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Danièle Huillet & Jean-Marie Straub, 1996.

© Antonia Weisse

Danièle-Huillet und Jean-Marie Straub-Retro: Strapaziert Euch!

Hinter den Vorhang blicken: Danièle Huillet und Jean-Marie Straub drehten strenge Filme, gegen jede Konvention. Die Akademie der Künste würdigt das französische Regieduo mit einer Retrospektive.

„Es war einmal ein kleiner Filmemacher, klein, aber bedrohlich, noch kaum Filmemacher und schon bedrohlich, klein und schon bedrohlich, klein und schon Filmemacher.“ Was für eine Selbstvorstellung! Da weiß man doch gleich, mit wem man es zu tun hat. Aber noch nicht ganz.

Feige, opportunistische, schwache, korrumpierte, gewissenlose Filmemacher, die nie Marx, Hegel, Brecht, Hölderlin gelesen haben, Marx vor allem, Brecht vor allem, würden an dieser Stelle vielleicht aufhören. Denn das Publikum gilt als etwas, das geschont werden muss. Jean-Marie Straub, geboren 1933 in Metz, glaubte das nie und fuhr fort: „Noch ist er nur ein Filmemacher – der bedroht –, aber immerhin Filmemacher genug, dass man spürt ...“ Nein, es geht nicht. So ein Zeitungsartikel ist Teil der Kultur- und Informationsindustrie und somit des allgemeinen Verblendungs- und Verwertungszusammenhangs, zuletzt also eine feige, opportunistische, schwache, korrumpierte, gewissenlose Form, also setzen wir hier einen Punkt. In etwas frivoler Verallgemeinerung könnte man sagen: So wie dieser Anfang eines Selbstporträts sind Jean-Marie Straubs Filme. Strapaziert Euch!

Der unsichtbare Kontinent hinter den Filmen

Wer zu faul ist, verpasst eine neue Welt? Nein, mehrere Welten. Brecht-Welten, Bach-Welten, Schönberg-Welten, Hölderlin-Empedokles-Welten. Seinen Bach-Film, „Chronik der Anna Magdalena Bach“ von 1968, widmete Straub dem Vietcong sowie den Bauern des Bayrischen Walds und erklärte auf Nachfrage, dass es sich bei diesem Total-Perücken-Kino um einen entschieden marxistischen Film handele.

Aber was heißt hier „seine“ Filme? Zwei Monate lang, von Mitte September bis Mitte November, stellt die Akademie der Künste ein riesiges Danièle-Huillet-und-Jean-Marie-Straub-Kaleidoskop auf. Da gibt es die „Danièle-Huillet und-Jean-Marie-Straub-Retrospektive“, die erste in Berlin seit 27 Jahren, und ihr Name steht zuerst. Die virtuose Ausstellung „Sagen Sie’s den Steinen“ am Hanseatenweg, entworfen von Annett Busch und Tobias Hering, ist sogar mehr Huillets Arbeit gewidmet. Die Voraussetzung der Schau, trotz wunderbarer Bild- und Tondokumente: Filme lassen sich nicht ausstellen. Ausstellen lässt sich der unsichtbare Kontinent hinter den Filmen, die Arbeit, die sie kosteten. Frauenarbeit!

Huillet gab als Examensarbeit ein weißes Blatt ab - aus Protest

Zu meiner Zeit war es nicht üblich, Frauen zu erwähnen, erklärte Danièle Huillet einmal und neigte zu Selbstauskünften wie: „Das Interessanteste an mir ist mein Geburtsdatum, 1. Mai 1936“.

Im November 1954 lief der Pariserin, die sich gerade auf die Filmschule vorbereitete, ein großer Blonder, Blasser über den Weg. Er wollte einen Bach-Film drehen und brauchte Hilfe. Sie mochte keine Großen, Blonden, Blassen. Auch sprach sie kein Deutsch, nur Englisch und Spanisch. Bach! Ihr Englisch und Spanisch würde sie lange nicht mehr brauchen.

