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Sachlich und vehement: Dirigent Daniel Barenboim macht den Zyklus „Má vlast“ zu einer Entdeckungsreise.

© Thomas Bartilla

Daniel Barenboim und die Staatskapelle Berlin: Böhmens Hain und Flur

Stürmische Orchestersinfonik, zartes Streicherfugato und hymnische Steigerungen: Daniel Barenboim dirigiert den Zyklus „Má vlast“ von Bedbich Smetana.

Die Staatskapelle Berlin betritt Neuland. Während im internationalen Musikbetrieb Bedbich Smetanas „Moldau“ als Wunschmusik verehrt wird, erklingt der ganze Zyklus „Má vlast“, dessen zweiter Teil sie ist, bei uns äußerst selten. Für die Tschechen bedeuten die sechs sinfonischen Dichtungen, in denen die Komposition „Mein Vaterland“ Natur, Mythos, Volk und Geschichte besingt, Anfang und Höhepunkt tschechischer Musik. Wie ein Ritual wird „Má vlast“ jedes Jahr als Auftakt des seit 1946 begangenen Festivals „Prager Frühling“ am 12. Mai aufgeführt, dem Todestag (1884) des tschechischen Komponisten Smetana.

Nun also in der Philharmonie die Probe aufs Exempel. Daniel Barenboim steht vor großformatigen Partituren, die viel Umblättern erfordern, weil die Musik genau gelesen sein will, dicht gesetzt ist und sinnenhafter Orchesterklang sich zu voller Kraft entfaltet. Als Smetana sie 1874/79 komponierte, war er bereits ertaubt, das Beethoven-Leiden holte auch ihn ein. Es geht in dieser sinfonischen Apotheose um die legendäre Burg „Vysehrad“, „Die Moldau“, die Rache der Amazone „Šárka“, „Böhmens Hain und Flur“, die alte Hussitenstadt „Tábor“, den Berg „Blanik“, in dem die tapferen Kämpfer ruhen, um wiederzukommen zum Ruhm des Vaterlandes. Am Anfang tönen die Harfen der Wahrsager, bis die Königsburg sich in edlem Glanz türmt.

Mehr Entdeckungsreise als romantisches Verweilen

Die Aufführung Barenboims mit der Staatskapelle und ihren wunderbaren Bläsersolisten, die wie Hirten auf Schalmeien spielen, hat den Charme des Experimentellen. Ein Restchen Risiko ist geblieben und das Augenmerk des Dirigenten mehr als sonst auf das Notenbild geheftet. In großartigem Bogen und strahlenden Wellen fließt die Moldau an einer besonders anmutigen Polka vorbei.

Weniger gewohnt sind die Kontraste des weiteren Bilderbogens, stürmische Orchestersinfonik, Tanzweisen, Marsch und Klarinettenidylle, zartes Streicherfugato und hymnische Steigerungen, Kampfgetümmel, schließlich der Choral „Die ihr Gottes Kämpfer seid“.

Barenboims Interpretation ist in diesem Fall mehr Entdeckungsreise als romantisches Verweilen. Sachlich, vehement, durchaus mit eigenen Akzenten erkundet er die Partitur, um sie zu besitzen. Das macht die Spannung des gefeierten Abends aus.

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