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Krisenmanager. Matthias Schulz, leitet seit 2018 die Staatsoper Unter den Linden.

© dpa/Britta Pedersen

Coronakrise in der Klassik: „Jetzt atmen wir auch einmal durch“

Auch die Berliner Staatsoper trifft die Krise. Existenzsorgen sind allgegenwärtig, aber es gibt positive Seiten. Ein Gespräch mit Intendant Matthias Schulz.

Am heutigen Samstag ist auf der Website der Staatsoper ab 12 Uhr kostenlos die Aufzeichnung der neuen „Rosenkavalier“-Inszenierung von André Heller zu sehen, dirigiert von Zubin Mehta. Ab Sonntagmittag folgt Patrice Barts „Nussknacker“-Choreografie (musikalische Leitung: Daniel Barenboim). Infos: www.staatsoper-berlin.de

Herr Schulz, dieses Interview findet notgedrungen telefonisch statt. Wo erwische ich Sie denn gerade, zu Hause oder in Ihrem Büro Unter den Linden?
Ich bin tatsächlich in der Staatsoper. Wir haben am Dienstagabend auf einen Minimalbetrieb umgestellt, von den über 600 Mitarbeitern des Hauses sind die allermeisten zu Hause und wenn möglich im Homeoffice. Die wenigen Verbliebenen kümmern sich jetzt unter anderem darum, dass die technischen Anlagen so vorbereitet werden, dass sie in der Zwischenzeit nicht kaputtgehen.

Unsere Maskenbildnerinnen beispielsweise haben sich Arbeit mitgenommen, Solisten, Chor und Orchester können jetzt schon ihre jeweiligen Partien für Stücke einüben, die in näherer Zukunft geplant sind. Die Schließung der Staatsoper auch für die Belegschaft gilt vorerst bis zum 5. April.

Ist das Datum so gewählt, damit Sie sofort loslegen könnte, falls es bei der Ansage des Senats bleibt, dass die Bühnen ab dem 20. April wieder spielen dürfen?
Nach unserem Spielplan würde es dann gleich Vorstellungen von Rossinis „Barbier von Sevilla“ und von Mozarts „Zauberflöte“ geben. Das sind zwei Produktionen, die wir im Repertoire haben und darum in kurzer Zeit spielfertig machen können.

Die Schließung bis zum 5. April wurde jetzt erst einmal für alle Bereiche der Berliner Opernstiftung beschlossen. In der Leitungsebene der Stiftung müssen wir uns Ende März dann erneut verständigen, ob es dabei bleiben kann.

Eigentlich hatten Sie noch geplant, die von Simon Rattle dirigierte „Idomeneo“-Premiere am 18. März über die Bühne gehen zu lassen, vor leeren Rängen und als Online-Version. Lag es an der Angst vor dem Coronavirus innerhalb des Ensembles, dass Sie kurz vorher die Proben abgebrochen haben?
Nein, alle waren enorm motiviert, besonders auch nach dem großen Erfolg der „Carmen“-Übertragung am 12. März, die rund 170 000 Menschen zu Hause erreichte. Vom Chor bis zu Simon Rattle war die komplette Mannschaft mit Feuereifer bei der Sache. Doch die Ereignisse haben sich dann so entwickelt, dass ich am 15. März entscheiden musste, den Probenbetrieb komplett einzustellen. Gesundheit geht einfach vor!

Für diese Saison ist die Produktion vermutlich verloren, oder?
Vermutlich ja, aber wir wollen den bereits feststehenden Termin für die Wiederaufnahme Anfang 2021 dann zur Premiere machen. Ich hoffe, wir schaffen es, dafür exakt dieselbe Besetzung zusammenzubekommen, mit der wir die Produktion jetzt machen wollten.

Auch Herr Barenboim hatte eine Premiere geplant, nämlich Mozarts „Così fan tutte“ am Palmsonntag. Was wird daraus?
Die Situation ist ähnlich: Auch da versuchen wir, die Premiere im nächsten Jahr zu machen. Es wäre ein tolles Zeichen, wenn das gelingt.

