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Todesangst an der Talsperre. Eine besonders dramatische Szene von „Endzeit“ wurde auf einer Staumauer im Schiefergebirge gedreht.

©  Promo

Zombies in der deutschen Provinz: Vom Studenten-Comic zum gefeierten Kinofilm

Der in Thüringen spielende Horrorfilm „Endzeit“ ist international erfolgreich. Jetzt kommt die Geschichte von Comicautorin Olivia Vieweg in deutsche Kinos.

Die gruselige Idee kam ihr bei einer Bahnfahrt zwischen Jena, ihrem Geburtsort, und Weimar, der Stadt, in der sie mit ihrem Mann und den beiden Kindern lebt. „Der Zug hielt mitten in der Landschaft, mein Blick fiel auf den Hügel gegenüber, und ich dachte mir: Was wäre, wenn jetzt die Zombie-Apokalypse ausbricht?“

Vielleicht nicht für jeden Bahnreisenden die erste Assoziation beim Blick auf die grünen Hügel Thüringens. Aber Olivia Vieweg hat eine lebhafte Fantasie – und fühlt sich von düsteren Geschichten angezogen. „Ich war immer schon ein Fan von Horrorfilmen“, erzählt die 32-Jährige. Als passionierte Geschichtenerzählerin weiß sie die Vorteile derartiger Genrestoffe zu schätzen, weil sich mit ihnen viele Geschichten über die Ur-Ängste der Menschen vermitteln ließen. Zudem seien Zombies hilfreich, um Geschichten zu beschleunigen: „Man muss schnell handeln, sonst wird man gefressen.“

Der Zug-Halt war der Ausgangspunkt einer ungewöhnlichen Erfolgsgeschichte. Denn aus der vom Blick aus dem Bahnfenster angeregten Idee wurde in einem ersten Schritt „Endzeit“, Viewegs Abschluss-Comic im Bereich Visuelle Kommunikation an der Bauhaus-Universität Weimar. Auf 70 Seiten, die 2012 als Buch veröffentlicht wurden, erzählt sie in bunten Bildern, wie zwei sehr unterschiedliche junge Frauen sich nach einer apokalyptischen Katastrophe durch die von Zombies beherrschte Region zwischen Weimar und Jena schlagen. Dabei verband sie Manga-Elemente mit westlichen Einflüssen.

„Wir hatten große Angst, dass der Film baden geht“

Das verarbeitete Vieweg dann 2015 in einer Drehbuchwerkstatt in eine längere Erzählung, weil sie sich als Comicautorin weiterentwickeln wollte, wie sie erzählt. Darauf basierend erschien 2018 ein fast 300 Seiten umfassender neuer Comic. Und parallel dazu drehte die Regisseurin Carolina Hellsgård einen Kinofilm mit Viewegs Drehbuch als Grundlage. Der lief in den vergangenen Monaten bei internationalen Festivals in Kanada und den USA, Spanien und Südkorea, wird aktuell in den USA, Mexiko und Vietnam in den Kinos gezeigt und ist ab dem 22. August auch hierzulande zu sehen.

Vom Manga inspiriert. Dieses Panel aus dem Comic „Endzeit“ war das Vorbild für die eingangs zu sehende Filmszene.
Vom Manga inspiriert. Dieses Panel aus dem Comic „Endzeit“ war das Vorbild für die eingangs zu sehende Filmszene.

© Illustration: Olivia Vieweg

Als „Endzeit“ vergangenes Jahr beim Internationalen Filmfestival Toronto seine Premiere erlebte, waren Vieweg und das Filmteam als Gäste dabei – und hatten „große Angst, dass der Film baden geht“, wie sich die Autorin erinnert. Doch die Reaktionen des Publikums und der Fachpresse waren begeistert.

In Toronto fiel Vieweg ein Exemplar des Fachmagazins „The Hollywood Reporter“ in die Hände. „Auf der einen Seite wurde der neue Film von Chris Pine mit einer vernichtenden Kritik besprochen, auf der anderen Seite stand dann ein total netter Text über unseren Film“, erinnert sie sich. „Eine angenehme, frische Erweiterung des Zombie-Kanons“, urteilte damals der Kritiker des „Hollywood Reporter“. Auch die Rezensentin der „New York Times“ war später ganz angetan von dieser „ausgezeichneten Fabel über Leben, Tod und weibliche Selbstbestimmung – plus Zombies.“

Fließender Übergang zwischen Filmdrehbuch und Comic

Vieweg selbst, die ab 2014 auch eine Zeitlang einen der monatlichen Comics für die Tagesspiegel-Sonntagsseiten gezeichnet hat, findet den Film auch „ziemlich cool“, wie sie sagt – auch wenn sie sich als Autorin im Verlauf der zweijährigen Arbeit an dem Projekt von einigen Wünschen trennen musste. „Manche Schauspieler wollen in keinem Zombiefilm mitspielen“ , sagt sie lachend.

