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Jetzt auch auf Deutsch veröffentlicht: Eine Szene aus Shigeru Mizukis "Hitler".

© Reprodukt

Wie Deutschland in den Manga kam: Hitler und die Bremer Stadtmusikanten

Von der NS-Zeit bis zum Düsseldorf der Zukunft: Immer wieder spielt Deutschland in japanischen Manga eine Rolle. Ein Überblick

Wann begann der japanische Comic sich für Deutschland zu interessieren? Das muss zu Beginn der Siebzigerjahre gewesen sein, eine Zeit, die im Folge der 68er-Bewegung von einer Liberalisierung auch im Manga geprägt war.

Der bis dahin eher östlich, sprich amerikanisch ausgerichtete Manga moderner Stilart, wie ihn Osamu Tezuka eingeführt hatte (für sein erstes Langwerk, "Die neue Schatzinsel", hatte Tezuka noch seitenweise Sequenzen aus Gottfredsons "Micky Maus"-Strips plagiiert) öffnete die eigene japanischen Vergangenheit und Europa als Themenfelder.

Shigeru Mizuki & "Hitler"

Sinnbildlich für ersteres steht die ganze Reihe von Comics zum Thema Hiroshima durch Keji Nakazawa, hierzulande am bekanntesten die 1973 begonnene serielle Autobiografie des Künstlers, "Barfuß durch Hiroshima".

Zweiteres kann unter anderem an Shigeru Mizukis Hitler-Biografie festgemacht werden, die ab 1971 in einem Magazin für Jugendliche erschien und jetzt auch auf Deutsch veröffentlicht wurde (Reprodukt, 288 S., 18 €). Ihr folgte, ab 1973, eine Auseinandersetzung mit der jüngeren japanischen Vergangenheit, vor allem der kriegerischen Geschichte des Kaiserreichs, die nun ebenfalls auf Deutsch erschienen ist: "Auf in den Heldentod".

Mizuki, der ansonsten für seine Geistergeschichten populär wurde, zählt zu den Mitbegründern der Gekiga-Bewegung, die sich für mehr Realismus im Manga stark machte. Während in den USA und Frankreich seit Jahren immerhin Teileditionen von Mizukis umfangreichem Werk vorliegen, zählte er in Deutschland lange zu den unbekannten Meistern. Bis 2019 war keiner seiner Comics in deutscher Sprache erschienen.

Mit Vorsicht zu genießen: Eine Seite aus "Hitler".
Mit Vorsicht zu genießen: Eine Seite aus "Hitler".

© Reprodukt

Mizukis "Hitler" macht nun den Anfang - ein denkbar schlechter Beginn für eine deutsche Edition. Auf Englisch ist der Titel bereits 2015 bei Drawn & Quarterly erschienen. Inhaltlich steht er sinnbildlich für die Probleme Japans, sich seinem einstigen Verbündeten und Weltkriegspartner anzunähern. Der Comic sollte mit Vorsicht genossen werden.

Grafisch ist er, wie fast alle Mangas Mizukis, faszinierend. Mizukis Werk fällt durch eine ungeheuer starke Diskrepanz zwischen den detailliert realistisch gehaltenen Hintergründen und den karikaturistisch verzerrten Figuren auf, die bei der Lektüre für ein Entfremdungsgefühl zu den häufig gar nicht komischen Inhalten seiner Erzählungen sorgen.

Kein Wort von Konzentrationslagern

So auch bei "Hitler", wo der Feldherr mit dem Zahnbürstenbart, auf wenige Striche reduziert, vor teils fotorealistischen Hintergründen agiert, brüllend, kreischend, wutschnaubend wie einst der bekannte Stummfilmstar James Finlayson, Dauergegenspieler von Laurel & Hardy.

Problematischer als diese bittere Burleske ist der historische Kontext. Zwar arbeitet Mizuki treu den Stand der Hitler-Forschung der damaligen Zeit ab. Aber vom Holocaust ist nur im Prolog der Erzählung kurz die Rede. Ebenso werden Hitlers antisemitische Einstellung als ideologischen Wurzeln des deutschen Faschismus nur nebenher erwähnt. Das liegt nicht zuletzt an den verwendeten Quellen: manche sind, wie man später entdeckte, Fälschungen, andere deutlich nazi-apologetisch.

