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Ährensache. Bei „Shit-Faced Shakespeare“ muss sich ein Schauspieler vor der Vorführung volllaufen lassen. Dann wird gespielt, so vernünftig wie noch möglich.

© REUTERS

Das Edinburgh Fringe Festival: Die Party der wilden Komödianten

Je schärfer, desto schöner: Das Edinburgh Fringe Festival ist der Weltgipfel der Comedians. Ein Streifzug bis tief in die Nacht.

In Großbritannien haben über 580 000 Leute eine Petition unterzeichnet, die Donald Trump die Einreise in ihr geliebtes Commonwealth verbieten soll. Genützt hat es nichts. Trump steht im Konferenzzimmer eines Hotels am Grassmarket in Edinburgh und zeigt Bilder, die seine Enkelkinder gemalt haben: der TrumpTower als zwei Blätter hoher Wasserfarben-Phallus. Oder ein naives Wellengemälde mit blonder Brunhilde, über dem nur „Economics“ steht. Ziemlich vollständige Abbildungen seiner Weltsicht.

Die Wischmoppfrisur des Präsidentschaftskandidaten klebt am Kopf, sein orangener Teint hat auf den Hemdkragen abgefärbt, seine Stimmung ist gewohnt kämpferisch. Er fordert Fragen vom Publikum, das zu einem Großteil aus Landsleuten besteht, die es aus New Jersey, Brooklyn und Connecticut nach Schottland verschlagen hat. Wie er sich das mit dieser Mauer zu Mexiko genau vorstelle, will eine junge New Yorkerin wissen. Sie habe gelesen, der Unterhalt des Grenzwalls würde Unsummen kosten. Eine willkommene Steilvorlage für den künftigen Führer der freien Welt. Er blafft was von neuen Mauern, die man dann halt bauen müsste, beziehungsweise: die Mexikaner. Und schließt: „I hope that doesn't answer your question.“ Hoffentlich beantwortet das Ihre Frage nicht.

Trinken und lachen

Trump heißt im wahren Leben Simon Jay und ist Comedian. Ein wirklich begnadeter Performer. Und einer von tausenden Komikern, Schauspielern, Musikern, die während des Fringe Festivals in Edinburgh, der größten Performing-ArtsMesse der Welt, mit neuen Stücken und Scherzen sichtbar zu werden versuchen. Bis tief in die Nacht kann man in den Clubs der Altstadt Stand-up-Shows verschiedenster Couleur besuchen, die nach Mitternacht in der allgemeinen Bierseligkeit vor und auf der Bühne garantiert mit gesunkener Gelächterhemmschwelle rechnen dürfen.

Wohl auch deshalb nennt Harmon Leon das Festival zärtlich ein „Sommercamp für alkoholkranke Comedians“. Leon ist Journalist beim „Vice-Magazine“ und im Nebenberuf Hass-Spezialist. Will heißen: Er unterwandert in den USA regelmäßig ideologisch bedenkliche Gruppen, filmt deren bizarre Auftritte und Ansichten und gibt sie der Lächerlichkeit preis. Leon trifft weiße Überlegenheitsfantasten im Pfannkuchenrestaurant, Waffennarren mit Maschinengewehr-Fetisch auf der Ballerwiese, religiöse Spinner mit so ausgeprägter Homophobie, dass man ihnen göttliche Blitze an den Hals oder wohin auch immer wünscht. Von alldem erzählt Leon in einem kuriosen Pub namens Banshee Labyrinth, wo im Keller seine „Big Fat Racist Show“ läuft und ein ziemlich bizarres Schlaglicht auf die Gegenwart wirft.

Spott über den Brexit, Ukip und künstliche Brüste

Was man nicht alles hassen kann! Der Brexit, Nigel Farage, künstliche Brüste – klar, das sind Konsensobjekte erbitterter Abneigung. Aber die fünf Comedians, die im „Three Sisters“ auf der Bühne stehen, müssen sich spontan auch einfallen lassen, warum sie etwa Schottland, Prinzessin Diana oder auch Penisse schon immer gehasst haben. „Hate ’n’ Live“ heißt diese gallige Impro-Show mit kathartischem Versprechen. Die Zuschauer dürfen kurz vor Beginn alles auf kleine Zettel schreiben, was sie schon immer aus professionellem Mund verachtet hören wollten. Siehe oben.

