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Künstliche Welten in Brühl. David Lynch 2009 in seiner eigenen Rauminstallation.

© dpa

David Lynch zum 70.: Der unergründliche Seelenarbeiter

Regisseur von "The Elephant Man", "Wild at Heart" und "Twin Peaks": Der Filmemacher David Lynch wird 70 Jahre alt.

Er saß George Lucas gegenüber in dessen Büro, als der sagte, „ich muss dir was zeigen“. Da bekam David Lynch Kopfschmerzen. Lucas suchte 1982 nach einem Regisseur, der den dritten Teil von „Star Wars“ drehen könnte. Lynch hatte zu dem Zeitpunkt zwei Spielfilme gemacht, „Eraserhead“ und „The Elephant Man“, beide über abnorme Figuren in einer unwirklichen Welt, und Science- Fiction-Welten schienen ihm zu liegen, wie die Arbeit an „Dune“ kurz darauf bestätigen sollte.

Lucas ging voraus in einen Raum, wo er dem Regisseur Entwürfe für die Ewoks präsentierte. Da wuchs in Lynch rasendes Schädelbrummen. All diese komischen, behaarten Kreaturen, von denen ihr Schöpfer so begeistert war. Was sollte er in dieser Lucas-Welt? Lynch schlug das Angebot aus. Sein Anwalt stauchte ihn zusammen. Ob er wisse, wie viele hunderte Millionen Dollar er gerade aus dem Fenster geworfen habe? Immerhin waren die Kopfschmerzen weg.

Horror im Bürger-Idyll, das ist Lynchs Spezialität

Tatsächlich kann man bei Lynch nie sicher sein, wie viel er von dem, was er sagt und tut, selbst durchdrungen hat. Er schaut auch mit 70 Jahren in die Welt wie ein besorgter, aufgeschreckter Junge, der in seinen schlichten Anzügen und der dramatisch geschwungenen Haartolle den Schock zu verarbeiten versucht, aus der Kindheit vertrieben worden zu sein – aus einem Zustand des Selbstverständlichen. Wenn er auch nichts mehr verabscheut als Normalität und sein Elternhaus zum Verrücktwerden unoriginell fand, so geht es in den Filmen des Autodidakten doch stets um die Irritation des Entdeckens. Und darum, dass alles eine Kehrseite hat.

Wie hat dieser Mann sein Publikum gefesselt und verwirrt. Als er seine obskure Bildsprache in „Blue Velvet“ 1986 voll entwickelt hatte, galt er als großer „Surrealist, dessen Hang zu dunklen und hellen Extremen das Bild, das Amerika von sich selbst hat, auf verschrobene Weise umkrempelte“ („New York Times“). Doch irgendwas hat den kreativen Output Lynchs nach nur neun Filmen versiegen lassen. Er verlegte sich auf Musik und Meditation. Sein letzter, „Inland Empire“, liegt zehn Jahre zurück. Obwohl für 2017 eine weitere von ihm realisierte Staffel von „Twin Peaks“ angekündigt wird, ist es, als habe sich Lynch wieder in die Welt zurückgezogen, die zu verlassen ihm als Kind große Mühe bereitete.

Geboren am 20. Januar 1946 in Missoula, einer von Gärten und blühenden Hecken geprägten Kleinstadt in Montana, die zwischen zwei Bergen gelegen um Sägewerke herum gegründet worden war, erlebte Lynch seine Kindheit als Idylle, als unbeschwerte Zeit in einer „Traumwelt“. Der Mittlere Westen, wie er sein sollte. Alte, schöne Häuser, Kirschbäume, der Milchmann und Freunde, die zusammen Forts errichteten, um sie einander abzujagen. „Aber dann war da auf dem Kirschbaum der schwarz-gelbe Harz, der hervorquoll, und abertausende roter Insekten krochen über die klebrigen Harztropfen. Da ist diese wunderbare Welt, und kaum dass man ihr zu nahe kommt, besteht sie aus roten Insekten.“

Das sollte das Leitmotiv seines Schaffens werden. Aus einer bei ihm stark ausgeprägten Angst vor fremden Räumen, Agoraphobie genannt, gewann er seinen hyperrealen Blick für Räume. Die Künstlichkeit von Studiokulissen akzentuierte er so stark, dass aus den Dekors symbolische Orte wurden, Schauplätze einer unergründlichen, spekulativen Bedrohung. „Es ist zu beängstigend, an gewisse Orte zu gelangen, deshalb können wir das nur in Filmen tun“, sagt Lynch.

Wie gefährlich die aufgewühlte Seele Amerikas sich selbst wird, hat er in „Blue Velvet“ gezeigt. Er „übersetzt seine Fantasien nicht in logische Bilder“, sagte Lynchs zeitweilige Geliebte Isabella Rossellini einmal, „deshalb bleiben sie roh und berührend.“ Lynchs Ängste haben ihn nicht in die Paranoia getrieben. Er ist allerdings zutiefst davon überzeugt, „dass es das Gute gibt und einen wilden Schmerz, der alles begleitet“.

Mit dem Filmemachen hat Lynch abgeschlossen

Für „Wild at Heart“ goss er diese Erkenntnis in eine romantische Ausreißer-Geschichte, die vor einem Gefängnis beginnt und wieder endet und wie eine epische Traumschleife funktioniert. Von dort führt der Weg über die labyrinthische Doppelgänger-Story von „Lost Highway“ bis zu „Mulholland Drive“, seinem düsteren Meisterwerk, das die Illusionsmaschine Kino demontiert, indem es sie zum Thema macht. Vielleicht ist alles gesagt, nachdem er schließlich in „Inland Empire“ die Integrität der Kulisse verletzt, die Figuren aus ihr hinaus- und in die Realität des Filmemachens eintreten lässt.

Mit dem Kino habe er abgeschlossen, sagt Lynch und so auch mit dem „Glücksgefühl, alles kontrollieren zu können, selbst wenn es eine Illusion ist.“ Stattdessen ist seit vielen Jahren die Transzendentale Meditation für ihn wichtig geworden – und die innere Ausgeglichenheit, die sie ihm verschafft.

Im Berliner Alexander Verlag ist gerade, übersetzt von Jochen Stremmel, David Lynchs Buch „Catching The Big Fish. Meditation – Kreativität – Film“ erschienen (168 Seiten, 14,90 €.)

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