zum Hauptinhalt
Tonforscher. Musiker Rabih Beaini, 39, wurde im Libanon geboren.

© CTM Festival

CTM Festival 2016: Die Welt im Ohr

Als Morphosis war er ein bekannter House-DJ. Jetzt eröffnet Rabih Beaini das CTM Festival für experimelle Musik.

Von Hendrik Lehmann

„Wenn du auf der Bühne stehst, dann bist du vollkommen nackt“, sagt Rabih Beaini und hält mit beiden Händen seinen Kaffeebecher umschlossen, „deine Musik ist dann alles, in das du dich kleiden kannst“. Wenn der 39-Jährige am Sonnabend im HAU das diesjährige CTM Festival eröffnet, stehen acht Musiker mit ihm im Halbkreis auf der Bühne. Zwei Bläser, zwei Gitarristen, zwei Schlagzeuger, zwei Sänger. Sie bilden zwei gespiegelte Gruppen.

Beaini selbst wird ihnen gegenüberstehen, den Rücken zum Publikum gewendet. Mal werden die Musiker gegeneinander spielen, mal gemeinsam, mal füreinander. Beaini jedoch spielt nicht. Er leitet die Musiker an und mischt und verfremdet die einzelnen Instrumente in Echtzeit elektronisch. Weder bei den Musikern selbst noch beim Publikum kommen die Klänge so an, wie sie gespielt werden. Beaini will so zur Grenze zwischen Musikern und Publikum werden, zu einer Art Filter. Ein elektronischer Filter mit dunklem Vollbart, großen Händen und aufmerksamem Blick.

Sein Experiment will andeuten, dass im Zeitalter der Digitalisierung jede Musik elektronisch gefiltert wird. Egal, ob sie ursprünglich einem Saxofon oder einem Macbook entspringt. Oft merkt der Zuhörer das nur nicht. Was im ersten Moment als eine Kritik verstanden werden könnte, ist für Beaini auch ein Versprechen.

Das Internet habe dazu geführt, dass wir an nahezu jedem Ort der Welt in jede Art Musik eintauchen und sie dann unserem persönlichen Standpunkt entsprechend neu interpretieren können. Keine Grenzen mehr zwischen Nationen, keine der Kreativität. Die Zeit, in der man eindeutig sagen konnte, woher welche Musik kommt, sei unwiederbringlich passé. Das sagt zumindest Beaini beim Gespräch im Kunsthaus Acud, wo er im Büro von Festivalgründer Jan Rohlf sitzt.

„Neue Geografien“ heißt die diesjährige Ausgabe des Festivals für experimentelle Musik. Rabih Beaini, der 2016 erstmals nicht nur als Musiker, sondern auch als Ko-Kurator eingeladen wurde, ist ein konkretes Beispiel dafür, was der abstrakte Slogan bedeuten soll.

Bereits in Beirut legte Rabih Beaini in Clubs auf

Der im Libanon geborene Wahlberliner und Label-Chef von Morphine Records beschreibt sich selbst gerne als „Researcher“, als Forscher. Tatsächlich hat seine musikalische Laufbahn viel mit einer langen Forschungsreise gemein. Bereits in Beirut legte er in Clubs auf, Ende der 90er zog er nach Venedig, wo er sich unter dem Namen Morphosis in wenigen Jahren einen Namen als House-DJ machte. Als er erfolgreich wurde, hörte er auf, in großen Clubs zu spielen. Stattdessen beschäftigte er sich mit jedweder Musik, die er in die Finger kriegen konnte: Avantgarde-Elektro und Krautrock, alte Musik aus dem Nahen Osten und vor allem Free Jazz. Heraus kam 2011 ein in nur zwei Tagen aufgenommenes Techno-Album mit dem simplen Titel „What have we learned“ (Was wir bis jetzt gelernt haben). Die Kritiker feierten das Album. Seine Schlussfolgerung: Noch einmal etwas Neues machen, weiterforschen. Ob er Angst habe, von anderen auf einen Stil festgelegt zu werden? Kann gut sein, sagt Beaini, dem es gefällt, sich und seine Umgebung stets neu zu erfinden.

