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© KEYSTONE

Das Fauchen einer Kämpferin: Die große Souldiva Tina Turner wird 70

Löwenmähne, Minirock und High Heels: Das ist seit fast einem halben Jahrhundert ihre corporate identity. Als Tina Turner im letzten Herbst eine Comebacktournee ankündigte, reichte es aus, ihre Silhouette zu plakatieren, um europaweit für ausverkaufte Hallen zu sorgen. Zum 70. Geburtstag.

Die Sängerin, die heute – man glaubt es kaum – ihren 70. Geburtstag feiert, verfügt über die berühmtesten Beine des Showbusiness seit Marlene Dietrich.

Dabei waren es diese Extremitäten, wegen derer sie als Kind ihren Körper hasste: „Ich hatte einen kurzen Hals und einen kurzen Rumpf und bestand praktisch nur aus Beinen.“ Später sollte das, was sie mit ihren Beinen auf der Bühne anstellte, die Zuschauer verrückt machen. Als sie 1966 mit der „Ike & Tina Turner Revue“ durch England tourte, stand oft Mick Jagger in den Kulissen und bewunderte ihre Fertigkeiten. Bald darauf brachte Turner ihm den „Pony-Dance“ und andere Tanzschritte bei. Von diesen Unterrichtseinheiten profitiert der Stones-Sänger bis heute.

Tina Turner wurde am 26. November 1939 als Anna Mae Bullock in der Nähe von Memphis, Tennessee, geboren. Dem Südstaaten-Städtchen, in dem sie groß wurde, setzte sie später mit dem selbst komponierten Hit „Nutbush City Limits“ ein Denkmal. Die Tochter eines Farmaufsehers wuchs in relativ wohlhabenden Verhältnissen auf, fühlte sich aber von den Eltern, die sie zur Großmutter abschoben, nicht geliebt. Als sie 1958 in St. Louis, wo die Mutter inzwischen lebte, dem lokalen Popstar Ike Turner begegnete, besserte das ihre Situation nicht wirklich. Der acht Jahre ältere Gitarrist und Sänger, der mit „Rocket 88“ einen der allerersten Rock’n’Roll-Titel geschrieben hatte, war ein Soulgenie, aber auch ein Psychopath und Drogenjunkie.

Wie ein Pygmalion formte Ike die vormalige Gospelsängerin mit der auffallend rauen Stimme zum Geschöpf seiner Fantasie. Er ließ ihre Zähne in Ordnung bringen, stellte sie mit einer Langhaarperücke auf die Bühne und verpasste ihr den Künstlernamen Tina, weil sich das auf „Sheena“ reimte. Die von Liane zu Liane schwingende „Dschungelkönigin“ zählte zu seinen Lieblingsfilmfiguren.

Tina Turner hat die Beziehung zu Ike, den sie bald in einer Blitzhochzeit im mexikanischen Tijuana heiratete, als Sucht beschrieben – eine Sucht mit erheblichen Nebenwirkungen. Ike enthielt seiner Ehefrau die Gagen vor, betrog sie laufend, besonders gerne mit seinen Tänzerinnen, den „Ikettes“, vor allem aber misshandelte er sie. Er schlug sie aus nichtigsten Anlässen mit Fäusten, seinen Schuhen oder Schuhspannern.

„Ich ging nach Haus, legte einen Eisbeutel auf und fand irgendeine Methode, um in den nächsten Tagen zu singen. Ich machte einfach weiter“, erinnert sie sich in einer materialreichen Biografie, deren deutsche Ausgabe gerade erschienen ist (Mark Bego: Tina Turner. Die Biografie. Aus dem Englischen von Ulrike Lelickens, Hannibal Verlag, 335 Seiten, 24, 90 €). Selbst als Ike seiner Frau den Kiefer gebrochen hatte, zwang er sie noch zu einem Auftritt. Und als sie mit 50 Valiumtabletten einen Selbstmordversuch unternahm, fuhr er sie bloß an: „Willst du mein Leben ruinieren?“