Das Cover von "Hitler".
Das Cover von "Hitler".

© Reprodukt

So entsteht eine stark ungleichgewichtete Erzählung, die zwar einerseits auf zwei Dritteln der Länge des Buchs Hitlers Aufstieg schildert, dabei aber seine Motivation und die politischen Hintergründe nur unzureichend klärt. Und die die Zeit des Dritten Reichs selber, das Hinarbeiten Deutschlands auf den Krieg und den Niedergang Nazideutschlands fast bis zur Abstraktion verdichtet, nicht zuletzt weil hier eine Vielzahl historischer Fakten auf wenige Seiten konzentriert werden. Von Konzentrationslagern ist kein einziges Mal die Rede.

"Hitler is a tactical genius"

Man muss das nicht Mizuki allein vorwerfen. Joachim C. Fests Hitler-Biografie, ungefähr zeitgleich wie Mizukis Manga erschienen und lange deutsches Standardwerk zum Thema, wies ähnliche Schwächen auf. Doch so wie Fest manche verharmlosenden Einschätzungen von Hitlers Architekt Speer übernahm, kommt auch Mizuki auf der fehlerhaften Quellenlage zu apologetischen Trugschlüssen. "Hitler is a tactical genius", heißt es etwa englischsprachigen Ausgabe - eine historische Fehleinschätzung.

In der deutschen Ausgabe fällt dieser Satz weg. Wie überhaupt ein Textvergleich zwischen amerikanischer und deutscher Ausgabe eklatante Unterschiede aufweist. Nicht nur wurden Jahreszahlen korrigiert, die bei Mizuki falsch waren, und Fehleinschätzungen wie obige fallen fort.

Kriegerische Geschichte des Kaiserreichs: Eine Szene aus "Auf in den Heldentod".
Kriegerische Geschichte des Kaiserreichs: Eine Szene aus "Auf in den Heldentod".

© Reprodukt

Insgesamt ist der Text der amerikanischen Ausgabe deutlich flapsiger, komödiantischer, während die deutsche Edition sich um Ernsthaftigkeit bemüht. "Dont give it a second thought", denk nicht mehr dran, sagt Hitler, als Mussolini sich wegen des Beinahe-Zerwürfnisses der faschistischen Staaten über Österreich entschuldigt. "Das werde ich Ihnen nie vergessen, Duce", steht an derselben Stelle im deutschen Text.

Manchmal verkehren sich Aussagen sogar in ihr Gegenteil: "Crap", Mist, entfährt es Hitler, als er von Mussolinis Vorschlag der Münchner Konferenz 1938 erfährt. "Gut", heißt es in der deutschen Ausgabe. Das mag historisch korrekter sein. Allerdings läuft es Mizukis Bemühen zuwider (was auch immer man davon halten mag), das Dritte Reich ins Lächerliche zu ziehen. Die amerikanische Ausgabe ist eine Komödie - die deutsche ein Lehrbuch.

 "Adolf" - Osamu Tezuka und die Folgen

Immerhin, ohne Mizukis Vorarbeit wäre wohl ein Comic wie Tezukas "Adolf" nie entstanden. Tezuka, der sich in den Siebzigerjahren stark zum Gekiga hingezogen fühlte, begann seine Schilderung der gesamten Zeit des Dritten Reichs und der Lebensgeschichte Hitlers 1983. Am Ende stand nicht nur eine Erzählung, die fast fünfmal so umfangreich war wie Mizukis "Hitler", sondern die trotz diverser Recherchefehler - etwa wird in einem Panel die falsche Währung gezeigt - dramaturgisch bei weitem ausgeglichener gewichtet war.

