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Kühl. Romy Madley Croft, Oliver Sim, Jamie Smith sind The XX.

© Jamie James-Medina/Promo

Das Album "Coexist" von The XX: Schwarz macht glücklich

Meister des Minimalismus: The XX und ihr Album „Coexist“ versprechen äußerlich Farbe. Und liefern melancholischen Pop in Schwarz-Weiß.

Da ist es wieder, das dicke X. Vor drei Jahren prangte es ausgestanzt auf dem Debütalbum von The XX. Diesmal ist es auf weißem Grund zu sehen – und bunt. The XX in Farbe. Kann das sein? Bewegt sich die britische Düstercombo weg vom Schwarz-Weiß und hin zum Regenbogen? Derartigen Vorahnungen hat das Trio schnell die Basis entzogen, indem es kürzlich die erste Single „Angels“ veröffentlichte, die nun auch die am Freitag erscheinende Platte „Coexist“ eröffnet: keine Spur von neuer Farbigkeit, dafür wieder viel Hall, wenige Noten, verhaltener Gesang und fast keine Beats. Es ist genau der melancholische Minimalismus, mit dem die Gruppe bekannt geworden ist.

Fast wirkt es, als wollten die Londoner mit diesem knapp dreiminütigen Stück ein „Alles-beim-Alten“-Statement setzen, um so den Druck von den eigenen Schultern zu nehmen. Denn der dürfte doch beträchtlich gewesen sein, nach all dem was ihre erste Platte vor drei Jahren ausgelöst hatte. Einhellig von der Kritik bejubelt, stiegen The XX zu den neuen Indie-Superstars der Insel auf. Sie gewannen – damals noch zu viert, Keyboarderin Baria Qureshi stieg zu Beginn des Trubels aus – eine Reihe von Preisen, darunter den Mercury Prize für das beste britische Album. Rund eine Millionen Mal verkaufte sich das Debüt, das der Gruppe Vergleiche mit The Cure und den Young Marble Giants einbrachte. XX-Songs liefen bald überall – in Bars, im Fernsehen, auf einem Tory-Parteitag und bei der Fußball-EM. Selbst Shakira coverte einen Hit der Band.

Dem Erfolg der damals kaum 20-jährigen Musiker haftete etwas Unwirkliches an. Dass man mit einem derart reduzierten, bittersüßen Album zu einer europäischen Konsensband aufsteigen konnte, erschien mehr als abwegig – zumal die seit ihrer Kindheit befreundeten Bandmitglieder nicht sonderlich glamourös daherkommen. Sie tragen schwarze Kleidung, reden wenig und sind erst kürzlich bei ihren Eltern ausgezogen. Doch sie haben eben auch etwas Magisches, was viel mit ihrem enormen Gespür für Raum und Atmosphäre zu tun hat.

Beides stellen sie auf „Coexist“ wieder eindrucksvoll unter Beweis. Wie sich in „Angels“ der Bass und die Gitarre und schließlich die Drums bei der Begleitung von Sängerin Romy Madley Croft abwechseln, ist gleichzeitig schlicht und schlau. Jeder Einsatz erscheint mit Bedeutung aufgeladen und auf rätselhafte Weise zwingend. Dieses Sich-Aus-Dem-Weg-Gehen und Wiederzusammenfinden der Instrumente beherrschen The XX meisterhaft. Sie können aus dem Nichts Überraschungen zaubern, die selbst wiederum aus (fast) Nichts bestehen: eine Pause, eine freistehende Stimme, ein Break, eine Gitarrenfigur, die sich ganz kurz in die Höhe schraubt. So kommt in diesem minimalistischen Umfeld nie Monotonie auf.

Für Spannung sorgt auch Jamie Smith, der Mann an den Maschinen. Er lässt sich eine Minute Zeit, bis er zum ersten Mal eine hallige Snaredrum wirbeln lässt. Im zweiten Track, „Chained“, sorgen allein ein achtelnder Bass und eine Tackern auf dem Snare-Rand für das Fundament, über das er eine Bassdrum stolpern lässt und eine Keyboardfläche zieht. Den Rest besorgt der Gesang von Romy Madley Croft und Oliver Sim – eine Hauptattraktion von The XX. Zwar haben beide keine großen Stimmen, doch damit entwickeln sie – vor allem, wenn sie sich abwechseln – einen geradezu berückenden Reiz. Croft und Sim klingen, als würden sie nur für den jeweils anderen singen, als gäbe es gar kein Publikum. Ein intimes Zwiegespräch unter Liebenden, das die Hörer belauschen dürfen. Die Texte drehen sich meist um Gefühle, die nach der ersten Verliebtheit kommen: Verlorenheit, Angst, Distanz, Einsamkeit. „It felt like you really knew me/ Now it feels like you look through me“, singen beide in „Sunset“. Dieses Up-Tempo-Stück steht außerdem für die eine winzige Veränderung im XX-Soundkosmos: Es hat einen leichten House-Music-Einschlag, genau wie das tolle, fünfminütige „Swept away“ und der zweite Teil des sehnsuchtsvollen „Reunion“, das Jamie Smith mit einem Steel Drum zum Funkeln bringt. So kommt schließlich doch noch ein bisschen Farbe ins Spiel, aber genau wie auf dem Album-Cover bleibt der Grundton schwarz. Das Bild zeigt eine Ölschliere im Wasser – die beiden Substanzen mischen sich nicht, daher der Titel „Coexist“, nebeneinander bestehen.

The XX halten mit ihrem zweiten Album ihre Ausnahmestellung in einer von Baller-Pop und Retro-Schick geprägten Zeit. Und sie sind mit ihrer Lust am Minimalismus nicht mehr allein, wie man an den Debüts von James Blake, Jamie Woon, The Weeknd oder Warpaint hören kann.

The XX: „Coexist“ erscheint am 7.9. bei Young Turks. Konzert: 4.9., 20 Uhr, Admiralspalast, Berlin (ausverkauft)

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