Die meisten Aufführungen bei den österlichen Festtagen Unter den Linden bestreitet Daniel Barenboim normalerweise im Alleingang. Das war auch diesmal so geplant. Was macht der Maestro nun?
So wie ich Herrn Barenboim kenne, wird er sich nicht langweilen. Wir beide haben viel zu besprechen über die Auswirkungen der aktuellen Krise auf die kommenden Spielzeiten. Und als Pianist kann er zumindest auch zu Hause weiter Musik machen.

Plötzlich ist da Raum für Dinge, für die sonst nie Zeit hatte...
Die Zwangsentschleunigung hat für uns alle durchaus auch einen positiven Effekt. Im normalen Opernbetrieb stehen wir unter einem enormen Druck, alles ist genau durchgetaktet, jeden Abend muss der Vorhang hochgehen. Jetzt haben wir die Möglichkeit durchzuatmen und so manche scheinbare Selbstverständlichkeit auch mal zu hinterfragen.

Zum Beispiel, ob Klassikinterpreten wirklich ununterbrochen um den Erdball reisen müssen.
Es entstehen ja, was gut ist, überall auf der Welt immer neue kulturelle Zentren, gerade auch im asiatischen Raum. Kulturaustausch ist an und für sich auch etwas überaus Wichtiges. Wir bringen damit Musik zu Menschen, die nicht zu uns kommen können.

Und wer erlebt, was es in Peking oder Sydney bei den Zuhörern auslöst, wenn sie den ganz besonderen Klang der Berliner Staatskapelle live erleben können, dann weiß man, es wäre wirklich schade, wenn das nicht mehr möglich ist.

Aber natürlich werden wir uns in Zukunft jede Tournee genau überlegen und im Zweifelsfall lieber für ein längeres Gastspiel an einen einzigen Ort fahren als kreuz und quer durch die Länder zu hetzen. Es wird hier sicher ein neues Bewusstsein und eine Konzentrierung brauchen.

Der Friedrichstadt-Palast hat bekanntgegeben, dass dort durch die Bühnenschließung Einnahmen in Höhe von 2,1 Millionen Euro wegbrechen werden. Wie hoch ist die Summe bei Ihnen?
Es lief gerade besonders gut bei uns, auch in Sachen Auslastung. Zwei Premieren standen an und dann die Festtage mit dem Zyklus aller Beethoven-Sinfonien. Sämtliche Vorstellungen waren nahezu ausverkauft, das summiert sich bis zum 19. April auf mehr als 2,5 Millionen Euro, die wir über die Tickets eingenommen hätten.

Aber als staatliche Institution kann sich die Staatsoper das vom Senat erstatten lassen, oder?
Wir sind noch in einer relativ gut abgesicherten Situation, stehen aber auch vor enormen wirtschaftlichen Herausforderungen. Derzeit blicke ich aber vor allen Dingen mit großer Sorge auf die Probleme, die jetzt alle Freiberufler haben.

Sie stehen buchstäblich vor dem Nichts. Unser Ziel ist es, Härtefälle zumindest auszugleichen und für jene Künstler wenigstens teilweise kompensieren zu können, auch wenn der Spielbetrieb wegen „Höherer Gewalt“ eingestellt ist und wir darum rein rechtlich nicht zur Zahlung verpflichtet sind.

Es braucht hier aber den Schulterschluss mit der Politik. Klaus Lederer hat hierzu gerade schnelle und unkomplizierte Hilfe angekündigt. Dafür bin ich sehr dankbar.

Ihnen ist die Jugendarbeit an der Staatsoper sehr wichtig. Die fällt nun auch komplett ins Wasser.
Das ist ein Jammer! Unsere Programme basieren ja vor allem auf dem Mitmachen und dem unmittelbaren Erleben. Das Opernkinderorchester hätte bei den Festtagen auftreten sollen. Noch vor drei Wochen gab es dafür ein sehr intensives Probenwochenende.

Wir wollen unbedingt versuchen, dass der Auftritt in dieser Saison nachgeholt werden kann. Auch an den Kinderopernhäusern in den Bezirken, mit denen wir kooperieren, wurde seit Beginn des Schuljahres geprobt. Das soll keineswegs umsonst gewesen sein!

In der Zwischenzeit überlegen wir, wie wir auch online für Kinder etwas anbieten können. Einen täglich wechselnden digitalen Spielplan gibt es ja bereits auf der Website.

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