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Jerry Hoffmann, Thomas Wodianka, Taher Şahintürk, Dimitrij Schaad und Cynthia Micas in "Das Kohlhaasprinzip".

© Imago

"Das Kohlhaas-Prinzip" am Gorki: Angriff der Rache-Raben

Uraufführung am Maxim Gorki Theater: Yael Ronen lässt in ihrer Kleist-Variation „Das Kohlhaas-Prinzip“ Posen, Klischees und Provokationen aufeinanderknallen.

Eines muss man dem Schauspieler Dimitrij Schaad lassen. Er fackelt nicht lange und erzählt wirklich nur das Allernötigste über sich: „Schauspielerisch bin ich der Hammer!“ Nach dieser Feststellung kommt der junge Mann an der Rampe des Maxim Gorki Theaters umstandslos zur gesellschaftsrelevanten Sache. „Wir sind Teil eines ungerechten Systems“, agitiert er seine Kollegen, „wir sollten aufbegehren!“ Und weil die Kollegen so betreten dreinschauen, halb genervt und halb belustigt, macht Schaad sich die Mühe, jeden einzelnen von ihnen generös über seine spezifische Diskriminierungslage aufzuklären. „Schwarz und behindert sein in diesem Land“, schleudert er etwa Jerry Hoffmann entgegen, „wenn ich du wäre, wäre ich so richtig sauer!“

Der Adressat verdreht die Augen und murmelt etwas von „Meniskusproblem“, aber Dimitrij Schaad hat schon das nächste Diskriminierungsopfer beim Wickel. „Cynthia, du bist so schön“, eifert er der Schauspielerin Cynthia Micas entgegen. „Du musst so wütend sein, weil niemand dich angucken kann, ohne daran zu denken, wie du nackt aussiehst!“ Und der Kollege Thomas Wodianka – weiß, männlich und vor 41 Jahren im relativ spektakularitätsunverdächtigen bayrischen Schrobenhausen geboren? Zu alt, klagt Schaad mitfühlend.

In Yael Ronens Kleist-Übermalung gibt es den Titelhelden doppelt

Kurzum: Protest anno 2015 ist eine routinierte Kulturtechnik. Erstens hat sich die Fremdzuschreibung längst vor die Selbstdefinition geschoben: Die passende Schablone fürs jeweilige Wutbürgertum liegt gern schon vor der Bürger-Wut selbst bereit. Und zweitens gestalten sich die Grenzen zwischen Empörung und Empörungsperformance ziemlich durchlässig. Wenn sich Yael Ronen und das Gorki-Ensemble von diesem Sprungbrett in Heinrich von Kleists Wutbürger-Novelle „Michael Kohlhaas“ abstoßen, ist jede Figur also notwendigerweise immer auch schon das ihr vorauseilende Klischee.

Bei Kleist radikalisiert sich der unbescholtene Rosshändler Michael Kohlhaas im 16. Jahrhundert zum brandschatzenden Mörder, als ihm willkürliches Unrecht durch die Obrigkeit widerfährt und seine Klagen dagegen vom korrupten, kungelnden, übermütigen Amtsschimmel wieder und wieder abgeschmettert werden. Dabei ist die Kleist’sche Figur von wohltuend komplexer Ambivalenz: Kohlhaas – „einer der rechtschaffensten zugleich und entsetzlichsten Menschen seiner Zeit“ – opfert dem grundsätzlich verständlichen, aber zunehmend prinzipienreiterisch ausgetragenen Gerechtigkeitskampf letztlich sein Leben.

In Ronens Übermalung „Das Kohlhaas-Prinzip“ indes existiert der Titelheld erstens doppelt und zweitens – wegen des besagten Klischee-Apriori – weniger komplex. Taner Şahintürk gibt Kohlhaas Nummer eins als palästinensischen Käsehändler, der von einer schlecht gelaunten Soldatin an der israelischen Grenze schikaniert und später inhaftiert wird, in Deutschland Asyl beantragt und aus dem ihm zugewiesenen Heim flüchtet, weil es von Neonazis belagert wird.

