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Ein funkelndes Spektakel. 2013 brachte Barrie Kosky die Operette „Ball im Savoy“ mit Dagmar Manzel auf die Bühne der Komischen Oper. Ein großer Erfolg.

© Iko Freese/drama-berlin.de

Das Comeback der Operette: Spiel mir das Lied vom Leben

Sie galt als verstaubt, dabei war die Operette in ihrer Glanzzeit eine Feier des Andersseins, ständiger Tabubruch. Viele Stadttheater entdecken ihr Herz für sie gerade wieder.

Jetzt macht sogar die Deutsche Oper Berlin mit: Nach Jahren wird es in der Bismarckstraße wieder eine Operette geben. Der beliebteste Evergreen des Genres hat Ende April 2018 Premiere, die „Fledermaus“ von Johann Strauß, inszeniert von Tenor-Star Rolando Villazon. Annette Dasch singt die Rosalinde, Markus Brück den Gefängnisdirektor Frank, im Orchestergraben waltet mit Donald Runnicles der Generalmusikdirektor persönlich. Die Renaissance des Genres begann ein paar Kilometer westlich von Charlottenburg, an der Komischen Oper.

Dort zeigte Intendant Barrie Kosky, welches Potenzial in den Werken steckt. Denn in der Musikgeschichte hat die Operette immer ganz vorne mitgemischt, wenn es um Utopien ging: Hier wurden Standesunterschiede mit Witz weggeräumt, hier waren die Frauen viel emanzipierter, als es die bürgerliche Moral oder die höfische Etikette ihnen zugestand, hier war ganz selbstverständlich Travestie möglich, hier wurde fast jedes sexuelle Tabu gebrochen, in jeder nur erdenklichen Paarkombination geliebt. Kurz: Die Operette war in ihrer Glanzzeit eine Feier der Lust am Anderssein.

Pures Showbiz

Es musste allerdings erst ein Australier kommen, um die Deutschen gegenüber einem Genre zu entkrampfen, das von den Nazis missbraucht, in den fünfziger Jahren dann prüde zurechtgestutzt und schließlich in vermeintlich familientauglichen TV-Formaten unter Plüsch erstickt worden war. Darüber geriet in Vergessenheit, was Operette auch sein kann: Sozialsatire mit Musik nämlich.

Mit Produktionen wie „Ball im Savoy“ oder „Eine Frau, die weiß, was sie will“ hat Kosky das Genre entstaubt und den Geist des Broadway beschworen. Wenn das Tempo stimmt, wenn die Protagonisten Klasse haben, dann ist es fast egal, ob die Story nur irrwitzig ist: In „Die Perlen der Kleopatra“ von Oscar Straus war an der Komischen Oper pures Showbiz zu erleben, losgelöst von jeglicher dramaturgischer Logik. In der kommenden Spielzeit will Kosky dieses Prinzip auf die Spitze treiben: Zusammen mit der Sängerin Anne-Sophie von Otter und dem Schauspieler Wolfram Koch will er sich in Klausur begeben und aus Schlagern von Peter Kreuder und Theo Mackeben, aber auch Songs von Weill und Dessau einen Abend unter dem Titel „Ich wollt’, ich wär’ ein Huhn“ gestalten. Mit Jacques Offenbachs „Blaubart“ kommt zudem ein Klassiker heraus, und mit „Märchen im Grand-Hotel“ startet eine Reihe konzertanter Aufführungen von Paul Abraham.

Cashcow mit Zuschauer-Garantie

Nun ist es ja nicht so, dass die Operette vor Barrie Kosky zu den aussterbenden Formen gehört hätte. Seit dem schmählichen Ende des Metropol-Theaters war sie in der Hauptstadt wenig präsent, doch in den Stadttheatern steht eigentlich in jeder Saison ein Werk der leichten Muse auf dem Spielplan. Als Cashcow für Experimente, als Nummer-sicher-Produktion, bei der die Zuschauer unter Garantie strömen. Weshalb die Intendanten auch bei der Regie gerne auf Nummer sicher gehen. Was wiederum häufig zu gediegener Sonntagnachmittag-Unterhaltung führt. Und dazu, dass immer wieder dieselben Stücke aufgeführt werden.

