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Wie alles anfing: Ein Strip aus der neuen Gesamtausgabe.

© 2021 Disney Enterprises Inc. / Egmont Comic Collection

Von der Leinwand in die Zeitung: Wie Micky Maus zum Comic-Helden wurde

Mit der „Floyd Gottfredson Library“ können jetzt die frühen Micky-Maus-Strips von jenem Zeichner neu entdeckt werden, der die Comicfigur entscheidend prägte.

Seit Jahrzehnten steht Micky Maus, die Figur, „mit der alles begann“ (Walt Disney) im Schatten anderer Disney-Charaktere. Vor allem die Duck-Familie mit Donald und Onkel Dagobert hat Micky schon früh den Rang als Zugpferd und beliebteste Figur abgelaufen.

Trotzdem bleibt Micky das Emblem für Disneys Gesamtschaffen. Vor allem sein früher Look mit den schwarzen Knopfaugen hat bis heute seinen optimistischen, lebendigen Charme nicht verloren. Dieser ursprüngliche Micky ist nun wiederzuentdecken.

Eine neue, sorgfältig edierte Ausgabe des Egmont-Verlags bringt sämtliche Micky Maus-Fortsetzungsstrips aus der Feder von Floyd Gottfredson (1905-86) heraus, der die Comicstrips um Micky lange prägte (Floyd Gottfredson Library – Micky Maus im Tal des Todes – Schuber 01: 1930-1936. Egmont Comic Collection, 872 S., 3 Bände im Schuber, 150 €). Eine längst überfällige Ausgabe, die der amerikanischen Ausgabe von Fantagraphics folgt, die ab 2011 die täglichen Abenteuerstrips von 1930 bis 1955 in zwölf Bänden herausbrachte, ergänzt um einige Essays amerikanischer und deutscher Maus-Experten.

Ein wahrer Schatz wird hier gehoben, denn nur hie und da gab es bisher deutsche Abdrucke einiger weniger der populärsten Gottfredson-Geschichten (etwa von „In der Fremdenlegion“ oder „Jagd auf das Phantom“), oft in schlechter Kolorierung. Gottfredsons Strips waren jedoch für das tägliche, schwarzweiße Format konzipiert. Sie prägten die Disney-Comics wie auch das „Funny Animal“-Genre nachhaltig.

Die Entwicklung und Erfolgsgeschichte des Disney-Konzerns ist ohne die Maus kaum denkbar. Mickys erste „Sound Cartoons“, die Tonfilmabenteuer ab dem Erfolg mit „Steamboat Willie“ 1928, waren Disneys erster größer Erfolg und technische Meisterleistungen.

Floyd Gottfredson an seinem Zeichentisch.
Floyd Gottfredson an seinem Zeichentisch.

© 2021 Disney Enterprises Inc. / Egmont Comic Collection

Sie legten den Grundstein für weitere ehrgeizige Projekte wie etwa die großen Kinofilme von „Schneewittchen“ bis hin zur „Eiskönigin“. Die Comics spielten anfangs eher eine Nebenrolle, jedoch sind sie es, die bis heute (abgesehen von mancher Fernsehserien-Neubelebung) weltweit die Erinnerung an die beliebten Figuren aus Entenhausen wachhalten.

Wie auch an die aus Mouseton. Oder Mouseville? Denn im Gegensatz zu den deutschen Comicabenteuern, in denen, geprägt durch die Übersetzung von Erika Fuchs, sowohl Donald wie auch Micky in Entenhausen wohnen, stammen der amerikanische Mäuserich und sein Umfeld aus einer in den Stories unterschiedlich bezeichneten Stadt, die nicht identisch ist mit Duckville (wie Entenhausen im US-Original heißt).

Aus der Übergangslösung wurden 45 Jahre

Mickys Comickarriere begann 1930 mit dem Auftrag des King Features Syndikat an Disney, einen Strip für Tageszeitungen mit der aus den Filmen so beliebten Micky Maus als Helden zu konzipieren. Das erste Abenteuer „Gestrandet auf einer einsamen Insel“ (abgedruckt im Anhang von Band 1) war noch eine turbulente Abfolge von Slapstickszenen, die lose auf diversen Trickfilmepisoden (unter anderem „Plane Crazy“, 1928) basierten, gezeichnet von Chefanimator Ub Iwerks nach einem Plot von Disney.

Nachdem Iwerks das Studio verließ, um sein eigenes zu gründen, zeichnete Win Smith weiter und begann das erste „richtige“ lange Abenteuer, „Micky Maus im Tal des Todes“. Neben Mickys Freundin Minnie Maus waren auch schon die Schurken Kater Karlo und Balduin Beutelschneider mit von der Partie.

