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Daniel Barenboim bei "Staatsoper für alle" auf dem Bebelplatz.

© Derdehmel

Daniel Barenboim und Zukunft der Staatsoper: Klaus Lederer darf jetzt keine Zeit mehr verlieren

Berlins Kultursenator hat bei der Besetzung von Führungspositionen bisher auf Zeit gesetzt. Diese Strategie funktioniert bei der Staatsoper nicht mehr.

Um es gleich zu Beginn noch einmal ganz deutlich zu sagen: Es kann, es darf in der aktuellen Debatte nicht darum gehen, die Lebensleistung von Daniel Barenboim zu schmälern. Die Staatskapelle, die Lindenoper, ja die Musikmetropole Berlin stünden heute nicht da, wo sie stehen, ohne sein Engagement. Als Dirigent wie als Pianist hat er die Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts mitgeprägt, als politisch denkender Humanist viel bewegt, mutig Kritik geübt, wo immer er sie für angebracht hielt, auch gegenüber dem Staat Israel.

Zwei Fragen aber müssen, unabhängig von Barenboims künstlerischen Qualitäten, jetzt geklärt werden. Was ist dran an den Vorwürfen, die ehemalige Mitarbeiter gegen ihn erhoben haben, teils anonym, teils mit Klarnamen? Da es sich um nichts Justiziables handelt, sollte dieser Punkt nicht in der Öffentlichkeit verhandelt werden, sondern hausintern. Und Matthias Schulz, der Intendant der Staatsoper, hat ja mittlerweile angekündigt, sich darum kümmern zu wollen. Ein Gesprächsprozess soll in Gang kommt, auch mit Hilfe von externen Mediatoren. In der aktuellen Ausgabe der „Zeit“ erklärt nun Barenboim: „Ich habe kein Verbrechen begangen, ich habe niemanden belästigt oder gar vergewaltigt.“ Die Erklärung eines Musikers, unter den angeblichen Erniedrigungen des Dirigenten auch gesundheitlich gelitten zu haben, stünden „in keinem Verhältnis zur Realität“. Er bedaure es, so Barenboim, wenn er Menschen unbewusst verletzt habe. Und er wolle weiter dafür kämpfen, dass die Staatskapelle, die unter anderem vom Bund subventioniert wird, finanziell konkurrenzfähig bleibt.

Die zweite Frage wurde von Daniel Barenboim selbst aufgeworfen. Indem er bei seiner Reaktion auf die journalistischen Beiträge im Online-Klassikmagazin Van sowie im Bayerischen Rundfunk publik gemacht hat, dass er aktuell in Verhandlungen mit der Berliner Kulturverwaltung über eine Vertragsverlängerung über 2022 hinaus steht. Weil in der Oper, die ja immer aufs Neue verschiedenste Gewerke in logistisch komplexen Gesamtkunstwerken zusammenbringen muss, sehr lange im Voraus geplant wird. Also drängt die Zeit tatsächlich. Senator Klaus Lederer muss sich schnell entscheiden, ob er dem Wunsch des Maestro willfahren möchte, bis zum 85. Lebensjahr Unter den Linden den Ton anzugeben.

Bisher hat der Senator noch keine echte Neuberufung vorgenommen

Will Lederer das nicht, muss noch in dieser Saison eine Nachfolgerin oder ein Nachfolger aus dem Hut gezaubert werden, damit sie oder er dann wenigstens zwei Jahre Vorbereitungszeit hat. Bisher hat der Senator noch keine echte Neuberufung vorgenommen, nur eine Entlassung, nämlich die von Hubertus Knabe als Direktor der Gedenkstätte Hohenschönhausen. Im Fall der Staatsoper kann sich Lederer nicht einfach Zeit kaufen, wie er es zuletzt bei der Volksbühne und der Komischen Oper getan hat. Indem er zum einen am Rosa-Luxemburg-Platz den Kontrakt mit dem Interimsintendanten Klaus Dörr um ein Jahr verlängerte, und zum anderen für die Behrenstraße eine Lösung präsentierte, bei der Barrie Kosky zwar seinen Vertrag in drei Jahren auslaufen lässt, dann aber sofort für die nächsten fünf Jahre zum Hausregisseur wird, während sich seine bisherige Geschäftsführerin Susanne Moser und sein Operndirektor Philip Bröking den Chefsessel teilen.

Beide Entscheidungen sind pragmatisch und gut – mit beiden aber duckt sich Klaus Lederer auch weg, schiebt heikle Nachfolgefragen auf die lange Bank. Was bei Barenboim nun nicht möglich ist. Hier muss er, erstmalig als Senator, eine Entscheidung für eine Neuberufung treffen, bei der er sich auf jeden Fall in die Nesseln setzt, egal, wie seine Wahl ausfällt. Der eine oder der andere Teil der Klassikfans wird den Linkenpolitiker anschließend nicht mehr liebhaben.

