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Ein 15 Monate dauernder Konflikt wird bei Peace zum Romanstoff. Hier ein Foto der Proteste beim Bergarbeiterstreik 1984 in England.

© picture-alliance / united archiv

David Peaces Roman "GB 84": Damals, 1984: Wir da unten, ihr da oben

David Peace erzählt in seinem Roman "GB 84" vom britischen Bergarbeiterstreik. Kohlekumpel gegen Maggie Thatcher: Dabei geht es auch um die Intrigen der Regierung, Geheimdienstaktionen - und die Verschwörung der Gewerkschaftsfunktionäre.

Es war der Untergang des alten England. Beim Streik der Kohlekumpel gegen die Regierung von Maggie Thatcher ging es vor 30 Jahren, zugespitzt gesagt, um bedingungslose Solidarität oder gnadenlosen Kapitalismus. Davon handelt der jetzt auf Deutsch erschienene Roman „GB 84“ von David Peace. Und vom Bösen im Guten, wie üblich bei Peace: von den Intrigen der Regierung gegen die Gewerkschafter. Von der Verschwörung der Gewerkschaftsfunktionäre um den Hardcore-Marxisten Arthur Scargill, der die National Union of Mineworkers (NUM) führte. Von Geheimdienstaktionen, durch die Thatchers Regierung herausbekommen wollte, welche Strategie die Gewerkschafter verfolgten. Und von den in Hotelzimmern ausgelebten Sexaffären des Finanzfachmanns der Bergarbeitergewerkschaft.

Nur David Peace, 1967 geboren und im englischen Yorkshire aufgewachsen, konnte wohl auf die Idee kommen, einen 15 Monate dauernden Streik zum Romanthema zu machen. Schon damals, als Gewerkschaftsführer Arthur Scargill die konservativ-kampfversessene Premierministerin Maggie Thatcher stürzen wollte, wirkten die Kumpel ein bisschen gestrig in ihrer Entschlossenheit, unprofitable Zechen in Betrieb halten zu wollen. Unvorstellbar für bundesdeutsche Verhältnisse, wie Links und Rechts in England aufeinanderprallen. Es ging ums Prinzip: solidarisch oder profitorientiert, staatsfixiert oder liberal. Eben das interessiert Peace: Dieses „Wir oder sie“, das man damals auch jenseits der britischen Grenzen wahrnehmen konnte – waren doch in den Jahren zuvor regelmäßig Regierungen an streikenden Gewerkschaften gescheitert. Gestützt auf historische Tatsachen und mit genauem Blick auf die wichtigsten handelnden Personen entstand so ein zeithistorischer Kriegsroman.

Peace ist ein Fachmann für das Böse, Schlechte, Düstere, das manche Zeiten bestimmt. Sein „Red Riding“-Quartett, vier Krimis über die Jahre 1974, 1977, 1980 und 1983, kreist um die Figur des Yorkshire Rippers. Seine zwei in der Nachkriegszeit angesiedelten Tokio-Romane beschreiben, wie der Krieg den Hang zu archaischer Brutalität nährt. Und jetzt der Polit- und Polizeikrieg von 1984, der Kampf um England zwischen Gewerkschaft und Politik.

Hunger, Bierdunst - und der Geschmack von Blut}

David Peace, Jahrgang 1967.
David Peace, Jahrgang 1967.

© Dominik Gigler

Bei aller Klarheit der Fronten ist das Buch nicht leicht zu lesen. Das liegt an Peace’ Umgang mit seinen Protagonisten: Sie sind einfach da und machen etwas. Manche haben nicht einmal einen Namen. Die Hauptfiguren – etwa der Finanzfachmann der Gewerkschaft oder der wichtigste Stratege der Premierministerin – entwickeln sich durch ihre Aktivitäten zu komplexen, hochinteressanten Figuren. Der Leser muss eine Menge Gestalten im Blick haben, deren Bedeutung für den Verlauf der Geschichte nicht immer offensichtlich ist. Hinzu kommt, dass Peace die Geschichte des Streiks zwar in schnellen Kapiteln und atemberaubendem Tempo erzählt. Aber er unterbricht die wochenweise Erzählung häufig durch Szenen von der dörflichen und kleinstädtischen Streikfront, verfasst aus der Sicht und in der Sprache der Kumpel. Diese Szenen reihen sich zur Geschichte in der Geschichte – von Schlägereien mit Polizisten oder Ehekrächen, die auf dem Widerstreit zwischen Streikbereitschaft und den Interessen der Familien und der Kinder beruhen.

Wie in seinen anderen Büchern schafft David Peace eine dichte, konzentrierte Atmosphäre. Hunger und Bierdunst, der Geschmack von Blut, die schlechte Luft verrauchter Räume, Hass auf die anderen, panische Angst, wenn die Polizisten wieder mit Pferden die streikenden Kumpel niederreiten, die alkoholbetäubte Furcht des Strategen, dass seine Manipulationen der öffentlichen Meinung scheitern. Oder der Horror des von Kopfschmerzen terrorisierten Finanzmannes der Gewerkschaft, dass seine Tricks zur Sicherung der Streikkassen auffliegen (und nicht zuletzt auch sein Verhältnis mit der Frau eines Kollegen): All das macht „GB 84“ zu einem Labyrinth aus Worten, faszinierend und gefährlich zugleich.

David Peace: GB 84. Roman. Aus dem Englischen von Peter Torberg. Liebeskind Verlag, München 2014. 539 Seiten, 24,80 €.

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