Tezuka arbeitet die Historie zum Agententhriller um, in dem Hitler nur eine von vielen Rollen spielt. Der Aufhänger mag lächerlich erscheinen: verschiedene Menschen, nicht zuletzt skrupellose Agenten des Dritten Reichs, jagen einem Dokument nach, das angeblich eine jüdische Herkunft Hitlers belegt.

Doch die naive Grundidee gibt Tezuka die Möglichkeit gibt, eine Vielzahl Perspektiven einzubauen, den Kriegsschauplatz Japan einzubinden, von deutschen Kriegsverbrechen und Holocaust zu erzählen. Vor allem aber glorifiziert er seinen titelgebenden Akteur nicht. Tezukas Hitler ist, anders als Mizukis, eine reine Karikatur, dessen Fähigkeiten, im Gegensatz zu seinen Machtbefugnissen, zu keinem Zeitpunkt überschätzt werden.

Hitler, immer wieder Hitler? Nein. Nicht zuletzt Tezukas Gesamtwerk ist allein aufgrund seines gewaltigen Umfangs von mehr als 400 Bänden voll mit Querverweisen auf Deutschland. In "Astro Boy" bekämpfte die Hauptfigur einen deutschen Roboter. In den Achtzigerjahren produzierte Tezukas Filmfirma "Bremen 4", ein Anime frei nach den Bremer Stadtmusikanten.

Historischer Agententhriller: Eine Szene aus Tezukas "Adolf".
Historischer Agententhriller: Eine Szene aus Tezukas "Adolf".

© Promo

Schwer nachvollziehen lässt sich aus deutscher Perspektive, wann das Gegenwartsdeutschland Thema im Manga wurde. Sicher ist nur, dass vor allem ein Name damit verknüpft ist: Naoki Urasawa. Während Urasawa in Deutschland eher ein Nischendasein fristet und seine Publikationen häufig Verlustbringer sind, ist er in Japan ein Megastar, nicht nur des Manga, sondern auch des Rock - der Zeichner spielt Gitarre und veröffentlicht erfolgreiche Alben ebenso wie Comics in Millionenauflagen.

Deutschland ist in nahezu allen Mangas von Urasawa ein Thema. Prominente Hauptrolle sogar spielt es in "Monster" (VIZ, 9 Bde., je 400 S.; je $19,99), einer komplexen Serienkiller-Erzählung, die in Düsseldorf ihren Ausgang nimmt und sich von da auf die Schauplätze München, Dresden und Leipzig sowie, außerhalb Deutschlands, Prag ausweitet.

Bei der ersten Ausgabe ein Flop

In ihr sucht der japanische Arzt Tenma den deutschen Serienmörder Johan, der nicht zuletzt Tenmas Leben ruiniert hat. Neben historischen Versatzstücken spielt die überaus komplexe Geschichte auch mit Gender-Fragen und bindet klassische Krimi- und Horror-Elemente ein.

Verblüffend ist nicht nur die dramaturgische Finesse, mit der bei einer immerhin beinahe 4000 Seiten langen Erzählung mit einem guten Dutzend Hauptfiguren sämtliche Handlungsfäden sauber zusammengehalten werden. Sondern für den hiesigen Leser vor allem das detailgetreue Zeit- und Lokalkolorit.

Neustart: Das erste Cover der "Perfekt Edition" von "Monster", die ab August auf Deutsch erscheinen soll.
Neustart: Das erste Cover der "Perfekt Edition" von "Monster", die ab August auf Deutsch erscheinen soll.

© Carlsen

Angesiedelt in den frühen Neunzigerjahren, flechtet Urasawa nicht nur die jüngere deutsche Vergangenheit ein, hier vor allem die deutsche Teilung und die Nachwirkungen der jahrzehntelang ungehinderten Arbeit der osteuropäischen Geheimdienste. Sondern besticht zudem durch punktgenaue Ortskenntnisse, die es möglich machen, der Handlung geografisch genau zu folgen, und eine akkurate Darstellung der Handlungsorte. Wenn sich Urasawas Figuren in Dresden treffen, kann man jeden Schritt ihrer Wege anhand der akkuraten Darstellung nachvollziehen.

