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Arzt im New Yorker Stadtteil Queens, nachdem er die Notaufnahme verlassen hat. Die Lage spitzt sich weiter zu.

© Mary Altaffer, dpa

Coronavirus-Tagebuch aus New York (3): Die Scham, bloß Journalist zu sein

Unser Kolumnist erlebt die Coronavirus-Pandemie in den USA. Sein Sohn fängt grade an, zu laufen. Was für eine Welt das Kind wohl entdecken wird?

Klaus Brinkbäumer war zuletzt Chefredakteur des „Spiegel“ und arbeitet heute als Autor unter anderem für „Die Zeit“. Sie erreichen ihn unter Klaus.Brinkbaeumer@extern.tagesspiegel.de oder auf Twitter unter @Brinkbaeumer. In seiner wöchentlichen Kolumne „Spiegelstrich“ verfasst er in den kommenden Wochen ein Coronavirus-Tagebuch mit kurzen Beobachtungen aus dem Alltag und Überlegungen zur Corona-Krise.

– Wir Menschen, sagt der Psychologe Daniel Kahneman, hätten deshalb Mühe, eine Pandemie zu verstehen, weil wir exponentielles Wachstum nicht erfassen könnten; wir sähen, was da ist, und nicht, was da sein wird. Stellen wir uns also einen See vor, der von einer tödlichen Alge attackiert wird, die sich täglich selbst verdoppelt: Noch am vorletzten Tag schimmert der halbe See unversehrt im Abendlicht. Gehen wir morgen schwimmen?

– Noch fünf Tage bis zum D-Day, wie in New York jener Tag heißt, an dem nicht mehr genug Betten und Beatmungsgeräte da sein werden. Verdopplung: alle drei Tage.

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– Coronasprache: Covidioten. Covidivorce. Angeblich wird es nach den Quarantäne-Monaten mehr Babys und mehr Scheidungen geben.

– Angela Merkel inszeniert sich nicht, steht bloß da und erklärt den Deutschen, warum Ostern in diesem Jahr anders sein müsse.

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Donald Trump sagt inmitten der Pandemie: „Ich bin Nummer 1 auf Facebook.“ Seine Wissenschaftler raten der Nation zu Masken, er sagt: „Ach, na ja, ich werde keine tragen.“ Kahneman sagt: „Das Wichtigste sind ehrliche, klare Botschaften.“

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– Catch-22: Die freie Gesellschaft muss debattieren, was wirkt und was nicht – die freie Gesellschaft wird nur gerettet werden, wenn wir Experten vertrauen, eine Strategie entwickeln und die Disziplin haben, kollektiv die Strategie durchzuhalten.

– Jakob Augstein schreibt: „Die krasseste Erfahrung dieser Krise ist, wie extrem anfällig so viele Leute für group think sind! Und zwar auch Journalisten. Das ist beängstigend!“ Ich mag laute Adjektive selten, jedoch: krasser als die Einsamkeit der Sterbenden? Krasser als die Trauer der Kinder, die ihre Eltern nicht mehr sehen können?

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– Was ich vergessen hatte: die Scham, in Krisengebieten bloß Journalist zu sein; während Ärzte – und nicht nur sie – ihr Leben einsetzen und etwas bewirken.

– Soziale Medien sind nun sozial. Dass das Trimm-Training mit den Segel-Weltmeistern und die Tanzklasse des American Ballet Theater live sind und dass Igor Levit dort für uns spielt, verbindet uns.

– Wie banal, jetzt: 45 Jahre lang gab mir der Sportkalender Halt. Unverrückbar: Olympische Sommer. Es ist April, also Eishockey-Play-offs. Zu dem, was im Leben enden kann, hätte ich nicht den FC St. Pauli gezählt.

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– Werden sich eigentlich die Gefühle nachholen lassen, wenn dies alles vorbei ist: Trost? Trauer? Lassen sich Abschiede nachfeiern?

– Draußen das stille New York. Man hört in New York einzelne Autos, als wär’s Münster-Hiltrup. Das Empire State Building leuchtet um 21Uhr beiläufig grausam: blutrot. Um 19 Uhr klatscht die Stadt für ihre Heldinnen und Helden.

Die Ehefrau verbringt Stunden damit, via Smartphone bei „Whole Foods“ Lebensmittel einzukaufen, also zunächst den Warenkorb mit dem zu füllen, was noch zu haben ist, um beim letzten Schritt, dem Abschluss der Bestellung, doch zu erfahren, dass der Liefertermin, der zu Beginn des Vorgangs frei war, nun vergeben ist. Am fünften Tag gelingt’s.

Tagesspiegel-Kolumnist Klaus Brinkbäumer.
Tagesspiegel-Kolumnist Klaus Brinkbäumer.

© Tobias Everke

– Was für ein Beruf: in diesen Tagen Lebensmittel in Manhattans Hochhäuser zu liefern.

– Die Eltern scheitern an Skype. Digitale Bilderrahmen retten uns: Ich lade auf dieser Seite des Meeres die Fotos hoch, von der Kommode aus lacht der Enkel die Großeltern an.

– 2. April 2020: der Tag, an dem der Sohn meine Hand loslässt und läuft. Nicht im Central Park, sondern im 30. Stock in Quarantäne, doch wen stört’s? „Nun wird er diese Welt entdecken“, schreibt meine Schwester aus Montpellier. Was für eine Welt?'

– Alte wie ihn, sagt Kahneman, 86, werde diese Krise bis an ihr Lebensende begleiten. Die Gesellschaft, die Menschheit werde sie überstehen.

Klaus Brinkbäumer

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