Doch Win Smith verließ Disney, als die Geschichte noch nicht abgeschlossen war. Walt Disney setzte den Studio-Neuling Floyd Gottfredson an den Strip, was eigentlich nur als Übergangslösung gedacht war, doch der machte seine Sache so gut, dass er insgesamt 45 Jahre Micky Maus-Strips zeichnen sollte.

Gottfredson kopierte zunächst den Stil seines Vorgängers, erlangte aber schnell Routine und bewies bald, dass ihm auch das Geschichtenerzählen sehr lag. Die Micky-Strips waren in den ersten Jahren noch sehr von den Kurzfilmen geprägt und griffen manche Situation daraus auf, jedoch gelang es Gottfredson, den Charakteren deutlich mehr Tiefe zu geben und immer spannendere Abenteuer zu entwickeln, die über Monate die Zeitungsleserschaft bei der Stange halten konnten.

Jeden Tag wurde ein Strip von vier bis fünf Panels veröffentlicht, der sowohl komisch wie auch spannend sein sollte und Teil eines langen Abenteuers sein sollte. Kein leichtes Unterfangen, doch der Zeichner meisterte die Aufgabe und machte aus den anfangs von anarchischem Humor geprägten Country-Geschichten echte Fortsetzungs-Abenteuerstories mit Cliffhangern.

Gesellschaftskritische Akzente in der Zeit der Wirtschaftskrise und des New Deal

Ein erster Höhepunkt war 1932 die Geschichte „Der große Waisenhausraub“( hier in Band 2), in der Micky mithilfe einer Theateraufführung (eine herrlich improvisierte Umsetzung von „Onkel Toms Hütte“) Spenden für ein Waisenhaus sammelt, die dann von Balduin Beutelschneider und dessen Gehilfen Kater Karlo geraubt wird.

Während Micky die Banditen zu fangen versucht, wird sein Freund Rudi Ross in einer Parallelhandlung als vermeintlicher Dieb festgenommen. Rudi versucht bei einer aussichtslosen Gerichtsverhandlung verzweifelt seine Unschuld zu beweisen und auch Micky selbst wird als möglicher Komplize per Steckbrief gesucht. Am Ende kann Micky Rudi in letzter Sekunde vor der Lynchjustiz eines wütenden Mobs retten.

Eine Gottfredson-Zeichnung von Micky und Minnie.
Eine Gottfredson-Zeichnung von Micky und Minnie.

© 2021 Disney Enterprises Inc. / Egmont Comic Collection

Hier zeigt sich, dass die Micky-Strips keineswegs nur realitätsfremde Unterhaltung boten, sondern oft auch gesellschaftskritische Akzente setzten. In der Zeit der Wirtschaftskrise und von Roosevelts New Deal geschah dies öfter.

[Die Comicbranche kommt bislang überraschend gut durch die Corona-Krise – mit Ausnahme eines Bereichs. Mehr dazu in diesem Artikel.]

In „Presse unter Druck“ (1935; in Band 3 zu finden) hat sich Micky bereits vom jugendlichen Tollpatsch und Landei aus den Anfangsgeschichten zum gereiften, aber nicht minder lebendigen Charakter gewandelt. Er ist nun ein städtischer, draufgängerischer Typ, der sich mehr durch seine Schläue als durch Muskelkraft auszeichnet.

Micky gründet zusammen mit seinen Freunden Minnie, Rudi, Dippy und Donald eine Zeitung (die „Kriegstrommel“), die es schon bald mit örtlichen Gangsterbanden zu tun kriegt, die Schutzgeld erpressen wollen und die allzu ehrlich berichtenden Zeitungsmacher mit Anschlägen bedrohen. Micky deckt dabei ein Komplott auf, das bis zu Verbündeten der Gangster in die Stadtverwaltung führt.

Gottfredson hat sich für diese Story sichtlich durch zeitgenössische Gangsterfilme wie „Little Caesar“ oder „Scarface“ inspirieren lassen und zugleich die öffentliche Korruption angeprangert, wie sie in manchen amerikanischen Städten damals und zu allen Zeiten durchaus vorkam.

Mitte der 1930er bis Mitte der 40er Jahre entstanden etwa die stärksten Geschichten, die neben klassischen Abenteuern jedes erdenkliche Genre vom Western bis zum exotischen Dschungelabenteuer (zeittypische, heute rassistisch wirkende Stereotypen, wie etwa bei der Darstellung von Kannibalenstämmen, nicht auslassend), orientalisch gefärbte „1001 Nacht“-Stories, bis hin zu fantastischen Grusel- und Science Fiction-Dramen bedienten.

Humoristische Höhenflüge mit Goofy

In dieser Zeit ist auch die zeichnerische Qualität Gottfredsons auf ihrem Zenit: er vereinte hier die Dynamik der Animationsfilme mit einem Gespür für stimmungsvolle Hintergründe und Milieuschilderung.