Der Berliner Kohlhaas mutiert langsam zum Terroristen

In Berlin-Friedrichshain trifft er dann auf Kohlhaas Nummer zwei: einen veganen „Entrepreneur für elektrische Fahrräder“ und vorbildlich liebenden Vater mit Fahrradhelm, der noch nie in seinem Leben einen Strafzettel bekommen hat und so, wie Thomas Wodianka ihn spielt, sicher noch nicht mal ahnt, wie man die Vokabel „Schwarzfahren“ überhaupt buchstabiert. Der palästinensische Kohlhaas wird Zeuge, wie der Berliner Kohlhaas – den Sohn auf dem Fahrrad-Kindersitz – rüde von einer gepanzerten Luxuskarosse angefahren wird, deren Fahrer Hajo von Tronka zu den reichsten Dynastien des Universums gehört und entsprechend gute Beziehungen in die obersten Justiz- und Regierungskreise unterhält. Pech für den Entrepreneur, zumal sein palästinensisches Alter Ego – der einzige Unfallzeuge – ohne gültige Papiere freilich kaum selbstmörderisch zur Aussage bei der Polizei erscheinen wird.

Wie Herr Kohlhaas-Friedrichshain schließlich zum Terroristen mutiert, der für die große Gerechtigkeit zusehends sein kleines Kind vernachlässigt, erzählt Yael Ronen in knackigen, gern auch betont krachledernen Bildern. Boulevard-Scheu war schließlich noch nie das Problem dieser Ausnahme-Regisseurin, die mit ihrer Ex-Jugoslawien-Recherche „Common Ground“ vom Gorki gerade zum Berliner Theatertreffen eingeladen war und nächste Woche gleich zu den Mülheimer „Stücken“ weiterreist. Anders als dort arbeitet Ronen beim „Kohlhaas-Prinzip“ nicht mit den Biografien der Schauspieler, sondern wirft gemeinsam mit ihnen bewusst alles umstandslos in den „Kohlhaas“-Topf, was so an Ungerechtigkeitsstereotypen und Widerstandsposen in zeitgenössischen Bewusstsein herumschwirrt.

Thomas Wodianka gibt ein ultracooles Mick-Jagger-Double

Da robben Facebook-Communitys mit Guy-Fawkes-Masken über die Bühne, um in Kohlhaas’ Namen so ziemlich alles abzufackeln, was sich in Berlin für gehobenen Standard hält – vom Borchardt bis zum Soho-House. Vor der brennenden Kulisse wiederum setzt sich Thomas Wodianka als ultracooles Mick-Jagger-Double in Szene, von dessen Beinverknotungsqualitäten zu „Paint it Black“ selbst das Original durchaus noch was lernen kann.

Dimitrij Schaad kostet die Kotzbrockigkeit seiner Von-Tronka-Rollen mit solchem Hochgenuss aus, dass er die Unsympathen-Dynastie gleich komplett durchspielt – vom väterlichen Schlaganfallpatienten im Rollstuhl, dem im Geheimtreffen mit dem korrupten Innenminister gigantische Spuckfontänen entfahren, bis zum schmierig-fahrerflüchtigen Sohn mit sichtlichem Testosteron-Überschuss. Und wenn Cynthia Micas auf einer zusätzlichen Handlungsebene als eine Art schwarzer Rache-Rabe ins Szenario einschwebt, sieht sie aus, als sei sie geradewegs einer „Catwoman“-Verfilmung entstiegen.

Wohl wahr: Wohl dem, der Widerspruch und Revoluzzer-Pose, Protest und Protestfolklore anno 2015 auseinanderzudividieren vermag!

Wieder am 4.6. und 14.6., 19.30 Uhr

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