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Ein neues gläsernes Geschoss nimmt dem Mémorial seine Schwere.

© Bernhard Schulz

Das neugestaltete Mémorial von Verdun: Bilder aus der Blutmühle

310.000 Tote für nichts: Das neugestaltete Mémorial bei Verdun erinnert an eine der fürchterlichsten Schlachten der Geschichte.

Als die Schlacht von Verdun Mitte Dezember 1916 abgebrochen wurde, hatte sich der Frontverlauf gegenüber dem Auftakt am 21. Februar nur um Meter verschoben. In den zehn Monaten dazwischen waren jedoch schätzungsweise 310 000 Soldaten gefallen, 167 000 auf französischer und 143 000 auf deutscher Seite. Eine ähnlich große Anzahl war verwundet worden, viele von ihnen für ihr Leben gezeichnet. Verdun wurde zum Inbegriff der Sinnlosigkeit des Ersten Weltkriegs, der Materialschlachten, des Stellungskriegs, der „Blutmühle“, wie es auf deutscher Seite hieß, oder schlicht der „Hölle“.
Der Erste Weltkrieg spielt im nationalen Gedächtnis Frankreichs eine ungleich bedeutendere Rolle als in Deutschland. Unter all den Schlachten des unverändert als „Grande Guerre“ erinnerten Krieges ist die von Verdun die symbolträchtigste, stand hier doch die französische Armee allein der deutschen gegenüber, ohne den Beistand der alliierten Expeditionskorps. Verdun war für Frankreich von Anfang an der Ort, an dem sich das nationale Schicksal entscheiden sollte. Der Fall der Stadt wäre das Menetekel der Republik gewesen, wie umgekehrt ihre erfolgreiche Verteidigung zum Signal des endgültigen Sieges erhöht wurde.

Zum 100. Jahrestag soll die Schlacht endlich eine historisch haltbare Darstellung bekommen

Auf den Höhen über diesem so bedeutungsgeladenen Ort liegt Fort Douaumont, die stärkste Befestigung des gesamten Verteidigungsgürtels. In dessen Nachbarschaft wurde bis 1932 ein Beinhaus für 130 000 Gefallene beider Kriegsparteien errichtet, als eigentümliche Mischung aus Monument und Grabeskirche. Hier trafen sich Staatspräsident Mitterrand und Bundeskanzler Kohl 1984 zur symbolischen Versöhnung der beiden Völker. Unweit entstand 1967 das „Mémorial“, die Gedenkstätte von Verdun, weniger Museum als Weihestätte der Veteranenverbände. Dieses Mémorial ist nun völlig neu erstanden, um zum 100. Jahrestag der mörderischen Schlacht endlich eine historisch haltbare Darstellung des Geschehens zu geben. Zu einer Zeit, da es längst keine Augenzeugen mehr gibt und sich familiäre Erzählungen, wenn überhaupt, bereits auf die dritte Generation der Vorfahren beziehen. Am 29. Mai – merkwürdigerweise erst drei Monate nach der 100. Wiederkehr des Schlachtbeginns – wollen Präsident Hollande und Kanzlerin Merkel an diesem, dann bereits eröffneten, Ort zusammentreffen. Die aus einem Wettbewerb hervorgegangen Architekten Brochet Lajos Puejo aus Bordeaux, die bereits die Orangerie in Paris sinnreich umgebaut haben, stellten sich die Aufgabe, das vorhandene, bizarrerweise im Monumentalstil der dreißiger Jahre errichtete Gebäude nicht völlig zu ersetzen, sondern es in Umriss und Teilen der Fassade neu zu füllen. Im Inneren ist fast alles neu - bis auf die Betonkonstruktion, die ebenso erhalten blieb wie der kirchenähnliche, jetzt nicht mehr genutzte Haupteingang. Denn das Erdgeschoss ließen die Architekten in einer sanften Erdschüttung verschwinden, während sie obenauf ein gläsernes Geschoss setzten, um dem Bau seine drückende Schwere zu nehmen. Das Erdgeschoss mutierte zum Eingangsgeschoss in Tieflage: zu einer Anmutung der Schützengräben des ausgedehnten Schlachtfelds, auf dessen mit Granatsplittern und Menschenknochen durchsetzten Boden sich das Mémorial erhebt.

Noch immer werden Überreste von Soldaten geborgen, auch beim Umbau des Museums

Ein neues gläsernes Geschoss nimmt dem Mémorial seine Schwere.
Ein neues gläsernes Geschoss nimmt dem Mémorial seine Schwere.

© Bernhard Schulz

Erst aus dem Dunkel der von den Pariser Szenografen Le Conte/Noirot in schwarz gehaltenen Ausstellungsräume mit gewundener Wegführung durch die einzelnen Themen, die mit originalen, wenn auch nicht immer vom Schauplatz Verdun stammenden Objekten eindrucksvoll bestückt sind, windet sich der Rundgang ins verglaste Obergeschoss, von wo sich ein Rundblick auf das schier unendliche Schlachtfeld bietet. Der heutige dichte Wald ist das Gegenteil der Mondlandschaft, zu der es seit dem allerersten Trommelfeuer aus 1200 deutschen Geschützen umgepflügt wurde. Noch immer werden menschliche Überreste geborgen, so auch beim Umbau zum nunmehr vollgültigen Museum – zwei tote Soldaten konnten noch ein Jahrhundert nach ihrem namenlosen Ende identifiziert werden.
Wenn 1984 mit dem Händehalten der beiden Staatslenker ein symbolischer Schlussstrich unter die wechselseitige Feindschaft gezogen wurde, so liefert die Neukonzeption des Museums das historisch so weit als möglich objektive Unterfutter. Es geht nicht mehr um Sieg und Niederlage. Es geht um die schätzungsweise 3,7 Millionen Soldaten, die auf beiden Seiten insgesamt in die Schlacht geschickt wurden, nach zermürbenden Tagen und Wochen immer wieder abgelöst, ersetzt und erneut an die mörderische Front geschickt. Zwischen Mannschaften und Offizieren wird in der Darstellung beispielhafter Einzelschicksale nicht geschieden. Multimedia-Inszenierungen, etwa Ausschnitte aus raren Dokumentarfilmaufnahmen, rücken die bisweilen etwas zu makellosen, oft aber auch vom Kampf gezeichneten Objekte in ihren Kontext – den eines Geschehens, das niemand vollständig überblickte und die meisten nicht einmal über den engsten Umkreis ihrer Unterstände, Gräben und Wasserlöcher hinaus.

Die zunehmende Mechanisierung der Schlacht wird gezeigt, die mit Kavallerie und klingendem Spiel begann und bald durch weitreichende Geschütze, Maschinengewehre, Flugzeuge, schließlich Panzer aus jeder individuell erfahrenen Sinnhaftigkeit gerissen wurde. Im Zeitalter der Massenheere erwies sich der einzelne Mensch als die größte Schwachstelle. Diese Lehre vermittelt das Museum, nicht belehrend, sondern allein durch die schiere Evidenz der Objekte und der sparsam geschilderten Fakten. Mit dem runderneuerten Mémorial von Verdun ist ein Ort der Aufklärung geschaffen, der den Nachgeborenen die Augen öffnet. Es hat tatsächlich eine nochmals blutigere Schlacht gegeben als diese im Osten Frankreichs, aber nie wieder eine, die strategisch dermaßen falsch angelegt, im militärischen Ergebnis so nichtig und im Ausmaß menschlichen Leids an Körper und Seele derart fürchterlich war.

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