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So dürfte das neue Bauen kaum aussehen. Der Sitz der Europäischen Kommission in Brüssel.

© Marcel Kusch/dpa

Das Neue Europäische Bauhaus: Architektur im grünen Bereich

Klimaschutz für Europa: Mit Blick auf das historische Bauhaus startet die EU eine breit angelegte Renovierungsinitiative.

Das Echo war groß, als Ursula von der Leyen im Herbst letzten Jahres das „Neue Europäische Bauhaus“ ausrief. Die Kommissionspräsidentin ließ Raum für Kreativität. Sie buchstabierte nicht aus, was genau sie meint, wenn sie sich in die Tradition der 1919 von Walter Gropius in Deutschland gegründeten Bewegung stellt. Worum es im Groben geht? Der Green Deal, also der Umbau der gesamten Volkswirtschaft auf Klimaschutz, soll unter dem Bauhaus-Oberbegriff auf den Gebäudebereich erstreckt werden. So wie das historische Bauhaus den sozialen und wirtschaftlichen Übergang zur Industriegesellschaft begleitete, soll das Neue Europäische Bauhaus (NEB) das Umschalten auf Nachhaltigkeit im Immobiliensektor einleiten.

Gebäude verursachen 40 Prozent des gesamten CO2-Ausstoßes. Die Klimaschutzziele werden von dem Sektor regelmäßig verfehlt. Das historische Bauhaus hat auf Baumaterialien wie Zement und Stahl gesetzt, um den Herausforderungen der Industrialisierung gerecht zu werden. Stahl- und Beton-Herstellung sind aber auch besonders emissionsintensiv. Jetzt geht es darum, Baumaterialien zu finden, die für einen geringeren Ausstoß von Treibhausgasen stehen.

Hinzu kommt, dass das Heizen der Wohnungen im Bestand fast ausschließlich mit fossilen Brennstoffen geschieht. Bis der Gebäudesektor klimaneutral ist – für die EU soll das Ziel 2045 erfüllt sein – muss also viel passieren. Der Potsdamer Klimaforscher Hans-Joachim Schellnhuber, der mit seinem Vortrag für die engsten Mitarbeiter der Kommissionspräsidentin das EU-Projekt „Bauhaus 2.0“ überhaupt erst angestoßen hat, bekennt freimütig: „Wie konnte ich nur so blind sein, und den größten Elefanten im Klimaraum, das Bauwesen, übersehen?“

Vom historischen Bauhaus inspiriert

Die Unschärfe des Konzepts „Neues Europäisches Bauhaus“ anfangs war durchaus gewollt. Diesmal sollte bewusst keine Richtlinie aus Brüssel den Weg weisen. Vielmehr wollte die Kommission zunächst zuhören, welche Ideen Architekten, Stadtplaner, Klimawissenschaftler und Soziologen haben. Vom historischen Bauhaus inspiriert, soll es ein interdisziplinäres Herangehen geben. Und auch das ist eine Anlehnung an das historische Vorbild: Die diesmal grüne Revolution beim Bauen soll ästhetisch sein.

Ideen dafür gibt es mittlerweile viele. Nach mehreren Monaten der Designphase, die Ende Juni abgeschlossen wurde, will die Kommission nun das Konzept voranbringen. Am 14. September wird die Kommission eine Mitteilung zum „NEB“ veröffentlichen, die auf knapp 20 Din-A-4-Seiten das Konzept beschreibt. Durchaus ungewöhnlich für Dokumente der Kommission, werden da anhand von vielen Bildern und grafisch aufwendig gestaltet Beispiele für mögliche Projekte aufgeführt. Zudem wird durchdekliniert, in welchen Haushaltstöpfen des Mehrjährigen Finanzrahmens der EU die Kommission Mittel für die Bau-Revolution lockermachen will.

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Vor allem den Wohnungsbestand steht im Fokus. So listet ein Anhang des Kommissionstextes Maßnahmen auf, die die fällige Renovierungswelle anschieben sollen. Auch eine Regulierung für klimaschonende Baumaterialien ist in Arbeit. Wenn es nach Schellnhuber geht, sollen Holz und Lehm im großen Stil Stahl und Beton ersetzen.

Doch Architekten sind sich einig, dass Holz und Lehm nicht alle Probleme lösen. Die Branche meint vielmehr, dass etwa Teflon den Stahl im Stahlbeton ersetzen könnte, aber Bauen ganz ohne Zement unrealistisch ist. Damit die Wende eine Chance hat, muss das Vergaberecht umgekrempelt werden, in dem bislang der Gedanke der Nachhaltigkeit keinen Platz hat.

