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Die 22-jährige Musikerin Lucy Dacus.

© Dustin Condren

Das Album "Historian" von Lucy Dacus: Geh mir aus dem Herzen

Der US-Amerikanerin Lucy Dacus ist mit ihrem zweiten Album „Historian“ ein großer Wurf zwischen Indie-Rock und Singer-Songwriter-Innerlichkeit geglückt.

Schon der Beginn ist fulminant und lakonisch zugleich. So singt Lucy Dacus die ersten eineinhalb Minuten von „Night Shift“ nur von einer verwehten E-Gitarre begleitet. Drei Strophen, die mitten hinein führen in den Gedankenstrom einer Frau kurz nach einer Trennung. Nun trifft sie sich noch mal mit dem oder der Ex-Geliebten, was offenbar keine gute Idee ist, denn das Gegenüber starrt nur auf seine Füße. „Am I a masochist resisting urges to punch you in the teeth, call you a bitch and leave?“ fragt sich die Sängerin, deren wachsende Wut von immer mehr Instrumenten unterstützt wird.

Nachdem das Schlagzeug eingesetzt hat, wird ihr klar, dass die andere Person sie ohnehin nicht verdient hatte. Und so kommt sie in der Song-Mitte – wieder nur von der E-Gitarre begleitet – zu der Einsicht, dass man sich von nun an am besten aus dem Weg geht: „You got a 9 to 5, so I’ll take the night shift/ And I’ll never see you again if I can help it/ In five years I hope the songs feel like covers/ Dedicated to new lovers.“ Ganz ruhig und klar singt Lucy Dacus diese Zeilen, die sie noch zweimal wiederholt, während die von einer verzerrten Kreischgitarre angeführte Band machtvoll zurückkommt.

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Liebe und Verlust, Schmerz und Selbstbefreiung – meisterlich wie Lucy Dacus dies in den sechseinhalb Minuten von „Night Shift“ verdichtet. Der Song entfaltet eine kathartische Kraft und ist eine perfekte Einführung in das Album „Historian“, das sie mit ihrer Band um den Gitarristen und Produzenten Jacob Blizard in Nashville eingespielt hat. Es ist geprägt von sehr persönlichen Songs, die sich ähnlich wie die ihrer australischen Kollegin Courtney Barnett zwischen Indie-Rock und Singer-Songwriter-Innerlichkeit bewegen. Wobei der leicht angeraute Sound eine fast schon zeitlose Anmutung hat.

Vom Christentum hat sich Lucy Dacus abgewandt

Dass die in Richmond, Virginia, geborene Lucy Dacus erst 22 Jahre alt ist, mag überraschen, doch die Musikerin verfügt bereits über einiges an Erfahrung: Vor zwei Jahren erschien ihr Debütalbum „No Burden“ und löste ein regelrechtes Wettbieten unter den Plattenfirmen aus. Dacus entschied sich für das renommierte Indie-Label Matador Records, bei dem auch Cat Power und Julien Baker unter Vertrag sind. Mit Baker, die wie sie in einer christlichen Familie aufgewachsen ist, hat sich Dacus auf einer gemeinsamen Tour angefreundet. Anders als die Musikerin aus Memphis hat sich Dacus jedoch von der Religion abgewandt, was sie im Song „Nonbeliever“ verarbeitet. Ausgehend von einem melancholischen Streicher-Gitarren-Arrangement, nimmt er nach dem Refrain Fahrt auf und schrummt sich in freundlichem Midtempo-Rock frei.

Die zehn neuen Songs sind opulenter instrumentiert als das Debüt, überladen wirken sie dabei aber nie. Großartig etwa wie sich „Pillar Of Truth“ in sieben Minuten zu einer anmutigen Abschiedshymne an Lucy Dacus’ Großmutter aufschwingt. Sie habe ihr gezeigt, wie man stirbt, sagt die Musikerin, die sich damit hoffentlich noch viel Zeit lässt – und weitere hervorragende Alben wie „Historian“ aufnimmt.

„Historian“ ist bei Matador erschienen. Konzert: 29.4., 20 Uhr, Badehaus

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