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"Dau“-Erfinder und Regisseur Ilya Khrzhanovsky mit der Performancekünstlerin Marina Abramovic 2012 in Berlin.

© picture alliance / SCHROEWIG/Eva

Dau-Connection im Fokus: Wer steckt hinter dem Berliner Mauerprojekt?

Der russische Regisseur Ilya Khrzhanovsky will in Berlin eine Mauer errichten. Das Riesenprojekt hüllt sich in Schweigen. Woher kommt das Geld, wer ist beteiligt? Wir erläutern, was bekannt ist.

Noch hat das Bezirksamt Berlin-Mitte die Genehmigungen nicht erteilt. Aber dem Vernehmen nach sieht es gut aus für das enigmatische „Dau“–Projekt des russischen Regisseurs Ilya Khrzhanovsky. Zu der aufwändigen Inszenierung gehört eine temporäre Berliner Mauer. „Dau“ simuliert den historischen GAU: Nach den Feierlichkeiten zur deutschen Einheit am 3. Oktober und vor dem Tag des Mauerfalls am 9. November soll eine Kunst-Absperrung einen Bereich um das Kronprinzenpalais Unter den Linden umschließen und die Grenze markieren zwischen dem Berlin von heute und einer fiktiven totalitären Sphäre.

Hinter der Mauer, die jetzt alle Aufmerksamkeit auf sich zieht und von der Hauptsache ablenkt, will Khrzhanovsky sein Riesenwerk zeigen, etliche Stunden Film. Sie kreisen um die Figur des russischen Physik-Nobelpreisträgers Lew Landau (1908 – 1968) und die Stalin-Zeit. „Dau“ bedeutet nicht, wie im Netz, „Dümmster anzunehmender User“, sondern war der Spitzname des Wissenschaftlers, Utopisten und Sex-Gurus Landau.

Über all dem liegt ein kaum zu durchdringender Schleier. Keiner der an „Dau“ Beteiligten gibt brauchbare Auskunft. Keine Informationen im Internet. Menschen, die mit dem Projekt bisher in Berührung kamen, fühlten sich eingeschüchtert, mussten Schweigeerklärungen unterschreiben. Dennoch hat sich der Regierende Bürgermeister Michael Müller für das Projekt ausgesprochen. Auch Kulturstaatsministerin Monika Grütters zeigt sich offen für die Präsentation von Khrzhanovskys Parallelwelt, in der sich Hype und Wahn mischen, Sehnsucht nach absoluter Kunstherrschaft – ein Charakteristikum der großen Diktatoren des 20. Jahrhunderts –, Historienmalerei im Kino und Sozialexperiment. Tom Tykwer und X-Filme sind mit von der Partie.

Die Angst, ein großes Ding zu verpassen

Auch die Berliner Festspiele als Veranstalter haben sich bisher nur kryptisch geäußert. Man gewinnt den Eindruck, dass in Berlin die Angst regiert, ein großes Ding zu verpassen und möglicherweise mit kleinteiliger Bürokratie zu verhindern. Obwohl es an Kultur und Projekten nicht mangelt, zeigt sich hier zuweilen eine seltsame Kombination von Größenwahn und Minderwertigkeitsgefühl. Nachdem „Dau“ schon einmal zur Eröffnung der Intendanz von Chris Dercon rund um die Volksbühne geplant war, will Khrzhanovsky nun in drei Städten seine Brückenköpfe einrichten. Nach Berlin wäre Paris dran, dann London, wo die „Dau“-Produktion in einem noblen Eckgebäude mit ausgeprägter Sicherheitstechnik residiert. 100 Piccadilly ist die Adresse im Stadtteil Mayfair. In der britischen Hauptstadt ist auch der Phenomen Trust angesiedelt, eine 2015 gegründete gemeinnützige Stiftung, die hinter „Dau“ steht. Die Website der Stiftung verzeichnet nur wenige, vage Sätze. Stiftungszweck sei es, die Bildung der Allgemeinheit zu fördern, durch Bewusstseinsteigerung und die Entwicklung der Wertschätzung für die Künste und Wissenschaften.