Lederer kann die Entscheidung auch an die Staatskapelle delegieren, das Orchester befragen, ob es, nach dann 30 gemeinsamen Jahren, noch immer so viele Impulse von Barenboim erhält, dass es mit ihm weitermachen will. Obwohl – das weiß man von den schwierigen Wahlprozessen der basisdemokratisch organisierten Berliner Philharmoniker – ein so großes Künstlerkollektive selten einer Meinung ist. Mit 136 Mitgliedern ist die Staatskapelle sogar noch um acht Planstellen größer als die Philharmoniker.

"Das Orchester steht in großer Abhängigkeit"

Wer ganz offiziell um ein Gespräch mit den Betroffenen über Zukunftsfragen bitte, erhält von der Pressestelle einen dürren Einzeiler zur Antwort: „Der Orchestervorstand wird über das Statement hinaus keine weiteren Interviews geben.“ Liest man daraufhin die Solidaritätsadresse der Musikerinnen und Musiker aus der vergangenen Woche noch einmal aufmerksam, in dem sie ihrem Chef das vollste Vertrauen aussprechen, so fällt etwas Erstaunliches auf. Dass sich nämlich die Staatskapelle „auf weitere Jahre erfolgreicher Zusammenarbeit“ freut – ohne zur konkretisieren, ob damit auch die Zeit nach 2022 gemeint ist.

Der Hornist Markus Bruggeier ist das einzige aktive Mitglied der Staatskapelle, das sich in der aktuellen Diskussion geäußert hat. In einem Beitrag von Kathrin Hasselbeck, der am 21. Februar von Deutschlandfunk Kultur ausgestrahlt wurde, sagt er: „Das Orchester steht in großer Abhängigkeit von Daniel Barenboim, weil er die Existenz der Staatskapelle gesichert hat. Das nimmt dem Orchester die Möglichkeit, sich eigenständig zu profilieren, unabhängig von Herrn Barenboim.“
Wer die Webseite der Staatskapelle aufruft, sieht in der Tat auf der Startseite erst einmal nur: den Maestro. Ein Bild zeigt ihn in Nahaufnahme, wie er dirigiert, sehr unscharf sind im Hintergrund einige Musiker zu erkennen. Unter der Rubrik „Mitglieder“ findet sich ein Schwarzweiß-Foto, das aus der rückwärtigen Perspektive aufgenommen ist und lediglich die Rücken der Spielerinnen und Spieler zeigt. Anders als bei den Berliner Philharmonikern, auf deren Website jedes Mitglied mit eigenem Foto präsent ist, fehlen bei der Staatskapelle individuelle Porträts völlig. Zu vielen Namen gibt es zudem nicht mal eine Kurzbiografie, die man anklicken könnte.

Sicherheit im Windschatten des großen Maestro oder volles Risiko mit einem neuen Chef, dem man zutraut, die Latte zu überspringen, die Daniel Barenboim sehr hoch gelegt hat – zwischen diesen beiden Polen muss sich die Staatskapelle entscheiden. Barenboim hat in der vergangenen Woche deutlich gemacht, dass er beide Entscheidungen akzeptieren würde: „Ich habe von Anfang an gesagt, dass ich nicht einen Tag länger bleiben werde, als das Orchester es will und meine Kraft es zulässt. Ich will nicht als eine Reliquie bleiben.“

Gibt es einen dritten Weg?

Oder gibt es doch noch einen Kompromiss, einen dritten Weg? Ja, wenn man auf historische Vorbilder zurückgreift, auf eine früher mal am Haus praktizierte Gewaltenteilung. Es gab Zeiten, da leitete Unter den Linden der Generalmusikdirektor nur den Opernbetrieb, während ein anderer Dirigent für die Konzerte zuständig war. Das Engagement von Richard Strauss beispielsweise wurde 1898 dadurch möglich, dass Felix Weingartner, der bisher alleiniger Musikchef gewesen war, nur noch die Konzertprogramme der Staatskapelle dirigieren wollte.

Mit so einem Modell ließe sich auch der aktuelle gordische Knoten lösen. Daniel Barenboim, den das Orchester ja schon im Jahr 2000 symbolisch zum „Dirigenten auf Lebenszeit“" ernannt hat, könnte sich nach 2022 aufs Sinfonische konzentrieren. Und für die deutlich zeitaufwändige Oper würde man – mit seiner beratenden Hilfe – einen jüngeren Dirigenten engagieren. Diesem, seinem Halb-Nachfolger, könnte der weiterhin Unter den Linden präsente Barenboim dann als väterlicher Freund sicher so manchen wertvollen Tipp geben.

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