Der Grenzenlose: Rabih Beaini auf dem Balkon des Acud in Prenzlauer Berg.
Der Grenzenlose: Rabih Beaini auf dem Balkon des Acud in Prenzlauer Berg.

© Hendrik Lehmann

Vor vier Jahren ist er nach Berlin gezogen, Kreuzberg, Manteuffelstraße. Seitdem hat er keine Musik mehr aufgenommen. „Das hat aber nichts mit Berlin zu tun“, merkt er vorsorglich an. Es interessiere ihn momentan mehr, anderer Leute Musik zu produzieren oder eben neue Konzertformen auszuprobieren. Seinen Künstlernamen Morphosis benutzt er seit 2014 nicht mehr. Der Klarname sei bodenständiger, erzählt er. Er will keinen Glamour. Durch seine musikalische Entdeckungsreise zieht sich eine Konstante: die Suche nach Klängen, die das Ohr herausfordern. Das ist der Grund, warum er wochenlang nach ungewöhnlicher Musik aus Neuseeland stöbert oder sich mit javanischen Bands auseinandersetzt. Deswegen veröffentlicht er auf seinem Label neben Techno und Free Jazz plötzlich 30 Jahre alte Aufnahmen von Charles Cohen, einem Synthesizer-Pionier aus den 70ern. Deshalb hat ihn Jan Rohlf dieses Jahr in das CTM–Kuratorenteam geholt.

Musik als Kommunikation über Grenzen hinweg. Jan Rohl will mit New Geographies ein Zeichen gegen Forderungen nach nationaler Kultur und Abschottung setzen.
Musik als Kommunikation über Grenzen hinweg. Jan Rohl will mit New Geographies ein Zeichen gegen Forderungen nach nationaler Kultur und Abschottung setzen.

© Hendrik Lehmann

„Wir holen Musik aus den Grauzonen zwischen den Genres auf das Festival“, sagt Rohlf. Und Musiker, die auf dem westlichen Markt bislang wenig Gehör finden: „Alle Musik, die wir hören, ist aus einem langen Austausch rund um die Welt entstanden.“ Eine Kommunikation, die das Festival fördern will.

Sufi-Sänger trifft Berghain-Publikum

Eingeladen sind Rob Thorne, ein Neuseeländer, der auf alten Maori-Instrumenten spielt. Die 83 Jahre alte Texanerin Pauline Oliveros, die Musik auf einer selbst gebauten Mischung aus Akkordeon und elektronischen Systemen macht. Die Transgender-Produzentin Tara Transitory aus Singapur, die sich weigert, jedwedem Ort, Geschlecht oder musikalischem Genre anzugehören. Und um Menschen aus dem Nahen Osten für das Festival zu interessieren, das traditionell eher von Hipstern, Clubgängern und Nerds besucht wird, hat Rabih Beaini Abdel Karim Shaar eingeladen, einen klassischen Tarab-Sänger aus Beirut, der das Singen sowohl als Muezzin als auch in einem christlichen Kirchenchor lernte. Was wohl passiert, wenn Shaar seine Lieder, die aus dem Sufismus, einer mystischen Form des Islam kommen, vor einem Berghain-Publikum singt? Das ist der Austausch, der Beaini interessiert.

Er selbst will erst einmal in Berlin bleiben, sagt er. Es sei denn, er muss irgendwann doch an einen anderen Ort, um noch einmal einen völlig neuen Weg einzuschlagen.

CTM – Festival for Adventurous Music & Art, 29.1. bis 7.2. an zahlreichen Spielorten, darunter Acud, Berghain, Volksbühne, Haus der Kulturen der Welt, Programminfos: www.ctm-festival.de, Eröffnungskonzert mit Rabih Beaini und Vincent Moon, Sa 30.1., 19 Uhr, HAU 1

Zur Startseite