In Berlin sollen mehrere Bewerbungen in Arbeit sein

Wenn das historische Bauhaus ins 21. Jahrhundert übersetzt wird, darf es nicht bei Ideen und Konzepten bleiben. Ideen sind gut, ihre Umsetzung schwierig, zumal wenn es bis zur nächsten Europawahl geschehen soll. Daher wird die Kommission im September fünf Pilotprojekte für die ersten Neuen Europäischen Bauhäuser ausschreiben. Der Kriterienkatalog ist noch nicht veröffentlicht, klar ist nur, dass es je Projekt von der Kommission einen Zuschuss von fünf Millionen Euro gibt. Dieser Zuschuss aus Brüssel kann mit Mitteln aus anderen Fördertöpfen kombiniert werden.

Wie zu hören ist, sind von Helsinki bis Athen bereits zahllose Bewerbungen für die NEB-Piloten in Arbeit. Die Konkurrenz wird groß sein. Bei 27 Mitgliedstaaten ist klar, dass allenfalls ein Pilotprojekt an jedes Mitgliedsland geht. Gedacht ist nicht nur an Modell-Gebäude, auch ein Konzept für einen Umbau, für ein ganzes Quartier sind denkbar. Nur bauhauskompatibel soll es sein, partizipativ und die Lebensqualität der Menschen verbessernd.

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In Berlin sollen mehrere Bewerbungen in Arbeit sein. Bundesweit dürfte eine zweistellige Zahl von Kandidaten ins Rennen gehen. Wann immer Brüssel auf EU-Ebene den Zuschlag verteilt, geht normalerweise nichts ohne begleitendes Lobbying durch den Mitgliedstaat. In der Bundesregierung liegt die Federführung für das „NEB“ beim Bundesinnenministerium. Minister Horst Seehofer (CSU) und seine Beamten sind auch für den Bau zuständig.

Im Ministerium hat man zwar sehr wohl eine Vorstellung, welche Kriterien eine deutsche Bewerbung erfüllen müsste. Man will aber darauf verzichten, einer Bewerbung den Stempel der Regierungsempfehlung zu geben. Stattdessen will das Ministerium im Herbst eine digitale Plattform aufsetzen, die Kandidaten mit den notwendigen Informationen versorgt und dem Dialog dient.

Fällig sei eine Neuerfindung der Stadtregion

Eine Bewerbung für einen Bauhaus-Piloten kommt aus Baden-Württemberg. Andreas Hofer, Intendant der IBA 27, bereitet eine Internationale Bauausstellung in Stuttgart vor. Der Architekt hat sich in Zürich mit dem von ihm betreuten Genossenschaftsprojekt „Mehr als Wohnen“ einen Namen gemacht. Zum 100-jährigen Bestehen der Stuttgarter Modellsiedlung Weissenhof mit ihren 21 Musterhäusern will IBA 27 anhand von konkreten Beispielen zeigen, wie zukunftsweisende Architektur und das Bauwesen aussehen kann.

Bereits jetzt sind 16 IBA-Projekte in der Planung. Zusammen mit der Universität Stuttgart und der Architektenkammer Baden-Württemberg sitzt Hofer an der Bewerbung für einen Bauhaus-Piloten. Der Arbeitstitel könnte „Gläserne Baustofffabrik“ lauten. Die Idee dreht sich um Baustoffe der Zukunft, ihr Recycling und neue Fertigungstechniken. Mehrere Fachrichtungen sollen eingebunden sein, um Ökologie, Ökonomie und gute Architektur zu kombinieren.

Sowohl IBA 27 und das neue Brüsseler Bauen beziehen sich auf Reformbewegungen aus den Umbruchszeiten der 20er Jahre des vergangenen Jahrhunderts. „100 Jahre später befinden wir uns wieder in einer Umbruchszeit“, analysiert Hofer. Die Folgen von 100 Jahren Industriegesellschaft mit der räumlichen Trennung von Arbeitsplatz und Wohnort seien nicht mehr zufriedenstellend für viele Menschen. Fällig sei eine Neuerfindung der Stadtregion. Angestrebt werde die Transformation reiner Wohn- und Gewerbeviertel zu „produktiven Quartieren, in denen Wohnen und Freizeit, die industrielle und landwirtschaftliche Produktion zusammenkommen“.

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