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Reißender Strom von Farben und Bildern. Der amerikanische Schriftsteller T. C. Boyle, 70.

©  Jamieson Fry/Hanser Verlag

"Das Licht" von T.C. Boyle: Heilige Drogen

Mit Timothy Leary an die Grenzen des Bewusstseins gehen: T. C. Boyles rasant erzählter Roman „Das Licht“.

Es dürfte nur ein Zufall sein, dass hierzulande fast zeitgleich zwei Bücher aus den USA veröffentlicht werden, die sich mit psychotropen Substanzen beschäftigen, mit bewusstseins- und wahrnehmungsverändernden Rauschmitteln wie LSD und Psilocybin: nämlich Michael Pollans Studie „Verändere dein Bewusstsein“ (Verlag Antje Kunstmann, übersetzt von Thomas Gunkel, 450 Seiten, 26 €) und der neue Roman von T. C. Boyle, „Das Licht“.

Während der erfolgreiche Sachbuchautor und Journalistikprofessor Pollan nicht allein die Entdeckungs- und Wirkgeschichte dieser Substanzen erzählt, sondern insbesondere auch, wie Ärzte und Wissenschaftler seit einigen Jahren wieder versuchen, diese als palliative Begleitmedikation oder als Therapeutikum für verschiedene Erkrankungen von Krebs über Alkoholismus bis zu Depressionen nutzbar zu machen, steht in Boyles Roman einer ihrer damals glühendsten Verfechter im Zentrum des Geschehens: der LSD-Guru Timothy Leary. Das allerdings nur zu der Zeit, da sein Stern gerade aufgegangen und schon wieder im Begriff war, zu verlöschen: den Jahren 1962 bis 1964.

„Wir sind Empiriker, wir gehen rational vor, wir sind Wissenschaftler“, sagt Leary

Fiktive Hauptfiguren aus der realen Gruppe der Jünger und Jüngerinnen von Leary (etwa der Psychologe Richard Alpert oder der Psychiater Walter Pahnke) sind in „Das Licht“ das Ehepaar Fitzhugh und Joanie Loney und ihr halbwüchsiger Sohn Corey. Sie lernen Leary in Cambridge kennen, wo Fitz, wie er kurz genannt wird, als wissenschaftlicher Assistent am Fachbereich Psychologie der Harvard University tätig ist und von Leary betreut, aber auch als Versuchsperson gecastet wird. Eben für bestimmte Sessions, auf denen Leary das „Sakrament“ verabreicht, wie er seine psychoaktiven Pillen nennt, erst Psilocybin, dann LSD. „Wir sind Empiriker, wir gehen rational vor, wir sind Wissenschaftler“, sagt er zu seinem Doktoranden nach der ersten Psilocybin-Sitzung, die Fitz weder eine Begegnung mit Gott noch mit dem Licht beschert hat, „aber Psilocybin – und LSD, Fitz, LSD – eröffnen einen Zugang zu Bereichen des Gehirns, von deren Existenz bisher niemand auch nur geträumt hat. Das ist der Ursprung der Religionen, der mystischen Kulte, der Mysterien von Eleusis: Sie haben Drogen genommen, das ist alles.“

Nun ist T. C. Boyle ein Schriftsteller, der souverän mit seinen Stoffen umzugehen versteht und dabei keine Anstalten macht, in Bereiche der Literatur vorzustoßen, die seine vielen Fans womöglich irritieren könnten. Wie in „Dr. Sex“, seinem Roman über den Sexualforscher Alfred C. Kinsey, oder „Willkommen in Welville“, seinem John-Harvey-Kellogg-Roman, ist Boyle nicht daran gelegen, das Porträt einer historischen Figur zu zeichnen, also das Leben und den Charakter Timothy Learys näher zu erkunden.

Wichtiger ist ihm, zu erzählen, wie die Droge 1943 in Basel von Albert Hofmann eher zufällig entdeckt wird, was er mit einem an sich überflüssigen, dreißigseitigen „Vorspiel“ macht. Um schnell dazu überzuleiten, wie sich knapp zwanzig Jahre später mithilfe der neuen Droge eine kleine Gesellschaft mit eigener Moral herausbildet. Diese versteht sich zunächst als wissenschaftliche Avantgarde und huldigt dann nach der Entlassung Learys durch die Harvard-Oberen erst recht ihrem eigenen Lifestyle und probiert neue Lebensformen aus, pendelnd zwischen Selbstfindung, immer höher dosierten, intensiveren Räuschen und sexuellen Abenteuern. Und scheitert schließlich, das gehört zu den Topics, dem Subtext vieler T.-C.-Boyle-Romane, an ihren Träumen eines alternativen Lebens, an ihren Idealen, ihrer Hybris.

