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Es geht hart zur Sache. „Like Lovers Do“, Münchner Kammerspiele.

© Krafft Angerer

Das Berliner Theatertreffen kehrt zurück: Spektakel mit harten Bandagen

Bühne frei im Mai: Was macht die Schauspielkunst jetzt zwischen Pandemie und Kriegsangst?

Im öffentlichen Raum fallen die Masken, das Theatertreffen beginnt, der Mai ist gekommen. Endlich: Es sieht fast alles so aus, wie es früher war, vor drei Jahren Ewigkeit. Im Haus der Berliner Festspiele, im Hebbel am Ufer, im Maxim Gorki Theater laufen (bis 22. 5.) die aus dem deutschsprachigen Raum ausgewählten Inszenierungen. Und falls diese nicht dicht genug an der Realität entlangsegeln, wird im „TT Kontext“ zur Sicherheit über die „Burning Issues“ debattiert, die brennenden Fragen der Zeit.

Vieles kommt wieder, vor allem das Publikum. Das ist das Wichtigste. Und so viel hat sich verändert. Mit Matthias Pees haben die Festspiele einen neuen Intendanten, der wie der Vorgänger Thomas Oberender vom Theater kommt. Für Yvonne Büdenholzer, die das Theatertreffen seit 2012 geleitet hat, ist es nun die letzte Ausgabe. Das Festspielhaus zeigt sich noch als Baustelle, die Leitung empfiehlt festes Schuhwerk.

Die Aufführungen haben Spielfilmlänge

Viele Newcomer bestreiten in diesem Jahr das Programm, und es dominieren die kleineren Formen, die relativ kurze Spieldauer – von 75 Minuten bei Toshiki Okadas Hamburger „Doughnuts“, eine Reflexion über den Stillstand der Zeit, bis maximal drei Stunden bei „Tartuffe oder Kapital und Ideologie“ von Volker Lösch aus Dresden. Große Themen, diskursive Darreichung und Koproduktionen mehrerer Spielstätten: Das Theatertreffen-Tableau spiegelt durchaus die an den Bühnen herrschende Praxis. Dabei haben es – so weit noch vorhanden – traditionelle Erzählformen, die ein großer Teil des Publikums liebt, heute schwer.

Die Entwicklung hin zur Spielfilmlänge ist nicht neu. Dass es einmal eine andere Zeitrechnung im Theater gab, daran hat kürzlich das Gastspiel des Siebenstundenspektakels „The Seven Streams of the River Ota“ von Robert Lepage und seiner Compagnie beim FIND-Festival der Schaubühne eindrucksvoll gezeigt. 24 Stunden Aufmerksamkeit verlangte einst Jan Fabre für sein Riesenopus „Mount Olympus“, 2015 zu Gast bei den Berliner Festspielen.

Warnung vor harten Texten

Doch die guten alten Zeiten, sie waren auch Blendwerk, man sollte die tempi passati nicht blind glorifizieren. In seiner Heimat Belgien wurde Jan Fabre, gern als künstlerischer Berserker gefeiert, vor Kurzem wegen Machtmissbrauch und sexueller Übergriffigkeit zu 18 Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Es dreht sich etwas. Gewalt gegen Frauen wird in „Like Lovers Do“, dem Beitrag der Münchner Kammerspiele zum diesjährigen Treffen, drastisch thematisiert. Die Festspiele warnen: „Der Text enthält Schilderungen von sexualisierten Gewalthandlungen, die belastend und retraumatisierend wirken können.“

Gilt das auch für die Pandemie? Gibt es im Theater – wie manchmal bei „immersiven“ Versuchsanordnungen – klaustrophobische Situationen, die geeignet sind, schlimme Erinnerungen an Krankheit und Quarantäne auszulösen? Es ist überhaupt noch nicht untersucht, ob und wie sich die durchaus traumatischen Covid-Erfahrungen langfristig in der Wahrnehmung von Kunst und Theater niederschlagen. Auch in der Produktion: Was hat sich verändert im Denken und Fühlen derjenigen, die auf der Bühne stehen – und dies lange nicht durften im Lockdown?

Lähmung in der Pandemie

Antonin Artaud, ein Held der Avantgarde einst, fantasierte in dem Buch „Das Theater und sein Double“ vor dem Zweiten Weltkrieg von der Seuche als befreiender Kraft und einer völlig neuen Kunstpraxis. „Wie die Pest ist auch das Theater ein mächtiger Anruf von Kräften ... Es lädt den Geist zu einer Raserei ein, die zu einer Steigerung seiner Energien führt.“ Es sei eine „Krise, die mit dem Tod oder Heilung endet ... eine Läuterung ohne Maß“. Irre, eine Fieberidee, aber Heiner Müllers Verdikt über Artaud – „Auf den Trümmern Europas gelesen, werden seine Texte klassisch sein“ – klingt jetzt plötzlich wie eine eiskalte, brennend heiße Drohung.

