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Der gutmütige David Copperfield (Dev Patel, re.) wird von seinem besten Freund Steerforth (Aneurin Barnard) hintergangen.

© Entertainment One

"David Copperfield" im Kino: Ein Starensemble haucht Dickens neues Leben ein

"David Copperfield – Einmal Reichtum und zurück" ist ein Kostümfilm voller Verve. Der indischstämmige Dev Patel spielt den Titelhelden.

Von Andreas Busche

Es braucht keinen umständlichen Vorlauf, um deutlich zu machen, wie viel Respekt Regisseur Armando Iannucci vor dem persönlichsten Werk von Charles Dickens hat – ihm aber nichts heilig ist. Seine inspirierte Adaption „Personal History of David Copperfield“ (gestraft mit dem deutschen Verleihtitel „David Copperfield – Einmal Reichtum und zurück“) beginnt mit dem vielleicht berühmtesten Eröffnungsmonolog der Literaturgeschichte.

„Whether I shall turn out to be the hero of my own life, or whether that station will be held by anybody else, these moments must show“, spricht Dev Patel in ein Auditorium voller Zeitgenossen, bevor er die „vierte Wand“ durchbricht. Er tritt durch eine Filmprojektion im Bühnenhintergrund in seine eigene Lebensgeschichte ein.

Dickens gehört zu den meist adaptierten englischen Literaten, die frühesten Verfilmungen sind fast so alt wie das Kino selbst. Bezugspunkt für Iannucci ist natürlich George Cukors „David Copperfield“ von 1935. Aber nicht mal Cukor, dessen legendäre Schlagfertigkeit in der Filmgeschichte nur wenige ebenbürtige Nachfolger fand, hat die Ironie des Eröffnungsmonologs so weit getrieben wie der britische Satiriker.

Iannucci hat sich schon am Amt der amerikanischen Vize-Präsidentschaft (in der HBO-Serie „Veep“) und den KP–Vasallen, die Stalins noch warme Leiche zerfledderten („Der Tod von Stalin“), auf eigenwillige – und äußerst unsanfte – Weise vergangen. Er nimmt Dickens spöttische Insinuation, David Copperfield könnte nicht der Held seiner eigenen Geschichte sein, ernst.

Schillernde Besetzung bis in die Nebenrollen

Dazu reicht schon ein Blick auf die schillernde Besetzung bis in die Nebenrollen von Dickens wucherndem, mehr als 600 Seiten umfassenden Schelmenstück. Angefangen bei Tilda Swinton als Betsey Trotwood, Schwester von Davids verstorbenem Vater, die ihrer Enttäuschung, dass der Familiennachwuchs wieder nur männlich ist, dramatisch und gestenreich Ausdruck verleiht.

Oder Hugh Laurie, mit einem fein wattierten Toupet ausgestattet, in der Rolle von Tante Betseys Untermieter Mr. Dick, der kaum mal ohne seine Drachen durchs Bild läuft und pausenlos über den enthaupteten King Charles schwafelt. Aus dem Ensemble lässt sich noch Ben Whishaw als aaliger Intrigant Uriah Heep hervorheben, der sich mit Erpressung in die feine Gesellschaft einkauft. Und Gwendoline Christie, die die Schwester von Davids Stiefvater Murdstone spielt.

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Am hintergründigsten aber zeigt sich Iannuccis Kaltschnäuzigkeit, die wohl auch Dickens gefallen hätte, darin, dass er Davids Mutter und seine spätere Ehefrau Dora, deren Mund meist schneller ist als der Verstand (selten zu ihrem Vorteil), mit derselben Schauspielerin besetzt.

Morfydd Clark hat in „Pride and Prejudice and Zombies“ schon einen anderen englischen Klassiker illuminiert, aber in „David Copperfield“ setzen ihre delirierenden Beobachtungen, die durch den Besetzungsclou zusätzlich eine ödipale Note bekommen, den Ton für Iannuccis bild- und wortgewaltige Exzentrik.

People of Color spielen Dickens

Dieses hinreißende Kostümspektakel, für das Suzie Harman und Robert Worley verantwortlich sind, sieht im Vergleich mit Iannuccis bösartigen Polit-Satiren natürlich reichlich zahm aus. Seine aufgeregte Überdrehtheit, nicht zuletzt dank der unermüdlichen Kamera von Zac Nicholson, erinnert stellenweise sogar an Volkstheater. Aber Iannucci flößt Dickens neue Vitalität ein – weniger durch die postmodernen Gimmicks als durch seine überbordende Lust am Fabulieren.

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Puristen dürften mit der gravierendsten Veränderung der Dickens-Vorlage möglicherweise ihre Probleme haben. Dass Iannucci die Hauptrolle mit dem indischstämmigen Patel besetzt (Benedict Wong spielt den tragikomischen Mr. Wickfield, die Rolle von dessen Tochter übernimmt wiederum die Afrobritin Rosalind Eleazar), stellt an sich – spätestens seit dem Broadway-Erfolg von „Hamilton“ – kein künstlerisches Wagnis mehr da.

Es ist aber eine kluge Aktualisierung von Dickens, der zu Lebzeiten ein vehementer Kritiker des britischen Sklavenhandels in den Kolonien war. Anders als viele seiner noch heute verehrten Zeitgenossen.

Schon 2012 brach Iannucci in der BBC-Dokumentation „Armando’s Tale of Charles Dickens“ eine Lanze für den vermeintlich angestaubten Klassiker. „Seine Fantasie war so komplex, düster und kultiviert wie jede moderne Metropole.“ Charles Dickens hätte an diesem „David Copperfield“ sicher seine Freude.

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