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Zurück auf Berliner Bühnen: Peter Fox und Frank Dellé begeistern die Fans noch immer.

© DAVIDS/Christina Kratsch

Das dicke B zieht noch immer: Seeed spielen zwei ausverkaufte Konzerte

Das erste Comeback-Konzert der Dancehall-Supergroup Seeed steht ganz im Zeichen ihres verstorbenen Sängers Demba Nabé.

Eine knappe Stunde dauert es, bis Seeed am Mittwochabend das erste Mal seinen Namen erwähnen: Demba Nabé, einer der drei Frontmänner der Berliner, der im vergangenen Jahr im Alter von 46 Jahren gestorben ist. „Demba, das ist für dich“, ruft Sänger Frank Dellé in die stickige Luft der Max-Schmeling-Halle. Dann stimmt die Band „You & I“ an, eine schunkelnde Reggae-Nummer von 2012, und im Innenraum und auf den Rängen gehen die Handylichter an, sogar ein paar Feuerzeuge. Als Nabés Strophe an der Reihe ist, lassen sie seine Stimme vom Band einspielen. Der Rest der Gruppe bleibt im Bühnendunkel und wiegt sich hin und her.

Das war die Frage des Abends: Wie würden Seeed mit dem Tod des Sängers umgehen, beim Comeback in ihrer Heimatstadt nach vier Jahren? Anfang Oktober hatten sie schon zwei Warm-Up-Gigs im Festsaal Kreuzberg gespielt, aber die Max-Schmeling-Halle ist da schon eine andere Nummer. Zwei ausverkaufte Auftritte absolvieren sie hintereinander, im kommenden Jahr acht in der Waldbühne und der Wuhlheide.

Gerade in ihrer Stadt, der sie mit dem Riesenhit „Dickes B“ von 2000 ein musikalisches Denkmal setzten, ist die Begeisterung ungebrochen. Dennoch stellten sich die verbleibenden zehn Musiker nach Nabés Tod die Frage: Wollen wir überhaupt weitermachen? Die Antwort fällt eindeutig aus: Ja, sie wollen. Vor einem Monat erschien ihre fünfte Platte „Bam Bam“, ihr Tourplan ufert wegen der großen Nachfrage mit immer neuen Zusatzkonzerten aus.

Die Band zeigt, Demba Nabé ist nicht zu ersetzen

Als die Band am Dienstagabend auf der Bühne steht, sucht man von Beginn an nach Zeichen, wie sich der Verlust Nabés in der Live-Show niederschlägt. Es fängt schon bei der Kleidung an: Die uniformen Anzüge bleiben im Schrank, stattdessen ist jeder gekleidet, wie er es für angemessen hält. Polo-Hemden und Goldkettchen neben Krawatte und Jackett. Als wäre das Kollektiv ohne Nabé sowieso nicht mehr dasselbe.

Die Band füllt die Lücke am Bühnenrand, wo Nabé stets an der Seite von Frank Dellé und Peter Fox synchrone Tänze vollführt hat, auf ganz unterschiedliche Weise. Mal übernimmt einer der drei Backgroundsänger seinen Part, mal kürzen sie die Songs und gehen schnell in den nächsten über, seine Zeilen singen sie gemeinsam. So vermitteln sie: Die eine Person, die Nabés Rolle übernimmt, wird es nicht geben.

Stattdessen haben sie sich für die neue Platte gleich vier Gastmusiker und -musikerinnen eingeladen. Einen davon, Sebastian „Porky“ Dürre von Deichkind, projizieren sie für den schön stumpfen Sexstampfer „Lass das Licht an“ auf die Leinwände. Nur konsequent, Deichkind muss man beim Musikmachen eigentlich immer auch sehen: Auf den Bauch hat sich Dürre „Ü-40“ geschrieben, ansonsten trägt er obenrum nur zwei glänzende Rettungsdecken: eine um den Kopf gewickelt, die andere lässt er um die Hüften spielen. Die Leinwände nutzen Seeed aber nicht, um Nabé wieder auf die Bühne zu zaubern. Ein Balanceakt: Fingerspitzengefühl inmitten der Eskalationsmaschinerie.

DIe Max-Schmeling-Halle vibriert

Andere Gäste treten in Fleisch und Blut in Erscheinung. So übernimmt die Berliner Rapperin Nura nicht nur das Aufwärmprogramm, sie kommt auch für „Sie ist geladen“ wieder auf die Bühne. Im Zugabenblock darf der Berliner Musiker Trettmann sogar zwei Stücke bestreiten: Erst als Gast bei „Immer bei dir“ vom aktuellen Album, dann singt er seinen eigenen Song „Standard“, den er 2018 mit dem Produzententeam KitschKrieg veröffentlicht hat.

Seeed spielen acht der elf neuen Stücke und signalisieren damit: Wir sind quicklebendig. Dazwischen fädeln sie ältere Hits ein wie „Dancehall Caballeros“, „Music Monks“ und „Dickes B“ und einige Solo-Nummern von Peter Fox alias Pierre Baigorry: „Schwarz zu blau“, „Schüttel deinen Speck“ und „Alles neu“. Als wäre die Zeit nicht vergangen: Mit Schrittmacher-Beat vibriert Seeeds sehr eigener Stilmix aus Reggae, Dub, Dancehall, Ska, Hip-Hop, Rock und Pop durch die Halle, lässt den Brustkorb zittern und die Hosen flattern.

Baigorry und Dellé bewegen sich mit ihren Backgroundsängern in Formation, wedeln mit ihren Handtüchern und animieren das Publikum immer wieder zum Herumspringen und Tanzen. Den Beinahe-Fremdgeh-Burner „Ding“ drehen sie durch den Remix-Wolf, bis er vollends nach elektronischem Clubsound klingt. Dazu stürmt eine Tanztruppe die Bühne. Die weißgekleideten Tänzerinnen und Tänzer vollführen spektakuläre Breakdance-Figuren, irgendwann ruft Baigorry: „Scheiß aufs Berghain!“ Ekstase, süßes Vergessen, wenn auch nur für Momente.

Denn als Dellé zu allerletzt den Song „Aufstehn“ ankündigt und ihn eine „Ode an das Leben“ nennt, bricht seine Stimme. Fast scheint es, als würde der Sänger mit den Tränen kämpfen. Auf einem Seeed-Konzert wird wohl nichts mehr so sein wie früher.

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