Covid-19 ist nicht die Pest, und dieses Virus hat die überwiegende Mehrheit vorsichtig werden lassen im Alltag. Die Pandemie hatte eine dämpfende, egalisierende Wirkung, das Leben fühlte sich flach an, gefangen in Wiederholungsschleifen – das Gegenteil eines künstlerische Auf- und Ausbruchs. Was und ob die Theaterleute daraus gelernt haben, wird das Theatertreffen zeigen.

„Geht es dir gut?“ – René Pollesch und der Solokämpfer Fabian Hinrichs peilen in der Volksbühne solche Fragen an. Wie geht es uns mit der Pandemie, die nicht zu Ende ist? Dank Hinrichs’ Charme und Witz hat der Abend etwas von Wohlfühltheater, mit Gastauftritten von Breakdancern und bulgarisch-afrikanischen Chören. Pollesch leiht sich dort Energie. Und bei aller Freundlichkeit und all den netten Dingen, die Fabian Hinrichs dem Publikum reicht, steckt in „Geht es dir gut?“ auch ein unbehagliches Moment.

Die neue Ohnmacht

Hinrichs kann eine gewisse Dämonie entfalten. Es scheint ihn mitzunehmen, dieses exemplarische Ausgesetztsein auf der großen Bühne. Kürzlich bei einer Vorstellung stoppte er und sprach eine Frau in einer der vorderen Reihen an, die mit einem Kleinkind in die Volksbühne gekommen war. Er könne so nicht spielen, es sei kein Stück für kleine Kinder. Womit er recht hat. Die Frau verließ den Saal. An einem anderen Abend bekam Hinrichs einen Lachkrampf, er hatte sich irgendwie im Text vertan. Die Frage, wie es dem Theater geht, lässt sich für die Pandemie vielleicht noch so beantworten: Es geht wieder. Es muss.

Und dann ist der Krieg gekommen. Und eine andere Erfahrung von Ohnmacht. Auf Homeoffice, soziale Isolierung, Quarantäne folgt die Angst, Russland könnte auch die Nato angreifen. Die Rede von einem drohenden Atomkrieg hat sich erstaunlich schnell in die Diskurse eingeschlichen. Zwei Extreme: erst eine von Covid erzwungene Erlebnisarmut und jetzt übergangslos der Schrecken des russischen Zerstörungsfeldzugs und eine erdrückende Informationsflut.

Dabei sitzen wir in Sicherheit und haben nicht zu klagen. Das Festspielhaus ist nicht das Theater von Mariupol, in dem Hunderte Zivilisten durch russischen Beschuss gestorben sind. Italiens Kulturminister Dario Franceschini hat Geld für einen Wiederaufbau angeboten. Erst einmal eine symbolische Geste, aber von großer Bedeutung. Kunst besitzt nur diese Mittel: Neugier, Empathie, Symbole.

Was kann Theater tun gegen Krieg?

Wie geht das Theatertreffen, das Theater überhaupt mit dieser Lage um? Es werden zur Eröffnung an diesem Freitag sicher klare Worte der Solidarität mit der Ukraine gefunden werden. Claudia Roth, die Staatsministerin für Kultur und Medien, hat sich angesagt. Die Auftaktinszenierung kommt vom Schauspiel Bochum und trägt den wegweisenden Titel „Das neue Leben“; auch als Live-Stream in der Mediathek der Festspiele.

Gleichwie, man wird das Gefühl nicht los, dass das Theater jetzt im Grunde nur zwei Möglichkeiten hat: zufällig oder absichtlich „aktuell“ zu wirken oder vom Krieg in der Ukraine abzulenken.

Alles legitim, die anderen Probleme, die „Burning Issues“, verschwinden ja nicht durch Putins Bombardement. Im Gegenteil rückt der Klimaschutz in den Hintergrund, und andere Diktaturen machen ihr dreckiges Geschäft, begehen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, einigermaßen unbeobachtet jetzt. Die dritte Möglichkeit ist die schlechteste: wenn das Theater den Eindruck vermittelt, dass es Zeitverschwendung ist, lauwarm.

Als das Theater auf die Welt kam, erzählte es vom Krieg. „Die Perser“ des Aischylos, uraufgeführt 472 v. Chr. in Athen, das älteste erhaltene Stück überhaupt, handelt von Tod und Vernichtung. Und von Mitgefühl für alle Opfer. Daran ist zu erinnern.

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