zum Hauptinhalt
Barbara Frittoli als Despina und Marina Viotti als Dorbella.

© Mattias Baus

"Cosi fan tutte" in der Berliner Staatsoper: Liebeskummer lohnt sich doch

Ungezwungenes Leben, unbeschwerte Liebe: „Così fan tutte“ an der Berliner Staatsoper, dirigiert von Daniel Barenboim.

Ein Berg in typischer Formung, offensichtlich ein Vulkankegel, überragt einen Strand. Wo sind wir? La Palma kann es nicht sein, so aktuell ist Theater nicht, Musiktheater schon gar nicht. Das lustige tanzende Hippievölkchen auf der Bühne würde eher zu La Gomera passen. Ein Blick ins Programmheft offenbart, dass Regisseur Vincent Huguet Italien im Sinn hat, irgendwo zwischen Vesuv, Stromboli und Ätna. Dieser Strand, an dem massive Quader als Wellenbrecher aufgetürmt sind und mediterrane Vegetation wuchert, dient ihm als Sinnbild der Freiheit, des ungezwungenen Lebens und der unbeschwerten Liebe, die viele Partner und Partnerinnen kennt. Die beiden Paare, die hier Urlaub machen, Guglielmo und Fiordiligi sowie deren Schwester Dorabella und Ferrando, passen insofern nicht ganz hierher. Denn Ausschweifungen haben sie nicht im Sinn, Treue gilt ihnen alles.

„Così fan tutte“ ist die letzte der drei Opern, die Mozart mit dem Librettisten Lorenzo da Ponte geschaffen hat. Opernhäuser führen diese Trilogie, die nie als solche gedacht war, gerne als Zyklus auf, auch die die Berliner Staatsoper macht da keine Ausnahme. Nur die Chronologie ist Unter den Linden völlig durcheinandergeraten. Historisch entstand „Così“ zuletzt, 1790, ein Jahr vor Mozarts Tod. Vincent Huguet aber erkennt in den drei Stücken einen Zusammenhang, nämlich die Lebensgeschichte eines fiktiven männlichen Charakters von der Jugend („Così“) über die Ehe („Figaros Hochzeit“) zum reifen, gealterten Liebhaber („Don Giovanni“), weshalb er sie in dieser Reihenfolge auf die Bühne bringen wollte. Coronabedingt musste „Figaro“ im Frühjahr als Streaming-Premiere vorgezogen werden und kam kürzlich auch mit Publikum zur Aufführung. Jetzt also Teil 2, der eigentlich Teil 1 sein soll.

Treuetest als Schnapsidee

Hier am Strand ereignet sich das Ungeheure, auch ungeheuer Alberne, das da Ponte lange den Vorwurf einbrachte, sein Libretto sei misogyn: Die beiden Männer müssen plötzlich in den Krieg ziehen und kehren als verkleidete Albaner zurück – und die beiden Frauen, ihre Verlobten nicht erkennend, lassen schon nach einem Tag alle Widerstände fahren und treten, jetzt hübsch über Kreuz, mit dem jeweils anderen vor den Traualtar.

Interessanteste Figur, über die man noch lange nachdenkt, ist dabei der sinistre Don Alfonso, der mit seiner heiteren Kammerzofe Despina (Barbara Frittoli) ebenfalls an diesem Strand Urlaub macht und Guglielmo und Ferrando überhaupt erst auf die Schnapsidee mit dem Treuetest bringt. Der Bariton Lucio Gallo singt ihn nicht als kaltherzigen Spin- Doctor, sondern als gereiften Lebemann mit offenem Hemdkragen, der sich seiner (eingebildeten oder realen) Virilität bewusst ist, aber auch nicht verstecken kann, dass sich dahinter eine tiefe Verletzlichkeit verbirgt. Was mag er erlebt haben, um dermaßen von der Treulosigkeit der Frauen überzeugt zu sein? Ist er selbst verlassen worden (von Despina?), oder kann er es einfach nicht ertragen, auch mal nicht begehrt zu werden?

Huguet platziert das Geschehen französisch-stilsicher und stimmig in eine Umgebung, die sowohl im Heute als in der Blumenkinder-Welt der späten 60er und 70er Jahren angesiedelt sein könnte. Dabei begreift er „Così“ als das, was es nach der Intention von Mozart und da Ponte wohl auch sein soll: als Komödie. Allerdings sprengen manch derbe Kalauer eher den Rahmen seines zarten Regiestils – wie der von Despina, die die beiden scheinbar ohnmächtigen Männer mit einem magnetischen Mesmer-Stein „aus Deutschland“ wiedererweckt und dabei einen Mercedes-Stern zückt. Doch es gibt viele liebevolle Details in der Personenführung, etwa wenn sich Fiordiligi nach ihrer trotzigen, großen, von Federica Lombardi souverän gesungenen Felsenarie schutzbedürftig in einen Sessel krümmt wie in eine Eierschale.

Hommage an die Liebe selbst

Daniel Barenboim und die Staatskapelle nehmen sich in eher getragenem Tempo viel Zeit, auch musikalisch die Details von Mozarts zwar insgesamt zu lang geratener, aber trotzdem in zeitloser Schönheit funkelnder Partitur auszukosten und im richtigen Moment dramatisch zuzuschlagen. Liebhaber der zahlreichen, partiturprägenden Terzette und Sextette und natürlich auch der Einzelarien erleben einen gelungenen, stimmlich beglückenden Abend – etwa in Ferrandos berührender „Un’aura amorosa“-Arie. 

Ungekünstelt, ganz natürlich, fast wie nebenbei und dabei mit schöner, sanfter Stimme singt Paolo Fanale diese Hommage an die Liebe selbst, die freilich im Gesamtkontext dieser Oper als brüchig entlarvt wird. Marina Viotti als Dorabella und Gyula Orendt als Guglielmo können ebenso überzeugen, auch wenn alle vier insgesamt etwas gezügelt agieren – glaubt man Rezensionen, dann war die Lust, der Hunger aufs Spielen in der „Figaro“-Premiere deutlich ausgeprägter.

[Wieder am 6., 9., 13., 16. und 20. Oktober und im April, Staatsoper Unter den Linden]

Einen besonderen Coup, der hier nicht verraten sein soll, hat sich der Regisseur für die finale Hochzeit ausgedacht, die bekanntlich durch die Rückkehr der echten Liebhaber gesprengt wird. Nur soviel: Fiordiligi und Dorabella sind in dieser Inszenierung alles andere als „dämlich“. Und „Così fan tutte“, das man immer für tendenziell frauenfeindlich gehalten hat, schimmert plötzlich in einem freundlicheren, modernen Licht: Ist nicht die freie Liebe das Problem, sondern das strikte, veraltete, im Grunde unmenschliches Verständnis von Treue? „So machen’s alle“, genau. Frauen wie Männer. Und das ist auch gut so.

Zur Startseite