Das sogenannte Freitagsexperiment kommt auch vor

„Einen kreischend grellen Trip an die Grenzen des Bewusstseins und darüber hinaus“ verspricht der Verlag, womöglich selbst ganz LSD-umnebelt. Das ist besonders in Bezug auf die Sessions, die jeweiligen Trips und ihre Flashbacks, die T. C. Boyle nüchtern und nachvollziehbar bei seinen Hauptfiguren beschreibt, eine Produktenttäuschung: Da erwachen doch etwas schlicht „alle Objekte im Raum zum Leben“, „als hätten sie ein Herz und würden von Blut durchströmt“, da setzt die Wirkung mit „einem reißenden Strom von Farben und Bildern ein“ – und da sind die Schilderungen in Michael Pollans oben erwähntem Buch nach dessen LSD- und Psilocybin-Selbstversuchen eine einzige, nicht zuletzt intellektuelle Offenbarung.

Aber man muss Boyle dankbar dafür sein, dass er die Trips auf Distanz hält und literarisch nicht groß herumexperimentiert, nur weil das Thema des Rausches das vorgibt. Er erzählt konventionell, mit einer gewissen Rasanz und einem schönen Gespür für Szenen und Szenerien, was Fitz und Joanie in der Leary-Gruppe widerfährt. Ihre Ehe geht schließlich in die Brüche, der psychogeografischen Problematik innerhalb der Leary-Gruppe ist sie nicht gewachsen.

Dabei hält sich der US-Schriftsteller an legendäre historische Ereignisse: zum Beispiel den Double-Blind-Versuch mit den Theologiestudenten, das sogenannten Karfreitagsexperiment; die zwei Sommer in Mexiko im Rahmen des von einer Novelle von Aldous Huxley inspirierten „Zihuatanejo-Projekts“. Oder auch an das Zusammenleben in dem Millbrook-Anwesen an der Ostküste der Staaten, wo die Leary-Crew schließlich landet:  „Wenn man sich etwas vorgestellt hat, bleibt die Realität nur zu oft hinter den Phantasiebildern zurück. Beim Alten Haus war es nicht so. Von dem Augenblick, an dem es in Sicht kam, war Joanie verzaubert.“

Die Drogen sind alles, was von den Utopien blieb

T. C. Boyle hat in zwei großen Kapiteln die Perspektive seines männlichen Protagonisten gewählt, in einem die von Joanie, was gut funktioniert. Und obwohl sie nach einigem Zögern mehr noch als Fitz an die Bewusstseinserweiterung und die fantastischen Möglichkeiten von LSD glaubt, verliert Joanie zuerst alle Illusionen, packt sie zuerst ihre Klamotten, um mitsamt Sohnemann in ein kleinbürgerliches Leben zurückzukehren.  

Es ist schon von Beginn an klar, was in „Das Licht“ passiert: dass gegen Eifersüchteleien und bürgerliche Konventionen auch der Leary-Kreis nur schwer ankommt. Dass das mit dem „Ausbrechen“ so eine Sache ist, zumal es ja auch Geld braucht. Und dass auch die psychische Suchtgefahr viel größer, dominierender ist als das dem LSD innewohnende medizinisch-psychologische Potenzial, zu schweigen vom Alkohol, dem Fitz verfällt.

Sensibler verfährt Boyle mit den schleichenden Veränderungen, die von außen ins Innere des Hauses gelangen. Als statt des kühlen, modernen Jazz plötzlich den ganzen Tag „Love Me Do“ von den Beatles läuft; als die Gruppe von der Ermordung Kennedys erfährt; oder als eines Tages Ken Kesey, der Autor des Romans „Einer flog übers Kuckucksnest“, mit seinen Pranksters in einem bunt bemalten Bus in Millbrook vorbeikommt. Dieser Besuch ist das erste Vorzeichen der Hippie-Bewegung, des Sommers der Liebe – und dafür, dass der Spaß die LSD-Wissenschaft abgelöst hatte, die Gesellschaft sich auch ohne betont soziale Experimente veränderte. Was Fitz nicht ahnt: „Diese Leute, diese Clowns in ihren Kostümen glaubten, sie hätten mit Millbrook etwas gemeinsam und wären hier willkommen, aber das war nicht der Fall, nicht mal annähernd.“

Clowns sind sie nicht, Fitz, Joanie, Leary und die anderen, aber tragische Figuren. Am Ende dieses rechtschaffenen Romans von T. C. Boyle können sie gerade einmal sagen, Drogen genommen zu haben – und dass das alles war, was von ihren Utopien blieb.

T. C. Boyle: Das Licht. Roman. Aus dem amerikanischen Englisch von Dirk von Gunsteren. Hanser Verlag, München 2019.380 Seiten, 25 €.

T. C. Boyle startet am Mo, 4.2. in Berlin seine Europa-Tour, Premiere des Romans ist im rbb-Sendesaal, 20 Uhr, am Di, 5.2. gibt es im Kulturkaufhaus Dussmann in Berlin eine Signierstunde um 18 Uhr, alles weitere unter: https://www.tcboyle.de/t-c-boyle-lesereise-2019/

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