Als Treuhänder firmieren der Anwalt Anthony Julius, die Berliner „Dau“-Koproduzentin Susanne Marian sowie die nicht näher bekannte Polin Svetlana Dragajewa und der Amerikaner Simon Shvarts. Als Phenomen-Stiftungsgründer gibt die dem Tagesspiegel vorliegende „Dau“-Projektbeschreibung Sergey Adoniev an, einen Unternehmer aus St. Petersburg. Zu dessen philanthropischen Tätigkeiten gehört, wie sich auch andernorts nachlesen lässt, vor allem die Unterstützung von „Dau“.

Wer ist dieser Adoniev? Woher kommt das Geld für das Kunstprojekt, das in drei europäischen Hauptstädten zu einem Megaevent werden soll?

Nach russischen Verhältnissen ist Adoniev mit einem geschätzten Privatvermögen von 700 Millionen Dollar noch kein Oligarch. Der russische Ableger des Wirtschaftsmagazins „Forbes“ führt ihn auf der Liste der 200 reichsten Russen auf Rang 147. Er war Sponsor bei der Renovierung des Stanislawski Electrotheatre in Moskau. Er unterstützte Teodor Currentzis’ Orchester- und Chorprojekt Musica Aeterna – Currentzis soll im „Dau“-Film die Hauptrolle spielen – sowie ein polytechnisches Museum, betreibt eine Stiftung für Mikovizidose-Patienten und ist im Hintergrund politisch aktiv.

So hat er Xenia Sobtschak bei ihrer Kandidatur für die Präsidentschaftswahlen im März unterstützt. Sobtschak war, wie ihre Kritiker sagen, bei dieser Schein-Abstimmung die Rolle der Schein-Opposition zugefallen. Ohne Adoniev hätte es ihre Kandidatur nicht gegeben, sagte die Politikerin im März auf einer Pressekonferenz. Sie ist Tochter des früheren St. Petersburger Bürgermeisters Anatoli Sobtschak.

Sponsor Sergey Adoniew mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin im Jahr 2011.
Sponsor Sergey Adoniew mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin im Jahr 2011.

© Imago

In Leningrad, dem heutigen St. Petersburg, begann auch Adonievs Karriere als Geschäftsmann – mit dem Untergang der Sowjetunion und mit Computern, Bekleidung, Gemüse und Walnüssen. Ursprünglich Hochschullehrer an der Polytechnischen Universität, wo er auch studiert hatte, handelte er Anfang der 90er Jahre praktisch mit allem. Schon 1991 war Adoniev einer der größten Importeure von Zucker, später auch von Südfrüchten und Holz. Für die Erteilung und Verlängerung von Gewerbegenehmigungen war Anfang der Neunziger Vizebürgermeister Wladimir Putin zuständig. Dessen persönlicher Sekretär war Igor Setschin, heute Vorstandschef des Öl- und Gaskonzerns Rosneft, in dem der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder als Aufsichtsratschef fungiert. Für viele gilt Setschin als die „graue Eminenz“ im Machtzirkel des Präsidenten.

Adonievs weiterer Weg führte zunächst in die USA, die Familie übersiedelte nach Los Angeles. Wieder handelte er mit Zucker, aber in den USA brachte das Ärger ein. Adoniev wurde wegen des Bruchs der Kuba-Sanktionen angeklagt, ihm drohte eine hohe Haftstrafe. Doch der russische Geschäftsmann schloss einen Deal: 30 Monate Haft, Zahlung einer Millionenstrafe und sofortige Ausreise nach Verbüßung der Haft. Inzwischen bemüht sich Adoniev um eine Aufhebung des US-Urteils: er sei Opfer eines Justizirrtums geworden.

