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Dem Corona-Koller entkommt unsere Kolumnistin beim Kochen.

© Kai Uwe Heinrich

Corona-Koller: Gedanklich zur Ruhe zu kommen - das fällt unserer Kolumnistin derzeit schwer

Am besten geht es beim Kochen Und Struktur gibt es auch wieder: Die Wohnung ist in Sektoren für Arbeiten, Familie und Ruhe eingeteilt. Eine Kolumne.

Eine Kolumne von Hatice Akyün

Erinnern Sie sich an Ihren letzten Vorsatz? Mein stets wiederkehrender Vorsatz heißt: Mehr Zeit für mich. Wenn der liebe Gott einen bestrafen will, erfüllt er einem die Wünsche. Nun, Zeit habe ich jetzt, nur das Geld für neue Hobbies fehlt.  

Aber mal im Ernst: So langsam kriege ich einen Koller. Nein, keinen Lagerkoller in meinen vier Wänden. Da habe ich vorgesorgt. Nach dem Chaos der ersten Corona-Woche, in der sich meine Mini-Familie ständig auf die Füße getreten ist, habe ich unsere überschaubare Wohnung in Sektoren eingeteilt. Sektor Ruhe, Sektor Arbeit, Sektor Essen und Sektor Familienaktivitäten. 

Ich komme gedanklich einfach nicht zur Ruhe

Was mir mehr Sorgen bereitet ist meine Kopf-Quarantäne. Ich komme gedanklich einfach nicht zur Ruhe und muss aufpassen, nicht in der großen Sinnfrage zu verharren.  

Dabei habe ich genug Möglichkeiten, mich abzulenken. Zum Beispiel könnte ich meine Haushaltsliste abarbeiten, die seit Jahren am Kühlschrank vor sich hin gilbt. Endlich die Griffe an den Kleiderschrank schrauben, das Rollo im Schlafzimmer anbringen, den Duschkopf entkalken, den Backofen reinigen oder das Eisfach auftauen. Aber ob ich mich danach wirklich besser fühle? Höchstwahrscheinlich nicht. Und wie stehe ich überhaupt da, wenn plötzlich alles, was ich mir mein halbes Leben vorgenommen habe, in so kurzer Zeit erledigt wäre? 

Die fehlende Aussicht auf rasche Besserung macht mich lethargisch

Das Problem ist ja nicht, dass ich nicht genug zu tun hätte. Es ist die fehlende Aussicht auf das Ende dieses Schwebezustandes, die mich lethargisch macht. Und während ich mich meinem gedanklichen Shutdown hingab, fiel mir ein Sprichwort meines Vaters ein, das er mir mal in einer anderen Notlage mitgab: Auch wenn der Baum umfällt, wird er sich an seinen Nächsten lehnen. Damit meinte er, dass Menschen sich in schweren Zeiten aufeinander verlassen können, sich stützen können. Das gab mir ein wenig Zuversicht. 

Bewusst und ohne Reue nahm ich mir die Zeit für Muße, zum Nachdenken, zum Ausdenken und dafür, mir vorzustellen, was ich alles machen würde nach der Krise. Dann widmete ich mich dem Stapel Bücher, der seit Ewigkeiten auf meinem Nachttisch einstaubt und fing nach langer Pause wieder an, meine Töpfe und Pfannen durch die Küche zu wirbeln. Kochen hat mir schon immer geholfen, mich vom Stress des Alltags abzulenken.

Das Wissen, gerade nichts an der Situation ändern zu können, schränkt mich zwar ein, aber beim Kochen kann ich meine ungeordneten Gedanken in meine Kopf-Schubladen sortieren. Kochen gibt mir ein Gefühl von Halt und Geborgenheit, weil mich die Gerüche an meine unbeschwerte Kindheit erinnern.  

Auch Chaos verläuft bei uns in regelten Bahnen

Jeder von uns muss einen Weg finden, mit Krisen fertig zu werden, die uns zutiefst verunsichern. Manche gehen joggen, andere lassen es nicht an sich heran. Meine Weg ist das Kochen. Ich nehme mir die Zeit, die Dinge zu verarbeiten. Ich habe ein Dach über dem Kopf, muss nicht hungern und kann mich auf eine Regierung und auf Wissenschaftler verlassen, die mich rund um die Uhr umfassend informieren

Ich bin gepudert und in Watte gepackt, verglichen mit jenen, die sich unter Lebensgefahr auf der Flucht durchschlagen müssen, ohne die geringste Gewissheit zu haben, dass ihr Leben besser werden wird. Ich werde einige Zeit weniger Geld verdienen. Und wenn ich fallen sollte, habe ich Familie und Freunde, auf die ich mich verlassen kann. Ich nehme mir die Freiheit, fallen zu dürfen. Denn eines habe ich in diesen Tagen gelernt: Auch Chaos verläuft in geregelten Bahnen und bekommt irgendwann einen eigenen Rhythmus. 

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