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Glück der Metaebene. Raphaela Edelbauer, 1990 in Wien geboren.

© oto: Victoria Herbig

„Dave“ von Raphaela Edelbauer: Ärger mit der Ich-Maschine

Syz setzt alles daran, einen Supercomputer mit Bewusstsein zu programmieren: Raphaela Edelbauers kluger dystopischer Roman „Dave“.

Eigentlich sind wir uns ja alle einig: Es wird böse enden mit der Menschheit, wenn die Computer erst einmal über uns herrschen. Oft wurde dieses Böse in den letzten Jahren aber ganz anheimelnd gekleidet; die Welten, die Filme wie Spike Jonze’ „Her“ und Bücher wie Dave Eggers’ „The Circle“ skizzierten, waren in Sachen Ästhetik und Benutzerfreundlichkeit ja ebenso wahrscheinlich wie – zumindest vordergründig – angenehm anmutende Updates der Gegenwart.

Es wird früh klar, dass Raphaela Edelbauer, Gewinnerin des Publikumspreises beim Klagenfurter Bachmannpreis 2018, in „Dave“ die nicht näher datierte Zukunft etwas anders sieht: Syz, der Protagonist dieses Romans, lebt nicht, er haust in der Gemeinschaftskoje.

„Pawel neben mir auf der Pritsche, (…) eine abschätzige Kopfgeste in Richtung von Brenner und Langley, die seit zwei Stunden damit zugange waren, einen Loop zu konstruieren, den jeder Studienanfänger im Schlaf hätte zusammenbasteln können“, all das findet in einem „Amphitheater aus leeren Energydrinks, alten Coding-Manuals und zerrissenen Chipspackungen“ statt.

Das, so wird später klar, ist ein Genuss, der längst nicht allen zusteht, die rund um Syz leben. Die meisten müssen sich mit „Knirck-Kargbrei“ zufriedengeben; „ein Gemisch aus Eiweißen, Kohlehydraten und Vitaminen, der als Alleinnahrung in wenigen Sekunden heruntergestürzt werden konnte, gerne auch während der Arbeit“.

Dosenfraß und Schleifhalle: eine unwirtliche Welt

Dass derlei Trostlosigkeit herrscht, liegt an den Umständen: Weil die Menschen auf der Welt immer mehr wurden (30 Milliarden waren es), die Ressourcen knapper und das Klima immer unwirtlicher, endete das Leben, das wir kennen, irgendwann. Stattdessen gab’s nur noch Dosenfraß und Häuser, deren Stockwerke 110 Zentimeter hoch waren. „Sauber wurde man, indem man sich in sogenannten Schleifhallen, kleinen Kammern voller Drahtbürsten, so lange hin und her wand, bis das Blut nur so spritzte.“

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So lautet die Erzählung, die als Rechtfertigung für das reglementierte Leben dient, dem sich Dave und seine vielen, vielen Mitbewohner (118 998 Menschen bevölkern das nach außen streng abgeriegelten Gebäude, das eigentlich eine kleine Stadt ist) fügen müssen. Sie haben sich in einen Bienenstock zurückgezogen, streng nach Hierarchien aufgeteilt.

Syz kommt bald eine besondere Rolle zu. Er soll „Subject Zero“ werden, also derjenige, dem DAVE nachgebildet wird. DAVE ist die letzte Erfindung der Menschheit. Die Lösung aller Probleme, nicht nur im Haus, sondern langfristig auf der gesamten Welt.

DAVE ist die letzte Erfindung der Menschheit

Langfristig sollen die Menschen mit Dave verschmelzen können. Er ist der Supercomputer, den die Programmierer mit allen möglichen Abläufen und Erinnerungen füttern, um ihm größte Lebensnähe zu geben, doch was ihm fehlt, ist ein der Logik unterworfenes Denken.

„DAVE hat den Gast aufgeschnitten und mit Zwiebeln in den Topf geworfen, während er dem Rinderstück ein Glas Wein servierte“, heißt es eingangs einmal. Nun soll Syz also derlei Pannen verhindern, doch das Einspeisen seiner Informationen in die künstliche Intelligenz geht nicht ohne Nebenwirkungen vor sich.

Während Syz aus seinem Leben berichtet, ach was, sein gesamtes Leben berichtet, scheint dieses langsam aus ihm selbst zu schwinden. Er beginnt, das gesamte System infrage zu stellen, und kriecht dabei tief in dessen Eingeweide hinein.

Aus Syz scheint das Leben zu schwinden

Die Geschichte, die Raphaela Edelbauer hier erzählt, ist kurvig und bisweilen unübersichtlich. Die Österreicherin verfolgt Seitenstränge freudvoll, implementiert Liebesroman und Mystery, erlaubt sich ausführliche Exkurse in die Philosophie und knickt bisweilen freundlich in Richtung tradierter Dystopien wie Aldous Huxleys „Schöne Neue Welt“ oder Ray Bradburys „Fahrenheit 451“, aber auch zu den Kapuzenpulliträgern im Silicon Valley.

Früh ist von allerhand weltanschaulichen Strömungen innerhalb der Bevölkerung die Rede, von den Neoplatumanisten und den Neoterranern etwa, die in DAVE jeweils etwas völlig Unterschiedliches sehen. Die Österreicherin gibt derlei Gedanken aber immer Spiegel aus der Gegenwart mit.

Liebesroman, Mystery und Exkurse in die Philosophie

Wenn sie von diesen nicht nur dem Leser, sondern auch dem Protagonisten bisweilen wirr vorkommenden Gruppierungen und ihren Pamphleten erzählt, ist auch immer von Handfesterem die Rede, etwa von der Lagerarbeitergewerkschaft und Jazzkonzerten, von Schach gegen die K. I. und Videoabenden mit „Night On Earth“.

Die Montage all dieser Handlungsstränge und Elemente, der gelegentliche Wechsel in eine völlig andere Sprache, nämlich die akademischer Aufsätze und Akten, aber auch Edelbauers Hang zu brüllender Komik und dem freudvollen Wandeln von Metaebene zu Metaebene: All das nimmt den immerhin über vierhundert Seiten etwas den Flow und manchmal die Übersichtlichkeit, gibt ihnen an manchen Stellen eine Cut-and-paste-Haftigkeit, an die man sich gewöhnen muss.

[Raphaela Edelbauer: Dave. Roman. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2021. 432 Seiten, 25 €.]

Das ist aber nichts Schlechtes, denn Edelbauer baut Verzahnungen und Verknüpfungen in ihre Handlung ein, die dafür sorgen, dass man trotzdem gerne dabeibleibt. Wenn „Dave“ endet, natürlich mit einem Knall, ist man geneigt, einige Dinge noch einmal nachzuschlagen, und das ist wahrscheinlich nicht das Schlechteste, was man über einen Roman sagen kann.

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