Es war die Hölle. Aber daraus gingen dennoch einige der besten Soulsongs aller Zeiten hervor wie der erste Hit „A Fool In Love“, der mit Tinas „Whooooooaaaah“-Fauchen einsetzt, das brodelnde „I Idolize You“ oder die CCR-Adaption „Proud Mary“. Zum Höhepunkt geriet die Vierminutensinfonie „River Deep – Mountain High“, bei der der größenwahnsinnige Produzent Phil Spector 1966 nicht weniger als 75 Musiker und 25 Sänger im Studio versammelte,um hinter Tinas röhrendem Leadgesang seinen berühmten „Wall of Sound“ zu errichten. In Amerika floppte die Single so sehr, dass das dazugehörige Album erst gar nicht herauskam. In England wurde sie ein Hit, und die anschließende Tour der Ike & Tina Turner Revue legte den Grundstein für die bis heute anhaltende insulare Begeisterung für den Northern Soul.

Aus der von Alkohol, Kokain und Gewalt beherrschten Partnerschaft mit Ike hat sich Tina Turner erst 1976 befreit. Damals war sie während einer Konzertreise auf dem Rücksitz einer Limousine in Dallas erneut von ihm angegriffen worden. Diesmal wehrte sie sich zum ersten Mal auch physisch. Aus dem Hotel, in dem sie blutend eincheckten, lief sie einfach davon. „Ich wusste, dass man mir meine Freiheit nie geben würde, ich musste sie mir schon selber nehmen“, beschreibt sie den Beginn ihrer Auflehnung.

Tina Turners Weg von der Muse ihres Mannes zum Weltstar gehört zu den großen Emanzipationsgeschichten des Rock’n’Roll. „What’s Love Got To Do With It?“, fragt der Hit aus dem Erfolgsalbum „Private Dancer“, mit dem die Popdiva 1984 die Erkenntnisse aus ihrem Leben zusammenfasste. Liebe sei bloß ein „Secondhand-Gefühl“, heißt es da, und manchmal solle man sie besser meiden, weil ein Herz schnell gebrochen sei.

Der Song gab 1992 auch einem Film den Titel, der ihrer Autobiografie „Ich, Tina“ folgte und das Lieben und Leiden der Sängerin grell ausmalte. Es lohnt sich zu kämpfen, das ist die Botschaft dieser von Abstürzen und Comebacks geprägten Karriere. Wer hinfällt, der kann auch wieder aufstehen.

Ihr Solodebüt „Acid Queen“ entstand 1975 noch in der Regie von Ike. Kommerziell war es genau wie die folgenden Platten ein Desaster. Erst als Tina sich mit dem Manager Roger Davies zusammentat – der auch die Soloerfolge von Janet Jackson und Cher auf den Weg gebracht hatte –, eroberte sie wieder die Hitparaden. Der Preis dafür waren die zuckrigen Achtziger-Jahre-Poparrangements, mit denen Hits wie „Typical Male“ oder „Steamy Windows“ übergossen wurden: Kuschelrockgitarren, Smooth-Jazz-Saxofonsoli oder Synthesizer, die wie Panflöten klingen. Wild sein durfte Turner nur noch im Kino, etwa in „Mad Max 3“, wo sie als Aunty Entity im Kettenhemd mit extrabreiten Schulterpolstern von räudigem Verbrechergesocks umschwirrt wird.

In Rio de Janeiro sang Tina Turner einst vor 186 000 Zuschauern, was ihr einen Guinessbuch-Eintrag einbrachte. Doch die größten Erfolge feierte sie in Europa. Mit ihrem Lebensgefährten Erwin Bach, einem Musikmanager, lebt sie inzwischen in der Schweiz. Ike Turner starb 2007, halb vergessen. Von Tina darf man sich noch einige Comebacktourneen erhoffen.

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