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Ein Wort eingeben und schon gibt es in der "Bibliothek des positiven Denkens" eine Video-Playlist, passend zur Buchstabenfolge.

© www.eurograph.art/VG Bild-Kunst, Bonn 2021

Das Video-Kunstprojekt "Eurograph": Alphabet der guten Laune

Das charmante Online-Videoprojekt „Eurograph“ versammelt 52 Künstlerinnen und Künstler aus Berlin und Paris.

A wie die Anderen, J wie Jubel, M wie Miteinander, R wie Reisen, W wie Wow, oder Waouh auf französisch: Ein Alphabet der guten Laune können wir alle gerade gut gebrauchen. Kontaktsperre, Quarantäne, Corona, „wir haben gerade so viele schreckliche Wörter“, sagt Luc Paquier, der künstlerische Leiter des Centre Français de Berlin, einem gemeinnützigen Kulturzentrum im Wedding.

Er wollte etwas dagegensetzen, erzählt er am Telefon, und zog eine Idee aus der Schublade, bei deren Realisierung dutzende Künstler:innen im Lockdown einbezogen werden konnten: das Projekt „Eurograph“, eine deutsch-französische Online-Bibliothek des positiven Denkens. 52 Kreative aus Berlin und Paris haben dafür zu je einem deutschen oder französischen Buchstaben ein eineinhalb bis zweiminütiges Video angefertigt.

Das Ergebnis, das im Vorfeld des Deutsch-Französischen Tags am 22. Januar freigeschaltet wurde, ist eine charmante Webseite, um das pandemiemürbe Gemüt aufzuhellen. Die Spielanweisung: Man gebe ein beliebiges Wort ein, Pinguin oder Kachelofen oder Merci, und schon werden dessen Buchstaben in eine Video- Playlist umgesetzt. Lyrisches folgt auf Hip-Hop, Animationen, Choreografien, Sketche, Kurzreportagen, Zwiegespräche, Stadtimpressionen, Naturexpeditionen, Pop-Art, Glasharfenklänge, Mozarts ekstatisches „Exsultate Jubilate“ – alles dabei.

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Ob persönlich, politisch oder poetisch, die Künstler hatten freie Hand. Sie mussten sich nur an die Längenvorgabe halten, an die Aufforderung zur positiven Energie – und halbwegs jugendfrei sollte es auch sein. Paquiers Kinder sind vier, acht und zwölf , er wollte, dass auch sie in der Bibliothek stöbern können.

Weshalb das Künstlerkollektiv She She Pop sich etwas Verschmitztes zu V wie Vulva einfallen ließ: ein Tanz mit pelzig computeranimiertem Outfit, zu dem erzählt wird, dass alte Frauen in früheren Zeiten gern mal ihre Röcke hoben, um mit dem Anblick ihrer Vulva kriegslüsterne Streithähne zu besänftigen.

G wie Genre. In seinem Video zum Buchstaben G verwandelt der Maler Edi Dubien ein Porträt mit wenigen Pinselstrichen.
G wie Genre. In seinem Video zum Buchstaben G verwandelt der Maler Edi Dubien ein Porträt mit wenigen Pinselstrichen.

© eurograph.art/VG Bild-Kunst, Bonn 2021

Die Cellistin Sonia Wieder-Atherton betört mit ihrem Instrument, die Choreographin Régine Chopinot lädt zur kollektiven Wörter-Pantomime, bei der transnationalen Gruppe La Fleur stecken drei Männer in einer Jacke. Gob Squad legen das Ohr an den Potsdamer Platz und lauscht den Fassaden. Der Künstler und Meeresfan David Wahl verrät Staunenswertes über die Symbiose von Garnelen und Bakterien unter den widrigen Lebensbedingungen der Tiefsee, Lukas Meister öffnet Koffer, in denen immer kleinere Koffer stecken, Graf Fidi rappt über das Glück.

Je nach Playlist kann es passieren, dass die Erzählung über die 92-jährige Großmutter, die gerne paffte und mit einem Lächeln starb, vom Disput über die revolutionäre Kraft des Ungehorsams abgelöst wird. Ja, es sind nicht nur heitere Vokabeln dabei, die Schauspielerin Rébecca Chaillon zum Beispiel schäumt in der Badewanne vor Witz und Wut. Es folgt wahlweise eine Flüsterhymne über die Verwandlungskünste des resteverwertenden Komposts, oder Jessy James LaFleurs Slam über die Wertschätzung, die in so vielen Unternehmen zu kurz kommt. Im Homeoffice hätte man sie zu gern als Endlosschleife.

Achtung, die Videobibliothek hat Suchtpotential!

Luc Paquier freute sich, dass alle angefragten Kreativen postwendend zugesagt haben, aufstrebende Artist:innen genauso wie solche mit etablierten Namen. Monika Ginsterdorfer widmet dem Flughafen Tegel mit einem Rollkoffer-Slapstick eine letzte Hommage, das Kreuzberger Theater Thikwa steuert ein sonnenumspieltes lachendes Gesicht bei und Rimini Protokoll ein Fußballspiel mit Handicap. Eine zieht sich die Maske über die Augen, die andere kickt mit dem Rollstuhl, Tor, Applaus, weiter. Das Duo Adrien M und Claire B versetzt einen mit einem elegischen Kreistanz in einer digitalen Tröpfchenwolke in Trance, und das Collectif Petit Travers jongliert mit derart viel Esprit und Eleganz, dass man vergisst, es sind ja nur schnöde Bälle.

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Gefördert wurde das mit 45 000 Euro budgetierte Projekt von der Senatskanzlei im Rahmen der Städtepartnerschaft Berlin-Paris und vom 2020 gestarteten Bürgerfonds, der den zivilgesellschaftlichen Austausch zwischen Deutschland und Frankreich unterstützt. „Eurograph“ versteht sich als kleine Geste mit womöglich gar nicht so kleiner Wirkung: Wir wissen gar nicht mehr, wie man sich anfasst, meint Luc Paquier. Und dass die Künste uns nach der Pandemie helfen könnten, unsere Körper wiederzuentdecken.

Achtung, es ist nicht ganz ungefährlich, die Webseite während der Arbeitszeit anzusteuern. Wörter sind schnell getippt, und die Neugier ist ein starker Instinkt. Diese Buchstabenbibliothek hat Suchtpotential.
Die Online-Bibliothek ist zu finden unter www.eurograph.art. Mehr über das Weddinger Kulturzentrum unter centre-francais.de

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