Olivia Vieweg.
Olivia Vieweg.

©  Privat

Die beiden weiblichen Hauptfiguren, deren konfliktreiche Beziehung zueinander im Zentrum des Films steht, werden von den Schauspielerinnen Gro Swantje Kohlhof und Maja Lehrer verkörpert. Deren Dialoge sind bemerkenswert nah am Comic, was sich dadurch erklärt, dass Viewegs Drehbuch quasi die Grundlage für beides war. „Ich habe das Drehbuch mit den Schauspielern und ihren Stimmen im Kopf geschrieben“, sagt Vieweg. „Und als es dann darum ging, daraus nochmal einen Comic zu machen, war das ein fließender Übergang.“

Mit „Endzeit“ liegt Vieweg mitten in einem aktuellen Trend, auch wenn der Siegeszug der als Comic und als TV-Adaption erfolgreichen Serie „The Walking Dead“ damals noch gar nicht absehbar war, als die Weimarer Autorin sich vor rund zehn Jahren erstmals den untoten Monstern zuwandte. Von vielen anderen Vertretern des Genres unterscheidet sich „Endzeit“ allerdings unter anderem dadurch, dass hier die gruselig-brutalen Elemente in bemerkenswert zurückhaltender Form serviert werden, von einigen wenigen, aber prägnanten Schockmomenten mal abgesehen.

„Ein feministischer Zombiefilm“

Vor allem jedoch zeichnet den Comic und in noch stärkerer Weise den Film eine trotz aller Action einfühlsame, teilweise an Märchen erinnernde Handlung aus, die neben der Entwicklung der Beziehung der beiden Hauptfiguren auch noch eine ökologische Botschaft vermittelt. Und zudem ein anderes Verständnis von Geschlechterrollen, als es sonst im Genre üblich ist. „Endzeit“ sei ein „feministischer Zombiefilm“, wird Regisseurin Hellsgård im Presseheft zitiert.

„Das hat sich eher zufällig ergeben“, sagt Olivia Vieweg. „Wenn ich einen Comic angehe, überlege ich immer, was mir leicht zu zeichnen fällt – und ich zeichne nun mal lieber Frauenfiguren.“ Der feministische Dreh sei ihr dann erst in der Drehbuchwerkstatt so richtig bewusst geworden, als sie gemerkt habe, wie selten Frauen als handelnde, selbstständige Figuren nach wie vor in Filmen zu sehen sind. „Ich gehöre zu den Frauen, die so gut wie nie benachteiligt oder diskriminiert wurden“, sagt sie. „Aber für viele andere ist es ein ständiger Kampf – und wenn wir damit etwas dazu beitragen können, es leichter zu machen, dann sehe ich unser Werk gerne als feministischen Zombiefilm.“

Drei Mal war die Autorin während der Dreharbeiten am Filmset in Thüringen zu Besuch. „Der stärkste Eindruck war, zu sehen, wie die eigene Fantasie plötzlich Realität wird – mit realen Folgen für die Beteiligten.“ So habe sie im Drehbuch geschrieben, dass die Hauptfiguren sich bei brütender Hitze von 36 Grad im Schatten durch die von Zombies beherrschte Landschaft bewegen. „Bei den Dreharbeiten war es dann tatsächlich so heiß, kein Statist ist an dem Tag ohne Sonnenbrand nach Hause gegangen“, berichtet Vieweg. „Da fühlte ich mich schuldig, dass ich das in meiner Bequemlichkeit so reingeschrieben habe.“

Zwischen „Bibi Blocksberg“ und „Antigone“

„Endzeit“ soll nicht der einzige Film ihrer Laufbahn sein. Zwar hat Vieweg gerade erst wieder einen Comic fertiggestellt – in diesem Fall eine Manga-Fortsetzung der Kinder-Hörspielreihe „Bibi Blocksberg“ zusammen mit der deutschjapanischen Zeichnerin Hirara Natsume. Und für die Gruselreihe „Die Unheimlichen“ des Carlsen-Verlags sitzt Vieweg als Zeichnerin und Autorin an einer Adaption von Sophokles’ „Antigone“.

Aber parallel dazu hat sie schon weitere Ideen für Filme in Arbeit. An dieser Kunstform gefalle ihr besonders, dass man die Zuschauer nicht nur mit Dialogen und einer Handlung, sondern auch durch Musik erreichen kann. Daher habe sie gerade den Entwurf für einen Tanzfilm abgeschlossen, der in den nächsten Monaten weiterentwickelt werden soll. Außerdem könnten in Deutschland nach wie vor nur die wenigsten Comicautoren von ihrer Arbeit leben: „Als alleinige Betätigung reicht das sowieso nicht aus.“

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