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Komm und spiel mit mir. Paul Wegener als Golem. Stummfilm-Standfoto von 1920.

© Deutsches Filminstitut, Frankfurt am Main, Nachlass Paul Wegener/Sammlung Kai Möller

Das Monster in den Gassen: Wie der Golem in die Welt kam

Wesen aus Ton, Steine, Erde: Das Jüdische Museum Berlin präsentiert die Kulturgeschichte des Golems.

Wie der Golem in die Welt kam: mit Rauch und Blitz und unter heftigem Armgefuchtel. Rabbi Löw setzt seiner Kreatur, die er aus den vier Elementen Erde, Wasser, Feuer und Luft erschaffen hat, einen fünfzackigen Stern in die Brust und dreht daran wie an einer Schraube. Flatternd öffnet der Golem seine asiatisch anmutenden Augen, um unter seiner helmartigen Prinz-Eisenherz-Frisur lauernd-neugierige Blicke in den Raum zu werfen. Dann stakst er los, den Befehlen seines Meisters gehorchend, roboterhaft ungelenk. Den Gehilfen stößt er rüde um. Er ist ein Riese, der wie aus Ton gebacken aussieht. Auf der Welt ist er, um die Juden von Prag zu beschützen. Doch bald wird aus dem Retter eine Gefahr.

Paul Wegener, Theaterstar an den Berliner Max-Reinhardt-Bühnen, hat zwischen 1914 und 1920 gleich drei Golem-Filme inszeniert. In allen drei Filmen übernahm er die Titelrolle, neben ihm spielte seine damalige Ehefrau Lyda Salmonova. Keiner hat das Bild von dem mythischen Monster stärker geprägt als Wegener, deshalb ist ihm in der Golem-Ausstellung des Jüdischen Museums Berlin ein eigener Raum unter der Überschrift „Horror und Magie“ gewidmet.

Der Golem, eigentlich ein unschuldiges Wesen, fühlte sich, ähnlich wie später Frankensteins aus Leichenteilen gefertigtes Monster, zu Kindern hingezogen. Ein Standfoto zeigt ihn mit einem Mädchen, das ihm einen Apfel reicht. Wegener verkörperte mit seiner wuchtigen Darstellung den Typus des kämpferischen, frühzionistischen „Muskeljuden“, das Gegenbild zum antisemitischen Klischee eines verweichlichten „Ghettojuden“.

Ein gefallener Riese

Die Entwürfe zu „Der Golem, wie er in die Welt kam“ sind Kunstwerke aus eigenem Recht. Filmarchitekt Hans Poelzig schuf expressionistisch gezackte Albtraumkulissen, ein klaustrophobisches Prag aus dem nervösen Umbruchsgefühl des Nachkriegs-Berlin. Filmplakate präsentieren mittelalterliche Giebelhäuser, die sich wie Bäume biegen oder in Flammen stehen. Nichts bleibt, wie es war, die Welt gerät ins Wanken. Im Raum zur jüdischen Mystik liegt ein übermenschengroßer Golem, zusammengebaut vom amerikanischen Künstler Joshua Abarbanel. Er glotzt zur Decke, Arme und Beine weit abgespreizt. Ein gefallener Riese, ähnlich lächerlich wie Superman im Käfig.

Geformt – und das ist die Pointe – hat Abarbanel seine Skulptur aus den hebräischen Buchstaben mem und taw, der Buchstabe aleph hängt an einer gesprengten Kette um seinen Hals. Zusammen bilden sie das Wort emet, das Wahrheit bedeutet. Entfernt man den Buchstaben aleph, entsteht der Begriff met, tot. Der Golem beweist die Macht der Sprache, des geschriebenen Wortes. Sein Schöpfungsakt wurde im Mittelalter als Versuch verstanden, Gott herauszufordern und spirituelle Vollkommenheit zu erlangen.

Der Geburtsort war Prag

Ursprünglich war allein der alchemistisch-kabbalistische Prozess wichtig, nicht sein Zweck, das Geschöpf. Deshalb sollte der Golem, sobald erweckt, sofort wieder leblos gemacht werden. Erstmals erwähnt wird der Golem in einem biblischen Zwiegespräch zwischen Adam und Gott. Golem-Rezepte, Anleitungen zum Bau eines Kunstwesens, kursierten bereits im 12. Jahrhundert, in der Ausstellung ist ein Buch mit Abschriften aus dem 15./16. Jahrhundert zu sehen. Das Material, aus dem der Golem geformt werden sollte – Ton, Steine, Erde – musste regelrecht besprochen werden, das Leben wurde ihm Wort für Wort eingehaucht. „Wenn du den Mund machst, kombiniere den Buchstaben bet; für das rechte Auge die Gestalt gimel, für das linke Auge he; für das rechte Ohr resch, das linke Ohr taw“, heißt es in einem Ratgeber aus der Mitte des 17. Jahrhunderts.