Nach Russland zurückgekehrt, stieg Adoniev Anfang der 2000er Jahre ins gerade explodierende Telekomgeschäft ein. Schnell gelang es dem Geschäftsmann, mit einer Investmentfirma Kapital einzusammeln und einige der begehrten Mobilfunklizenzen zu ersteigern. Unter der Überschrift „Hohe Verbindung“ berichtete „Forbes“ bereits 2011. Der Artikel beschreibt einen Besuch Wladimir Putins bei der Adoniev-Firma Yota: „Um den Tisch versammelten sich die führenden Persönlichkeiten und wichtigsten Aktionäre der größten russischen Telekommunikations-Unternehmen.“

Einblick in das Putin-Reich

Die Biografie Adonievs gibt einen Einlick in das Putin-Reich, wo auf vielen Gebieten ein Rückfall in sowjetische Zeiten festzustellen ist. Das verbindet Khrzhanovskys Auslandsprojekt „Dau“ mit Russland heute – eine diffuse und manchmal auch recht konkrete Sehnsucht nach der alten Zeit, der Sowjet- und Weltmacht.

Yota war zwar im Mobilfunk-Netz Russlands der erste 4G- und später der erste LTE-Anbieter, aber verglichen mit Branchenriesen wie Megafon eine eher provinzielle Größe. Auf dem Foto, das die Nachrichtenagentur seinerzeit von dem Treffen mit Putin verbreitete, sitzt neben Adoniev ein wirklich Großer der russischen Oligarchen: Sergej Tschemessow, der Chef des Rüstungs- und Technologiekonzerns Rostec. Ein Mann mit enger Verbindung zu Putin. Der Präsident und der Manager kennen sich aus KGB-Zeiten. Tschemessow steht auf der Sanktionsliste des US-Finanzministeriums, seine Konten im Ausland sind gesperrt, die Einreise in die USA wird ihm verweigert.

Heute gehört Yota nach einem für Adoniev lukrativem Verkauf dem Megafon-Konzern, einem der Marktführer in der russischen Telekom-Branche. Er ist inzwischen auch bulgarischer Staatsbürger. Dass EU-Mitglieder ihre Staatsbürgerschaft verkaufen, ist in einigen Ländern üblich, so beispielsweise auch in Griechenland, Zypern oder Lettland. Im Falle Adonievs und Bulgariens zeigte sich die preisgekrönte investigative Journalistengruppe „Bivol“ verwundert über das Einbürgerungsverfahren und ging der Sache nach. Nach Recherchen der unabhängigen Journalisten, die auch mit Wikileaks kooperieren, habe der russische Multimillionär die Staatsbürgerschaft erhalten, obwohl seine Dokumente unvollständig waren. Auf der „Bivol“-Webseite wird das Formular zur Erklärung von Einkünften und Ausgaben abgebildet. Es ist leer und von bulgarischen Beamten für ordnungsgemäß befunden worden.

Am Dienstag soll es mehr Informationen geben

Präsident der Phenomen-Stiftung ist der prominente britische Anwalt und Publizist Anthony Julius. Julius vertrat Lady Di bei ihrer Scheidung von Prinz Charles. Er setzt sich für israelische Belange ein und gewann einen Prozess gegen den Holocaust-Leugner David Irving.

Als Vize-Chef der in London ansässigen internationalen Kanzlei Mishcon de Reya geriet Julius jüngst in die Kritik. Die Familie der bei einem Attentat ums Leben gekommenen maltesischen Journalistin Daphne Caruana Galizia forderte den englischen PEN-Club auf, sich von seinem Treuhänder Julius zu trennen. Die Firma Mishcon de Reya habe Galizia unter Druck gesetzt, der PEN-Club aber müsse nach seinen Statuten das freie Wort verteidigen. Sowohl der PEN-Club als auch Anthony Julius lehnten einen Rücktritt ab. Galizia hatte in ihrem Blog internationale Finanzverflechtungen und Korruption dargestellt.

Am nächsten Dienstag wollen sich die „Dau“-Verantwortlichen in Berlin zu dem publik gewordenen Projekt äußern. Khrzhanovsky ist nicht dabei.

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