In Cottbus und Rostock etwa ist das 2017/18 Emmerich Kalmans „Csardasfürstin“, in Magdeburgs Johann Strauß’ „Eine Nacht in Venedig“, in Halberstadt, Dortmund und Bremerhaven Paul Linckes „Frau Luna“, in Greifswald/Stralsund sowie am Städtebundtheater Hof und in Gelsenkirchen Eduard Künnekes „Der Vetter aus Dingsda“, in Erfurt Franz Léhars „Lustige Witwe“, in Görlitz Offenbachs „Großherzogin von Gerolstein“, im Landestheater Schleswig-Holstein Leo Falls „Madame Pompadour“, in Wiesbaden „Im Weißen Rössl“ und in Chemnitz sowie Bremen „Die Fledermaus“.

In Sachsen gibt es zwei Operetten-Häuser

Braunschweig dagegen bringt mutig Dmitri Schostakowitschs einzigen Beitrag zu dem Genre heraus, „Moskau, Tscherjomuschki“, in dem die Protagonisten allesamt Bewohner eines neu errichteten Plattenbaus sind. Koblenz spielt, von Kosky angeregt, „Ball im Savoy“, und in Ulm wagt man sich gar an eine englische Operette, deren Wortwitz eigentlich als unübersetzbar gilt, nämlich Gilbert & Sullivans „Piraten von Penzance“.

Und dann gibt es natürlich noch die beiden Bühnen, die sich ausschließlich auf die leichte Muse konzentrieren. Beide befinden sich in Sachsen: Die „Musikalische Komödie“ Leipzig ist organisatorisch ans Opernhaus angebunden, hat aber ein eigenes Solistenensemble sowie ein eigenes Orchester. Die „Muko“ residiert in Lindenau, einem Viertel, über das findige Immobilienmakler wohl sagen würden, es habe Entwicklungspotenzial. Das „Haus Dreilinden“, benannt nach einer legendären Ausflugsgaststätte, atmet noch DDR-Charme, vom uringelben Milchglas in den Eingangstüren über die muffige Pausenhalle bis hin zum funzeligen Licht in den Umgängen.

Der Zuschauersaal selber wirkt provisorisch, in eine Halle mit Tonnengewölbe wurde eine Tribüne eingebaut, auf der die Stühle nicht fest installiert sind. Doch wenn das Licht erlischt, kann man hier Spezialisten bei der Arbeit erleben, Musiker, die wissen, wie man Klangeffekte erzielt, und Darsteller, die sich gleichermaßen als Schauspieler wie Sänger verstehen. In der kommenden Spielzeit wird neben einem „Doktor Schiwago“-Musical sowie Albert Lortzings Spieloper über den legendären Frauenversteher „Casanova“ auch eine Operettenrarität herauskommen, Eduard Künnekes „Die große Sünderin“, 1935 an der Berliner Staatsoper uraufgeführt.

Die Staatsoperette Dresden ist in ein Heizkraftwerk gezogen

Jahrzehntelang haben auch die Künstlerinnen und Künstler an der Staatsoperette Dresden unter unwürdigen Bedingungen arbeiten müssen, weit draußen vor den Toren der Stadt, in einem ehemaligen Vergnügungslokal. Vor acht Monaten aber konnten sie ein großartiges Domizil beziehen. Für 100 Millionen Euro hat die Stadt ein stillgelegtes Heizkraftwerk umbauen lassen, das die Staatsoperette jetzt zusammen mit dem „Theater junge Generation“ nutzt. In der Eingangshalle, von der aus sowohl die drei Spielstätten für Kinder und Jugendliche zugänglich sind als auch der 700-Plätze-Saal der Operette, ist die Industriegeschichte lebendig.

Man sieht Stahlstreben, nackten Backstein, Kräne und Hebeanlagen. Ein Kontrast zu den historischen Stoffen auf der Bühne. In der kommenden Saison zeigt sich Intendant Wolfgang Schaller wenig fantasievoll, setzt mit „Frau Luna“, „Csardasfürstin“ und „Dreigroschenoper“ auf Bewährtes. Aber es wird auch eine Koproduktion mit dem „Theater junge Generation“ geben: Tom Waits’ generationsübergreifend aufregenden „Black Rider“.

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