Seltsam genug, dass ausgerechnet dieser Manga bei seiner ersten deutschen Ausgabe ein Flop war. Egmont Manga veröffentlichte den Titel um die Jahrtausendwende. Damals war das Publikum vielleicht noch nicht reif für Urasawas psychologische Thrillerdramen, die deutsche Mangaszene, die es erst seit den späten Neunzigerjahren gab, sehr jung. Historisch wie demographisch. Lovestorys und Actionmangas dominierten den Markt.

Die deutsche Mangaszene ist gereift

Der Nachdruck ab 2019, diesmal bei Carlsen (der erste Band erscheint Ende August), mag unter einem besseren Stern stehen. Die deutsche Mangaszene ist gereift, fast könnte man sagen: gealtert. Luxusausgaben und Edelreprints, bis vor kurzem exklusiv dem Sammlermarkt frankobelgischer und amerikanischer Comics vorbehalten, finden sich zunehmend auch auf dem deutschsprachigen Mangamarkt.

Anders als die kleinformatige Taschenbuchausgabe von Egmont erscheint Carlsens "Monster"-Edition im sogenannten Kanzenban-Format vor, das mit A5 und erhöhtem Seitenumfang ungefähr dem hiesiger Graphic Novels entspricht.

In selber Aufmachung liegt die Serie bereits seit Jahren in Frankreich und Nordamerika vor. Die fremdsprachigen Ausgaben machen es möglich, ein weiteres Detail wertzuschätzen, das in der deutschen Edition zwangsläufig untergeht: das meist akkurate Deutsch an den Stellen, an denen Urasawa auf diese Sprache zurückgreift. Urasawa fordert seine Lesern, indem er auch teils dramaturgisch wichtige Sätze in einwandfreiem Deutsch belässt und nicht immer Übersetzungen mitliefert.

"Monster", in Japan veröffentlicht von 1994 bis 2001, war nicht Urasawas erster Ausflug nach Deutschland. Bereits in "Master Keaton" (12 Bde., je 316 S., je $19,99), einem außerhalb Japans wenig bekannten Frühwerk Urasawas, spielen immer wieder einzelne Kapitel in Deutschland.

Das Cover des kürzlich auf Deutsch veröffentlichten Bandes "Auf in den Heldentod".
Das Cover des kürzlich auf Deutsch veröffentlichten Bandes "Auf in den Heldentod".

© Reprodukt

"Master Keaton", veröffentlicht ab 1988, unterscheidet sich von den meisten Urasawa-Werken dadurch, dass es nur einen dünnen roten Handlungsfaden gibt. Die Hauptfigur, Taichi Keaton, ist ein Versicherungsagent und Veteran des Falkland-Krieges, den sein Beruf um die ganze Welt führt. Das gestattet eine episodische Handlung, die es möglich macht, nahezu jeden Band einzeln zu lesen.

In nahezu jedem Band finden sich ein oder mehrere Kapitel, die in Deutschland spielen, wobei vor allem die Nazi-Vergangenheit und die zum Zeitpunkt der japanischen Erstpublikation frisch sich entrollende deutsche Wiedervereinigung eine starke Rolle spielen. Dabei ist "Master Keaton" keineswegs plakativ oder auf große Ereignisse fokussiert: der dritte Band schildert u.a. eine spaßige Schneeballschlacht zwischen Geschäftsreisenden an Heiligabend in München.

Inzwischen liegt die Serie, ähnlich wie "Monster", bei Viz in englischer Sprache in diversen Kanzenban-Bänden vollständig vor, und ein 2012, fast zwanzig Jahre nach Ende der ursprünglichen Serie, in Japan erschienener Nachklapp verknüpft die letzten losen Fäden.

Und dann war da noch "Pluto", Urasawas umfangreiches Remake von Tezukas oben erwähnter "Astro Boy"-Geschichte, die in Teilen in einem futuristischen Düsseldorf angesiedelt ist. Dass Urasawa in 20 Jahren immer wieder zum Schauplatz Deutschland zurückgekehrt ist, lässt vermuten, dass er das auch weiterhin tun wird.

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