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Ekstatiker. Der Pianist Daniil Trifonov.

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Daniil Trifonov in Berlin: Teufel tanzen im Saal

Eingewoben im Geisterkokon: Pianist Daniil Trifonov begeistert im Kammermusiksaal gemeinsam mit den Philharmoniker-Stipendiaten.

Man kennt die wilde Mimik von Daniil Trifonov, wenn er am Klavier sitzt: der manische Blick, mit dem er sich in die Noten hineinbohrt, die verdrehten Augen, die scheinbare Schnappatmung, die langsam schweißnass werdenden Haare, die gnomhafte, kauernde Haltung über den Tasten, das impulsive Hochfahren des Oberkörpers – dämonisch kann das aussehen, zum Fürchten. Wenn Trifonov spielt, ist er mental auf einem anderen Planeten, eingewebt in einen Geisteskokon, in dem nur sein Instrument und die anderen Musiker existieren.

Das kleine Wunder im Kammermusiksaal mit den Stipendiaten der Karajan-Akademie der Berliner Philharmoniker: Das alles fließt nicht in seine Musik ein, als ob seine Hände einem anderen Menschen gehörten. Sanftmütig, rücksichtsvoll ist der Anschlag, dabei überhaupt nicht fahl oder leise, vielmehr kristallin, klar, plastisch. Trifonov – in dieser Saison Artist in Residence der Philharmoniker – verzichtet zwar nicht optisch, aber akustisch auf jegliche Solistenallüren und konzertiert, schmiegt sich ins Tutti ein, was in Bachs berühmtem, ursprünglich für Violine geschriebenem Klavierkonzert d-Moll BWV 1052 für eine Reihe berührender Momente sorgt. Etwa im Adagio-Mittelsatz, wo sich Trifonov mit sachte perlenden Tönen kaum merklich über den Klang des von Gregor Mayrhofer geleiteten Kammerorchesters erhebt.

Das Schimmern musikalischer Utopie

Alfred Schnittke hat Bach immer bewundert, sich auch bei ihm bedient für seine einzigartige Technik der Polystilistik. Das Konzert für Klavier und Streicher (1979) beginnt mit Miniaturen, kleinen Terzen des Klaviers, die fallen und gleich wieder steigen. Langsam kommen die tiefen Streicher ins Spiel, nach fünf Minuten ist die volle Orchesterstärke erreicht, mit einem Unisono auf dem gleichen Ton.

Das Klavier irrlichtert durch die Partitur, ein tonaler Choral wirkt in dieser Umgebung verstörend anachronistisch. Schockhafte dissonante Akkorde verbreiten Spukstimmung, sirenenartige Streicherglissandi hängen wie Walgesänge im Raum – und im Kammermusiksaal tanzen die Teufel. Fantastische Musik. Schnittke schlägt vor allem Funken aus dem Kontrast von perkussivem Klavier und dem geschmeidigen Klang der Streicher. Es ist paradox: Gerade im schroffen Nebeneinanderstellen der Stile entsteht so etwas wie Einheit. Und zwischen den Blöcken schimmert immer wieder eine musikalische Utopie auf.

Man ist froh, als Trifonov zurückkehrt

Nach der Pause dann ein Spannungsabfall. Was zum einen an den zwar kunstvollen, aber auch seltsam blutleeren neoklassizistischen Kompositionen Igor Strawinskys liegt, zum anderen an den jungen Musikern selbst. Im „Dumbarton Oaks Concerto“ (1937) treten sie ohne Solist auf – und spielen solide, aber nicht furios, sehr aufs Technische konzentriert. Auch Mayrhofer vermag nur bedingt, ein Feuer in ihnen zu entfachen.

Man ist froh, als Trifonov für das Konzert für Klavier und Bläser zurückkehrt, in der revidierten Fassung von 1950. Eigentlich entstand das Stück 1923, ist also zeitlich noch relativ nah dran an Strawinskys Jahrhundertwerk „Sacre du Printemps“ – und blickt doch eher zurück als nach vorne, trotz Jazz-Synkopen und Offbeat. Obwohl Trifonov genauso herausragend spielt wie vor der Pause, reicht es doch nicht an die Fulminanz heran, mit der die Modernität von Schnittke den Hörer aufgewühlt hat.

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