Die Charaktere konnten sich bei Gottfredson wie bei keinem anderen Disney-Zeichner außer Carl Barks bestens entfalten und entwickelten eine erstaunliche Tiefe, wie sie in Animal Strips dieser Zeit noch nicht üblich waren.

Interessant ist auch die Entwicklung von Mickys bekanntem Sidekick Goofy: In den frühen Geschichten tauchte er noch als zunächst nerviger Bekannter Mickys namens „Dippy Dawg“ auf (so auch in dieser Ausgabe), bevor seine Rolle wichtiger wurde und er zu jenem trotteligen, querdenkenden wie manchmal auch zu wahren Geistesblitzen fähigen Charakter Goofy wurde.

Der Freund Mickys inspirierte Gottfredson und sein Team zu manch humoristischen Höhenflügen, etwa, wenn er sich in die Rolle eines gefährlichen Revolverheld hineinsteigert.

Unterstützung bekam Floyd Gottfredson - damals auch langjähriger Leiter von Disneys Comicabteilung und somit auch von anderen Comicserien - von anderen Zeichnern, die seine Vorzeichnungen tuschten (darunter der spätere Donald-Zeichner Al Taliaferro) und Autoren (wie Ted Osborne und Merrill de Maris), die vor allem die Gagdichte erhöhen sollten und Gottfredsons Handlungslinien ans Stripformat anpassten.

Erst ab 1942 entlastete der begabte Autor Bill Walsh den Zeichner und entwarf fortan alle Plots, die ebenso wie Gottfredsons eigene Geschichten den Micky-Touch bestens trafen und dabei experimentierfreudig blieben.

Inspiration für Carl Barks

Ab 1955 wurde der Strip durch neue Anweisungen des Syndikats in einen einfachen Gag-Strip ohne fortlaufende Handlungen umgewandelt – wegen der Fernsehkonkurrenz traute man den Strips nicht mehr zu, dass sie genügend Leser für lange Abenteuer begeistern konnten.

Dementsprechend endet die Ausgabe 1955, Gottfredson arbeitete noch zwanzig Jahre weiter an den täglichen Gag-Strips der Maus und ihrer Freunde, bei gleichbleibender Qualität aber ohne den Biss und manche Brisanz der langen Geschichten.

Unter Gottfredsons Zeichenfeder wurden zahlreiche Nebenfiguren geboren, die bis heute die Micky-Geschichten bevölkern (wie Kommissar Hunter, Inspektor Issel, das Phantom, Gamma) und so entstanden schlicht die schönsten Abenteuer, die Micky Maus bis heute erleben konnte.

Sein Zeichenstil wie auch sein Erzählstil war enorm einflussreich für das „Funny Animal“- Genre und inspirierte zum Beispiel Carl Barks - der erst eine Dekade später begann, sein Entenhausen-Universum zu schaffen - zu ähnlich konstruierten Abenteuergeschichten um die Duck-Familie.

Die drei ersten Bände im Schuber.
Die drei ersten Bände im Schuber.

© Egmont Ehapa

Viele bedeutende italienische Zeichner der 50er und 60er Jahre (wie Romano Scarpa oder Giorgio Cavazzano) waren ebenfalls von Gottfredsons Strips beeinflusst. Bis heute füllen Abenteuergeschichten im Geiste Gottfredsons viele „Lustige Taschenbücher“. Und in den letzten Jahren entstanden für die Hommage-Reihe des Glénat-Verlags (auf Deutsch bei Egmont) unter anderem in Frankreich und der Schweiz neue Geschichten im Stil der frühen Strips von Gottfredson.

Die auf zwölf Bände angelegte, vom Egmont Verlag in vier Schubern veröffentlichte Neuausgabe der schwarzweißen Gottfredson-Tagesstrips (die Schuber mit jeweils drei Bänden erscheinen etwa in vierteljährlichen Abständen) ist an Sorgfältigkeit der Herausgabe und auch der Übersetzung kaum zu toppen.

Zu einzelnen Figuren, Zeichnern, Autoren ist umfassendes Zusatzmaterial zusammengestellt worden, das die Strips vor dem Hintergrund ihrer Entstehungszeit kenntnisreich beleuchtet.

Auch heute noch bieten Floyd Gottfredsons Micky Maus-Abenteuer ein rasantes Lesevergnügen und zahlreiche Überraschungen. Schon die Geschichten der ersten Bände verzaubern durch ihren anfangs noch rohen, anarchischen Charme und ihren irrwitzigen Humor, dem bald feiner gestrickte Abenteuer mit originellen Einfällen folgen sollten.

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