Im Mittelalter war die Erschaffung des Golems ein mystisches Ritual, zum Beschützer der Juden avancierte er erst im 19. Jahrhundert, analog zum Anstieg antisemitischer Pogrome in Osteuropa. Aus der Glaubensgestalt wurde ein Gruselheld und ein Phantom. „Wer kann sagen, dass er über den Golem etwas wisse?“, fragte Gustav Meyrink. „Man verweist ihn ins Reich der Sagen, bis sich eines Tages in den Gassen ein Ereignis vollzieht, das ihn plötzlich wieder aufleben lässt.“

Prag ist Schauplatz der Geschichte

Wiederbeleber der Figur war Meyrink selbst, dessen 1915 publizierter Schauerroman „Der Golem“ zum internationalen Bestseller aufstieg. Hugo Steiner-Prag lieferte schwarz-weiße Illustrationen, auf denen der Golem – anders als in den Stummfilmen – eine überlängte, mephistophelische Gestalt ist. Als Schauplatz der Geschichte wurde Prag etabliert, wo Rabbi Löw den Golem auf dem Dachboden der Altneu-Synagoge zum Leben erweckt haben soll. Angeblich sind dort bis heute Spuren zu finden. Rabbi Judah Löw hat es tatsächlich gegeben. Allerdings interessierte sich der Prediger und Philosoph zwar für Astronomie und Astrologie, aber nicht für die Kabbala. Der exzentrische Kaiser Rudolf II. soll ihn um 1600 an seinen Künstler- und Gelehrtenhof eingeladen haben. Den Reichtum von dessen Wunderkammer bezeugt im Jüdischen Museum eine 3-D-animierte Raumnische voller schwebender Skulpturen, Gemälde und Prunkgefäße.

Die von Emily D. Bilski und Martina Lüdicke kuratierte Ausstellung bietet mehr als 250 Exponate auf und mischt Kunst- und Kulturgeschichte mit Produkten aktueller Kunst. Michael David hat ein großes Hakenkreuz aufgehängt, besprenkelt mit Ton- oder Lehmstücken. Eine Warnung vor der Entfesselung zerstörerischer Kräfte. Christian Boltanski genügen eine Lampe, ein Ventilator und eine Blechmaske, um ein flackerndes, diabolisch zähnefletschendes Gespenst an die Wand zu werfen. Anselm Kiefer, gewohnt bedeutungsschwanger, stellt einen kopfartigen Klumpen und eine Metallschachtel auf einen Sockel, streut Bleisatzbuchstaben drum herum und schreibt drunter: „Rabi Löw: der Golem“. Aha.

Chiffren der Schöpfung

Eine Galerie aus kleinen Kunststofffiguren, zumeist in China produzierte Golem-Spielzeuge aus Computerspielen wie Clash of Clans, Pokémon oder Minecraft, belegt die anhaltende Popularität der alttestamentarischen Schöpfung. Die Spuren des Golems als Urvater allen künstlichen Lebens werden bis in die Welten von Cyborgs und Robotern verfolgt sowie auf die legendären „FAZ“-Seiten zur Entschlüsselung des menschlichen Genoms, die unter der Headline „Das Buch des Lebens“ ausschließlich Gencodes druckte: TTATTA, CATTAT, AAAAA. Chiffren der Schöpfung.

Von einem israelischen Großcomputer, den der Kabbala-Gelehrte Gershom Scholem 1965 auf den Namen Golem taufte, ist eine Platine zu sehen. Etwas weiter liegt das aktuellste Stück der Ausstellung, eine weiße Baseballkappe mit der Aufschrift „Make America Great Again“. „Wie der Chelmer Golem scheint Donald Trump mit jedem Fernsehauftritt und jeder wahnwitzigen Bemerkung an Macht zu gewinnen“, hat der kanadische Journalist Neil Macdonald bemerkt. Kein anderes Wesen, das aus Schlamm, Feuer und Luft hergestellt wurde, scheint momentan gefährlicher zu sein als der republikanische Präsidentschaftskandidat.

Jüdisches Museum, bis 29. Januar. Täglich 10–20, Mo 10–22 Uhr. Katalog 29 €.

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