Was dabei – und überhaupt während dieses Fringe-Jahrgangs – offensichtlich wird: Die politischen Verwerfungen der Gegenwart geben nicht unbedingt das beste Satire-Material ab, „Trumpageddon“ mal ausgenommen. Shows wie „10 Things I hate about UKIP“ oder „King Boris“ (um nur ein paar Beispiele zu nennen) sind dagegen Trostabende für enttäuschte Linke, die sich in ihren Ansichten bestätigen lassen wollen – während um sie herum die Realität verlässlich die böseren Pointen liefert.

Dafür beherrschen die Briten und Amerikaner noch immer ungeschlagen eine Disziplin, die man storytelling mit human touch nennen kann und die in Deutschland gern gemieden wird – aus panischer Angst, damit unter Kitschverdacht zu stehen. Der junge Schauspieler David Ralfe betritt in „Tell Me Anything“ die Bühne allein, auf den Rücken einen aufblasbaren Delphin geschnallt, und erzählt eine Stunde lang absolut mitreißend von seinem Helfersyndrom, von seiner gescheiterten Jugendliebe zur essgestörten Kate, von seiner Einsamkeit im Erwachsenenalter. Aidan Goatley dagegen, längst ein Fringe-Veteran, plaudert sich in „Mr. Blue Sky“ atemberaubend komisch durch die eigene Biografie, die eine Hodenkrebserkrankung und die Adoption seiner Tochter aus Kanada enthält. Durchaus vor lichten Reihen übrigens.

Flyer-Angriff der Werbe-Armee

Aber das liegt auch daran, dass beim Fringe Festival ein gnadenloser Kampf um Aufmerksamkeit herrscht. Edinburgh im August sieht aus wie nach dem Flyer-Angriff einer alliierten Werbe-Armee. Dazu drückt einem alle zwei Meter jemand eine Postkarte für eine Show in die Hand, die soeben auf irgendeinem Blog eine der begehrten Fünf-Sterne-Kritiken erhalten hat. Das Fringe, das sich den „Widerstand gegen die Norm seit 1947“ zum stolzen Untertitel erhoben hat, ist die Mutter aller Festivals im Guten wie im Zweifelhaften. Es gibt zum Beispiel eine Mitternachts-Kultveranstaltung mit dem Titel „Spank!“, wo neben den Auftritten von Magiern und Komikern jede und jeder die Bühne entern und zum Beispiel seine Show promoten darf. Vorausgesetzt, sie oder er zieht sich dabei aus.

Das Fringe Festival setzt aber nicht nur Maßstäbe in künstlerischer wie in marktschreierischer Hinsicht. Es ist auch lehrreich für den Berliner Kulturtouristen. Wer etwa bis heute nicht verstanden hat, was diese „immersive art“ eigentlich ist, von der jetzt alle so viel reden, muss nur die als „immersive“ gelabelte Aufführung „Early Doors“ der Company „Not Too Tame“ besuchen. Selbstredend findet sie in einem Pub statt, wo die Performer zugleich das Barpersonal stellen und die Zuschauer bereits um 12 Uhr mittags bereitwillig die trinkende Kundschaft geben. So findet auch der Besucher seine Rolle! Zwischen schönen Folksongs und noch schöneren Allerweltsgeschichten vom Tresen kann man da ganz herrlich an der eigenen authentischen Performance arbeiten. Immersive drinking!

Wie brav sind doch die Berliner Sommer-Shakespeare-Bühnen!

Apropos. Noch eine Aufführung hat Eindruck hinterlassen. Wo in sich in Berlin allerlei Sommer-Shakespeares mit Volkstheaterlustigkeit mühen, ist man in Edinburgh ein paar Meilen weiter. Dort warten vor einem gigantischen Zelt am George Square allabendlich 400 Besucher, um sich „Shit-Faced Shakespeare“ anzusehen. Eine Inszenierung mit beeindruckend klarem Konzept. Die Company Magnificant Bastards hat Shakespeares „Maß für Maß“ in einer ziemlich verdichteten Fassung einstudiert. Vier Stunden vor Beginn wird nun ein Mitglied des Ensembles ausgelost, das sich bis zur Halskrause volllaufen lassen muss. Die übrigen Schauspieler sind dazu verdammt, mit einem lallenden und kichernden Störenfried die Aufführung so geordnet wie möglich über die Bühne zu bringen.

Irgendwie tröstlich. Wer sich solche Abende ausdenkt, der wird auch in einer Welt den Humor nicht verlieren, in der Donald Trump zum Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt wird.

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