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Im Berliner Ensemble sind Sitzreihen und einzelne Sitze wegen der Kontakteinschränkungen während der Coronapandemie ausgebaut. Gespielt wird trotzdem nicht.

© dpa/Britta Pedersen

Corona und die Konsequenzen für das Theater: Künstlerisches Koma

Verschobene Premieren, Probenstopp und banges Hoffen: Wie die großen Berliner Schauspielbühnen den Betrieb für die nächsten Monate herunterfahren.

Nicht mehr lange, dann wird das Berliner Ensemble „in den Dornröschenschlaf versetzt“. So kündigt es Intendant Oliver Reese an. Das bedeutet: „Keine Proben weiterführen, nichts Neues mehr anfangen.“ Schotten dicht am Schiffbauerdamm, das Haus wird bis mindestens Mitte März ins künstliche Koma versetzt.

Woran natürlich kein giftiger Apfel schuld ist, sondern ein Virus mit Neigung zur Mutation, „was jedem, der die Lage verfolgt, große Sorge bereiten muss“, so Reese. Er hat mit seiner Entscheidung nicht abgewartet, bis die Kanzlerinnenrunde zum Austausch über den verschärften Lockdown zusammenkam. Sondern sich längst vorher auf das eingestellt, was man auch ohne Glaskugel prophezeien konnte: Es werden die härtesten Monate.

In den Häusern wird es immer einsamer

Die Aussetzung des Spielbetriebs, konkret bis Ende März, war ja ohnehin zwischen den Leiterinnen und Leitern der Berliner Theater und Kultursenator Klaus Lederer beschlossen. Nun aber fahren fast alle, wenn nicht sowieso schon geschehen, auch den Probenbetrieb herunter. Es wird noch einsamer in den Häusern.

Ulrich Khuon, Intendant des Deutschen Theaters, erzählt, dass sich die Menschen, die an der Schumannstraße vor Ort sind, „an zwei Händen abzählen lassen“. Auch Reese schickt, wen er kann, ins Homeoffice: „selbst eine Maskenbildnerin, die zuhause Perücken knüpft“.

Am BE herrschte bis vor kurzem noch reger Betrieb

Noch in der vergangenen Woche herrschte am Berliner Ensemble vergleichsweise reger Betrieb, gleich vier Produktionen waren in Arbeit. Zwei der Proben sind mittlerweile unterbrochen. Brechts „Dreigroschenoper“ in der Regie von Barrie Kosky wird immerhin bis zur Generalprobenreife gebracht, eine weitere Inszenierung – „Anatomie eines Suizids“ – darf ebenfalls noch anderthalb Wochen probieren. Regisseurin Nanouk Leopold hat in Kürze einen großen internationalen Dreh, deswegen lässt sich ihre Arbeit nicht so einfach verschieben.

Vor genau diesem Dispositions-Problem stehen im Moment natürlich viele. „Die Planungen sind eine echte Herausforderung“, sagt auch Thomas Ostermeier, künstlerischer Leiter der Schaubühne. Seit November muss ja laufend umdisponiert werden, er jongliert mit Plan A, B und C für alle Öffnungsfälle, lotet mit den künstlerischen Teams aus, wer wann wie verfügbar wäre.

Einige Premieren sind schon auf Anfang 2022 verschoben

An der Schaubühne wird bereits seit über einem Monat nicht mehr geprobt. Die Ostermeier-Inszenierung „Das Leben des Vernon Subutex I“ mit Joachim Meyerhoff hatte im November noch eine hausinterne Voraufführung, im Dezember wurde ebenfalls hinter verschlossenen Türen Simon McBurneys „Michael Kohlhaas“ gezeigt, Simon Stone hat seine Garcia-Lorca-Bearbeitung „Yerma“ fast fertig geprobt, es bräuchte noch eine Woche, um sie zur Premiere zu bringen. „Wir haben so viele Projekte in der Pipeline, dass es sinnlos wäre, noch weitere Produktionen anzuhäufen“, erklärt Ostermeier den Probenstopp kurz vor Weihnachten. Einige fürs Frühjahr geplante Premieren hat er unterdessen in den Herbst oder gleich auf Anfang 2022 verlegt.

Auch am Gorki Theater wird umdisponiert. Shermin Langhoff hat vier Produktionen ihrer Hausregisseurinnen und -regisseure aus dieser in die kommende Spielzeit verschoben. Dafür fallen dann aber die Premieren, die Yael Ronen, Sebastian Nübling, Oliver Frljic und Nurkan Erpulat in der Saison 2021/22 realisiert hätten, weg. Was natürlich auch damit zu tun hat, dass ein vergleichsweise schmal budgetiertes Haus wie das Gorki in Pandemiezeiten noch stärker unter Sparzwang gerät als andere Bühnen.

Am Gorki haben sich die Ticketeinnahmen um 1,2 Millionen Euro reduziert

„2019 hatten wir 1,7 Millionen Euro Ticketeinnahmen, 2020 waren es weniger als 500 000 Euro“, erklärt Langhoff. Zudem konnte das Gorki bis zum Januar keine Kurzarbeit anmelden, weil das den landeseigenen Bühnen (zu denen ja auch das DT, die Volksbühne und die Parkaue zählen) nicht gestattet war. Unverständlich, weshalb sich die Verhandlungen darüber so lange hingezogen haben.

Wie die anderen lässt auch Langhoff derzeit keine Präsenzproben mehr stattfinden. Immerhin, die Platonov-Inszenierung „Tschewengur“ von Sebastian Baumgarten probt mittels Videochat weiter. Und wird in einen filmischen Essay für die Live-Stream-Premiere umgewandelt.

Die neuen Stücke handeln von den Profiteuren der Pandemie

Ebenfalls virtuell hätten Hans-Werner Kroesinger und Regine Dura mit der Arbeit an ihrem Projekt „Die Macht der Konzerne“ beginnen sollen. Kurzfristig ist die Produktion auf Mai 2022 verschoben worden und wird sich vor allem den digitalen Konzernen und ihrer in der Pandemie gewachsenen Macht widmen.

„Normalerweise freut man sich über gelungene Inszenierungen, jetzt ist es ein Erfolgserlebnis, wenn alle am Haus den beschlossenen Weg mitgehen“, beschreibt Ulrich Khuon die derzeitige Verfassung. Derweil überlegt der Intendant mit seinem Team, in welcher Form die Autorentheatertage über die Bühne gehen können, die traditionell im Juni am DT stattfinden. „Dass bis zum Sommer gar nichts geht, kann ich mir nicht vorstellen“, sagt Khuon. „Aber ich konnte mir einiges nicht vorstellen, was dann doch eingetreten ist.“

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