Danièle Huillet beeindruckte den Elsässer aus Metz. Als Examensarbeit im Hochschul-Vorbereitungskurs hatte sie ein weißes Blatt abgegeben – aus Protest gegen die Nichtswürdigkeit des Films, den sie interpretieren sollte. 1954 explodierten gerade die ersten algerischen Granaten auf dem Pariser Pflaster, der Algerienkrieg begann. Straub, geboren in dem Jahr, als Hitler Reichskanzler wurde, getauft auf den Namen des allerersten Militärdienstverweigerers Jean-Marie Vianney, ging vier Jahre später nach Deutschland, um der französischen Armee zu entkommen und nicht auf Algerier schießen zu müssen.

Liebe zur absoluten Objektivität

Das war die Grundkonstellation ihres Beginns. Die Wirklichkeit ist der Verhängniszusammenhang dessen, was ist. Straub und Huillet mussten nicht erst Adorno lesen, um das zu wissen. Ihr Kino war der Versuch, seine Maschen zu lesen, einzelne zu durchtrennen, um hinter den Vorhang zu sehen. Es ist eine Art Grammatologie, Straub war ursprünglich Sprachwissenschaftler. Die Grammatik neigt nicht zur Emotion, die Masse, die Hitler folgte, dagegen sehr. Das spricht für die Grammatik, glaubte Straub.

Als das Ehepaar 1965 der Berlinale vorschlug, seinen Film „Nicht versöhnt“ im Wettbewerb zu zeigen, reichten die Reaktionen bis zu Urteilen wie „der schlechteste Film seit 1895“; auch bei späteren Berlinale-Teilnahmen etwa mit „Der Tod des Empedokles“ 1987 verließen Festivalbesucher das Kino in Scharen. „Nicht versöhnt“ handelte von der jüngsten deutschen Vergangenheit. Nein, er „handelte“ eben nicht. Die Lüge des konventionellen Kinos, wussten Straub-Huillet, ist nicht zuletzt die des Handelns, gar des freien Handelns. Da hilft nur Grammatologie der Wirklichkeit. Strenge! Dabei eine (unglückliche) Liebe zur absoluten Objektivität, zum Gesetzhaften. Und Emotionen sind nur erträglich in prismatisch zerlegter Form. Daher die große Nähe zu Bach und Marx, Schönberg und Brecht. Daher der Berührungsreiz, den dieses Kino nach wie vor auf Künstler und Denker ausübt, weit über Europa hinaus. Die Ausstellung eröffnet nicht zufällig im Rahmen der Berlin Art Week.

Von Freitag bis Sonntag gibt es Vorträge, Gespräche und Filme

Auch erkundet die Akademie von Freitag bis Sonntag in meist über sechs Stunden langen „Rencontres“, Vorträgen, Gesprächen und Filmen, die Gegenwärtigkeit dieses radikalen Werks . Ab 7. Oktober folgt eine Schönberg-Woche, allein drei Schönberg-Filme haben Straub-Huillet gedreht, darunter die „Einleitung zu Arnold Schönbergs,Begleitmusik zu einer Lichtspielszene’ “. Der Komponist Ming Tsao hat die Musik neu bearbeitet.

Danièle Huillet ist 2006 gestorben; seinen letzten Film, die Rückschau auf ihrer beider Werk, hat Straub „Kommunisten“ genannt. Das sind für ihn „Menschen, die in der Lage sind, gemeinschaftliches Leben und Arbeiten herzustellen“. So gesehen, fängt jetzt in der Akademie der Kommunismus an.

Bis 19. 11. Akademie der Künste am Hanseatenweg, Di – So 11 – 19 Uhr. Filme außerdem in der Brotfabrik, im Zeughaus-Kino und fsk. Infos: huilletstraub-berlin.net

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