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Open Mic auf Klassenfahrt: Roxy (Helena Charlotte Sigal, rechts) textet Rick (Matondo Castlo) zu.

© david baltzer / bildbuehne

„Das schönste Mädchen der Welt“ am Grips Theater: Battle-Reime mit Goldkante

Im Kino war ein „Das schönste Mädchen der Welt“ ein Hit. Jetzt inszeniert Frank Panhans den „Cyrano de Bergerac“-Stoff am Grips Theater als Hip-Hop-Musical.

Goldgesicht gewinnt immer. Während die anderen beim Battle-Rap das übliche Programm aus Machismo und Prahlerei performen („Ich trag das Auto deiner Eltern an mei’m Handgelenk“), tritt der Junge hinter der glänzenden Maske mit gnadenloser Offenheit zum verbalen Schlagabtausch an. Herausforderer Sunflash zum Beispiel glaubt bei der Open Stage im Mainzer Hofkeller ein dankbares Opfer vor sich zu haben: „Und was soll diese Maske, ist das FFP2? Mach hier nicht auf Sido von 2003“. Was Goldgesicht lässig kontert: „Ich trag die Maske, weil ich hässlich bin. Du hast Recht, wenn du sagst, dass ich ein Schwächling bin. Doch ich geh den Weg hier, ganz egal wie schwer. Denn wenn mir das hier jemand nimmt, dann hab ich gar nichts mehr!“ Das Publikum ist begeistert. Und der Sieger schnell verschwunden – bevor er dazu genötigt werden kann, seine Tarnung fallen zu lassen.

Cyril heißt der Junge, der wegen seiner großen Nase in der Schule gemobbt wird und kein sehr ausgeprägtes Selbstwertgefühl hat. Nur im Verborgenen entfaltet sich seine Wortgewandtheit. Entsprechend ist Cyril überfordert, als sich während der Klassenreise nach Berlin ausgerechnet Roxy neben ihn setzt: die Neue, die vor Coolness nur so sprüht und die unter gerüchtebefeuernden Umständen in England vom Internat geflogen ist. Roxy scheint auf Äußerlichkeiten nicht viel zu geben.

Allerdings verguckt sie sich dann doch ausgerechnet in Rick, den schweigsamen Schönen. Das Problem: Dessen Sprachsparsamkeit hat einen Grund. Rick ist nicht die hellste Kerze auf der Torte. Und wenn er sich an Liebesbekundungen versucht, kommt ein ziemlich gruseliger „Du bist ein Engel, der vom Himmel gefallen ist“-Murks heraus. Also bietet Cyril dem Nebenbuhler seine Hilfe an. Leiht ihm die Worte, die Rick niemals finden würde.

DJ Kaye Kayani in da House

Ja, es ist der gute alte „Cyrano de Bergerac“-Stoff, der Pate stand für „Das schönste Mädchen der Welt“ – in der Regie von Aron Lehmann 2018 ein beachtlicher Filmerfolg. Am Grips Theater hatte jetzt die Bühnenfassung Premiere, die Karsten Dahlem nach dem Drehbuch von Lars Kraume, Judy Horney und Aron Lehmann verfasst hat.

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Spaß und erste Liebe statt Machismo und dicke Hose.
Spaß und erste Liebe statt Machismo und dicke Hose.

© david baltzer / bildbuehne

Mit verdienten Standing Ovations. Zum einen sind die Hauptdarsteller:innen sensationell. Helena Charlotte Sigal als Roxy und Marcel Herrnsdorf als Cyril treffen nicht nur als verhindertes Liebespaar jeden Ton klischeefrei, sie rappen auch (zu den Beats von Live-DJ Kaye Kayani) fantastisch. Die Kombination Hiphop und Theater ist ja oft die Garantie für Fremdscham, hier gilt das Gegenteil. Und der bekannteste Song aus dem Film („Immer wenn wir uns sehen“) hat Ohrwurmqualitäten.

(Nächste Vorstellungen: Di, 19. April, 18 Uhr, Fr, 13., Sa,14.+ Mo, 16. Mai)

Ebenso gut ist der Rapper Matondo Castlo in der Rolle des tumben Rick, die er komödiantisch pointiert ausspielt. Lisa Klabunde und Yana Ermilova als Shoppingqueens, Marius Lamprecht und Daniel Pohlen als mobbende Fieslinge sowie Regine Seidler und René Schubert in den wechselnden Parts von Lehrer:innen, Battle-Rap-Moderator:innen und Cyrils Eltern komplettieren das tolle Ensemble.

Es gab ja zuletzt nicht wenige Theaterabende, die dem Relevanzdruck einer bedrückenden Gegenwart nicht standhalten konnten. In solche Nöte gerät die Inszenierung von Grips-Routinier Frank Panhans in keiner Sekunde. „Das schönste Mädchen der Welt“ ist eine mitreißend erzählte Lovestory in zeitgemäßem Sound, die ohne Ausrutscher aufs – selbstredend gerappte – Happy End mit dem Song „Phänomen“ zusteuert. Der ist dann kein Battle mehr: „Mit dir fühlt’s sich an, als ob das Leben gut ist. Und wenn du dich selber nicht liebst, ich tu es.“

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