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Blutige Vergangenheit: Eine Doppelseite aus „Der Verbannte“.

© Avant

Wikinger-Comic „Der Verbannte“: Berserker in der Sinnkrise

Mit dem grafisch eindrucksvollen Wikinger-Drama „Der Verbannte“ veröffentlicht Erik Kriek seine erste lange Erzählung – aber nicht seine beste.

Wikinger sind in: Von der Fernsehserie „Vikings“ über Marvels „Thor“ bis hin zu „Drachenzähmen leicht gemacht“ – in der Popkultur der Gegenwart erfreuen sich die Nordmänner und -Frauen ungebrochener Beliebtheit. Auch Erik Kriek („In The Pines“) hat seine Faszination für die reale und die mythische Welt der Wikinger nun in eine eigene Comic-Saga gegossen: In „Der Verbannte“ (Avant, Übersetzung aus dem Niederländischen: Katrin Herzberg, 184 S., 25 €) entwirft der niederländische Zeichner ein düsteres Schuld-und-Sühne-Drama im Island des 10. Jahrhunderts.

Der Wikinger-Krieger Hallstein Thordsson kehrt nach siebenjähriger Verbannung in seine Heimat Island zurück. Den Mord an seinem besten Freund hat er abgebüßt – zumindest offiziell. In der Fremde hat er sich erfolgreich als Söldner verdingt und unzählige Menschen vom Leben zum Tode befördert. Des Kämpfens und Blutvergießens überdrüssig, will er nun Frieden finden und das Erbe seiner Familie einfordern.

Mittlerweile ist viel passiert: Hallsteins Vater ist gestorben, einstige Fürsprecher haben an Macht verloren und der ihm feindlich gesonnene Einar Ragnarsson macht Hallsteins Stiefmutter energische Aufwartungen.

Auch sonst freuen sich nur wenige, ihn wiederzusehen. Die Vergangenheit, der Hallstein gerne entfliehen möchte, holt ihn unweigerlich ein. Gleichzeitig wird er von Alpträumen und Visionen seiner zerrissenen Biographie heimgesucht und hadert mit seiner Identität als Krieger.

Islands Naturkulisse ist der heimliche Star des Comics

„Der Verbannte“ ist Krieks erste lange Erzählung, nachdem er mit „Lovecraft – Vom Jenseits“ und „In The Pines – 5 Murder Ballads“ zwei Bände mit kurzen Geschichten veröffentlicht hatte. Leider muss man feststellen, dass dem niederländischen Grafiker die kurze Form besser zu Gesicht steht, denn auch wenn die Story durchdacht und konsistent ist – Spannung kommt nur selten auf. Erzählerisch agiert Kriek streckenweise zu behäbig, und auch die Charaktere besitzen wenig Tiefe.

Rückkehr nach Island: Eine Doppelseite aus „Der Verbannte“.
Rückkehr nach Island: Eine Doppelseite aus „Der Verbannte“.

© Avant

Heimlicher Star des Comics ist der Schauplatz Island: Vor der Leser*in tun sich atmosphärische Panoramen von kahlen Bergen, schroffen Küsten und hügeligem Grasland auf, bei denen man sich allzu gut vorstellen kann, dass sie die Heimat von Göttern, Feen und Trollen sein könnten.

Aber auch Gesichter, Kleider und Alltagsgegenstände der mittelalterlichen Wikinger-Welt sind mit viel Liebe zum Detail in Szene gesetzt. All das tut Kriek in einem ruhigen, fließenden Zeichenstil komplett ohne Outlines. Menschen und Natur bilden grafisch eine Einheit, ähnlich wie in Manu Larcenets „Brodeks Bericht“.

Viel Historie, wenig Spannung

Kriek ist die Begeisterung für das Sujet deutlich anzumerken, wie sich schon an den vielen isländischen Begriffen und Bezeichnungen zeigt, die einem in den Dialogen immer wieder begegnen (und die im anhängenden Glossar erklärt werden). Bei allem Realismus kommt jedoch auch die magische Welt der Wikinger nicht zu kurz, ohne dass allzu viele Klischees bedient werden.

Das Titelbild des besprochenen Buches.
Das Titelbild des besprochenen Buches.

© Avant

Kriek legt Wert auf Glaubwürdigkeit, doch manchmal ist er ein wenig zu bemüht darin, Begriffe, historische Gegebenheiten oder Details zur Gesellschaftsstruktur der Wikinger in seine Geschichte einzuflechten. Etwas mehr Fiktion und weniger Bildungsauftrag wären hier besser gewesen.

Denn so interessant die protodemokratischen Parlamente oder Handelsrouten der Wikinger auch waren – die eigentliche Faszination für das Island des 10. Jahrhunderts löst Kriek in erster Linie mit seinen eindrucksvollen Porträts von Natur und Menschen aus, die den Comic zu einem optischen Erlebnis machen. Trotz seiner inhaltlichen Schwächen hat Kriek mit „Der Verbannte“ den vorläufigen Gipfel seiner Zeichenkunst erreicht.

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