Wirtshaus-Dialoge

Österreich ist am Ende, Europa sowieso. Das erzählt David Schalko in seiner Groteske "Bad Regina" vor der morbiden Kulisse von Bad Gastein.

Das geht ja gut los. Mit Kleingedrucktem nämlich. "Wir weisen darauf hin, dass einige Figuren des Romans rassistische Sprache verwenden" hat der Verlag David Schalkos Groteske "Bad Regina" vorangestellt. Offensichtlich als Beipackzettel gegen etwaige unerwünschte Nebenwirkungen.

Das könnte man zukünftig auch Kabarettistin Lisa Eckhart empfehlen, falls sie nach ihrem mit demselben Vokabular gespickten Debüt "Omama" an einem neuen Werk sitzen sollte.

Pittoreske Serien, unverfrorene Ausdrucksweise

Die unverfrorene Ausdrucksweise, die österreichische Satirikerinnen und Satiriker ihrem Personal in den Mund legen, zieht Shitstorms an wie der Misthaufen die Schmeißfliegen. Das weiß der smarte Schalko selbst am besten. Schließlich war er mal Werbetexter.

Noch bevor der 47 Jahre alte Autor von Gedichten, Erzählungen, Theaterstücken und nunmehr fünf Romanen Fernsehproduzent wurde und mit pittoresken Serien wie "Braunschlag", "Altes Geld" und dem Wiener Remake von "M - eine Stadt sucht einen Mörder" reüssierte.

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"Bad Regina" ist in vielerlei Hinsicht ein echter Schalko. In der Romansatire "Schwere Knochen" erzählte er 2018, wie Psyche und Gesellschaft des Nachkriegsösterreichs von einem Haufen im KZ gestählter Verbrecher geprägt wurde. Ein bitterböser Aufbaumythos aus dem fauligen Geist der Vergangenheit also.

Berliner Hipster zieht es nach Bad Gastein

Nun folgt in unerbittlicher Logik die Abriss-Saga, die schon wieder den alten und neuen Nazifluch in sich trägt. Der Schauplatz, das fiktive Bad Regina, ähnelt Bad Gastein. Das einstige k.u.k Kurbad südlich von Salzburg schmiegt sich malerisch in eine Alpenschlucht. Mit einst mondänen und heute vor sich hin bröselnden Grandhotels, in dem früher Kaiser, Potentaten und Showstars logierten, inzwischen einen Zufluchtsort für Berliner Hipster wie Friedrich Liechtenstein samt jugendlichem Gefolge.

Eine tolle Kulisse also, deren morbiden Charme David Schalko in "Bad Regina" munter verstärkt, indem er den Bauruinen ein Panoptikum menschlicher Ruinen gegenüberstellt.

Ösi-Satiriker. Der Autor, Regisseur, Produzent David Schalko, 47, lebt in Wien.
Ösi-Satiriker. Der Autor, Regisseur, Produzent David Schalko, 47, lebt in Wien.

© Ingo Pertramer/KiWi

Und zwar nach der Handlungsanweisung, die alle von Gestaltungsunlust und Agonie angekränkelten Gesellschaften im alten Europa beherzigen: nichts tun. Sich gegenseitig dabei zusehen. Ausgiebig über das Nichtstun und das Sich-Dabei-Zusehen labern. Bis die Welt ein einziges Geschwätz ist und das Unglück seinen Lauf nimmt. "Die Wirtshaus-Dialoge" wäre auch ein guter Titel für Schalkos zu drei Vierteln in Gesprächsform abgefassten Anti-Heimatroman.

Bad Regina liegt im Sterben. Nur der mitten durch den Ort rauschende Wasserfall lebt. Held Othmar und seine 45 verbliebenen Nachbarn gleichen Gespenstern, die sich dem Suff und rückwärtsgewandten Sehnsüchten ergeben. Othmar, der spitzbäuchige Säufer, spielte einst in einer Punkband und führte in den Neunzigern den coolsten Club der Alpen, namens Kraken.

Techno-DJ Alpha hat einen Hirnschaden

Nach der Pleite ist dem verkrachten Hedonisten ein Souvenir geblieben: Alpha, ein Techno-DJ aus Manchester, der seit einem Pistenunfall einen Hirnschaden hat. Jetzt hockt er im Rollstuhl mit "einem Blick wie ein ausgefädelte Tonbandkassette" und wird von Othmar und seiner altlinken Affäre Selma versorgt. Auf eine Feindfigur können sich in Bad Regina die linken wie die von Bürgermeister Zesch angeführten, hartnäckig über den "Ausverkauf der Heimat" schwadronierenden Rechten einigen: Chen.

Der "Chinese", der sich im letzten Drittel als in der 8. Generation in Hallstatt ansässiger koreanischstämmiger Österreicher entpuppt, kauft nach und nach Häuser, Hotels und Schlösser in Bad Regina auf.

[David Schalko: Bad Regina. Roman. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2021, 396 S., 24 €]

Ihm will Othmar in einem seltenen Anfall von Tatkraft die Spekulantentour versauen, was erst zu Gelabergewittern unter Nachbarn führt. Und dann zu einer im Reisebus von den verbliebenen Einwohnern angezettelten Entführung des "Chinesen" in den maroden Technoclub Kraken führt.

Der Ösi-Selbsthass galoppiert

Da bricht in Schalkos allzu matt perlender Vergeblichkeitssuada endlich etwas wie Handlung aus. Vorher hakt er das wohlfeile Satirepersonal wie Pater Helge, Syrer Achmed, trans Frau Petra, den alten Graf und den Boutiquehotelbesitzer, der Thomas Bernhard in Sachen Ösi-Selbsthass locker übertrumpft, eher oberflächlich ab. Die besser nicht verpetzte Auflösung von Chens Aktivitäten entpuppt sich dann als Rache-Geschichte. Friedrich Dürenmatts "Besuch der alten Dame" lässt grüßen.

Auch wenn "Bad Regina" mangels Figurenentwicklung und atmosphärischer Verortung nicht den irren Sog des deutlich konzentrierter erzählten Romans "Schwere Knochen" entwickelt, trifft er doch einen wunden Punkt. Es ist, als habe sich die Europa-Müdigkeit und der Österreich-Verdruss selbst in David Schalkos Schreibe gesenkt, statt sie nur zu persiflieren. Das ist dann doch eine Kunst.

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