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In der Spelunke: Eine Szene aus „Verbrechen und Strafe“.

© Knesebeck

„Verbrechen und Strafe“ als Comic: Chronologie eines Mordes

Bastien Loukia hat Dostojewskis „Verbrechen und Strafe“ als Comic adaptiert - handwerklich beeindruckend, aber weniger innovativ als andere Zeichner vor ihm.

Das Sankt Petersburg um das Jahr 1860 ist ein düsterer Ort. Die Menschen leben in Armut, können sich nur eine heruntergekommene Behausung leisten. Alkoholismus und Prostitution sind Teil der gesellschaftlichen Realität. Eingebettet in dieses Milieu ist die Geschichte des mittellosen Studenten Rodion Raskolnikow. Um über die Runden zu kommen sucht er mehrmals und mit Widerwillen die raffgierige Pfandleiherin Aljona Iwanowna auf.

Eines Tages beschließt er, sie zu töten – um der Menschheit einen Dienst zu erwiesen. Der später folgende grausame Mord, nicht nur an Aljona, sondern auch an deren Schwester Lisaweta, ist die Schlüsselszene in Fjodor Dostojewskis Roman „Verbrechen und Strafe“.

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Der französische Künstler Bastien Loukia hat Dostojewskis über 750 Seiten starkes Mammutwerk über Schuld, Gerechtigkeit und Moral als Comic adaptiert (Knesebeck, 160 Seiten, 25 Euro). Es ist seine zweite Graphic Novel nach dem 2016 in Frankreich erschienen Werk über den französischen Komponisten Erik Satie.

Von Anfang an schafft Loukia mit eindringlichen Szenerien eine Atmosphäre, die der aus dem Roman gerecht wird. In fein gezeichneten Tusche- und Aquarellbildern entwickelt er die Handlung rund um das brutale Verbrechen, dessen Verursacher zunächst unbekannt bleibt.

Zwischen Gerechtigkeit und Größenwahn

Obwohl ursprünglich im Sinne der Gerechtigkeit und in einem gewissen Größenwahn ausgeführt, wird Raskolnikow nach der Tat zunehmend von seinem Gewissen geplagt. Auch die Angst entdeckt und als Täter überführt zu werden lässt ihm keine Ruhe. Seine Liebe zu der gläubigen Prostituierten Sonja Marmeladowa verhilft ihm schließlich zu der Einsicht, seine Schuld anzuerkennen und sich zu stellen.

Stilwechsel: Eine Doppelseite aus „Verbrechen und Strafe“.
Stilwechsel: Eine Doppelseite aus „Verbrechen und Strafe“.

© Knesebeck

Neben den erwähnten Personen bestimmen noch zahlreiche andere Figuren aus der Sankt Petersburger Gesellschaft, die Loukia allesamt detailliert und ausdrucksstark mit wechselnden Perspektiven zeichnet, die komplexe Handlung mit. Je nach Grundstimmung der verschiedenen Szenen variiert Loukia geschickt die Farbgebung und experimentiert mit unterschiedlichen Stilen.

Irre, dämonische Gesichter

Stellenweise verwandelt er Seiten und Panels in impressionistisch anmutende Bilder, wie das Markttreiben auf dem Kirchplatz. All das ist künstlerisch absolut überzeugend.

Eindrucksvoll ist zum Beispiel Raskolnikows Besuch einer dunklen Spelunke, in der er den Alkoholiker und ehemaligen Beamten Semjon Marmeladow antrifft. Der Schauplatz, ganzseitig angelegt und mit mehreren Detailpanels versehen, hält den Blick lange fest. Grünliche und bräunliche Farbtöne fließen ineinander, verleihen den Bildern selbst dann noch Lebendigkeit und einen Hauch von Bewegung, als sich Raskolnikow und Marmeladow über mehrere langgezogene Panels hinweg gegenübersitzen.

Eine weitere Doppelseite aus „Verbrechen und Strafe“.
Eine weitere Doppelseite aus „Verbrechen und Strafe“.

© Knesebeck

Schaurig wiederum wirkt die Darstellung von Raskolnikows Albtraum von einer Truppe Betrunkener, die ein altes Pferd quält und schließlich zu Tode schlägt. Der weiße Seitenhintergrund aus dem Alltagsgeschehen wechselt langsam zu schwarz. Aus den Panels blicken nun irre, dämonische Gesichter und bilden den Rahmen für ein teuflisches Lachen. Kalte Grau- und Blautöne befeuern die düsteren Bilder.

Eindrücklich ist auch die Darstellung eines Traumes, in dem Raskolnikow den Mord an den beiden Frauen später noch einmal durchlebt. Der Stil wirkt nun kindlich-naiv und steht mit den warmen Orange- und Rottönen im Kontrast zum grausamen Inhalt. Die eigentliche Mordszene, in der der Protagonist die beiden Frauen mit der Axt erschlägt, hat Loukia einige Seiten vorher minutiös als Schattenspiel inszeniert.

[Weitere Artikel über Literaturadaptionen im Comic gibt es hier: „Ulysses“, „Grönland Odyssee“, „Antigone“]

Kraftvolle Bilder, aber kaum neue Ideen

Loukia beherrscht sein Handwerk, darin besteht keine Frage. Seine Bilder sind umwerfend, liefern in der jeweiligen Stimmung kraftvolle Momente. Und doch will der Funke nicht so richtig überspringen.

Das mag daran liegen, dass es hier auf der inhaltlichen und der interpretatorischen Ebene wenig Neues zu entdecken gibt. Zumal für diejenigen, die das beeindrucke Originalwerk von Dostojewski kennen. Zu sehr scheint Loukia um Vollständigkeit bemüht, geht der Handlung nah am Original chronologisch nach.

Eine Szene aus Kakos Adaption von „Verbrechen und Strafe“ aus dem „Graphic Canon“, der auf Deutsch bei Galiani erschienen ist.
Eine Szene aus Kakos Adaption von „Verbrechen und Strafe“ aus dem „Graphic Canon“, der auf Deutsch bei Galiani erschienen ist.

© Promo

Ganz anders geht da zum Beispiel der Künstler Kako vor, der für den zweiten Band des „Graphic Canon“, 2015 bei Galiani erschienen, die entscheidende Mordszene aus „Verbrechen und Strafe“ grafisch verarbeitet hat.

Von seinen Bildern geht eine Spannung aus, die kaum in Worte zu fassen ist. Kako stellt fiktive Realität und Traum gegenüber: Schon zu Beginn der Szene ist inmitten des schwarzen Treppenhauses, das zur Wohnung der Pfandleiherin führt, der Ausschnitt eines großen, angsterfüllten Pferdeauges zu sehen. Ein grandioser Effekt.

Anschließend verzichtet Kako darauf, das brutale Gemetzel zu zeigen. Vielmehr arbeitet er mit Andeutungen, indem er nur den erhobenen Arm zeigt, der die Axt hält, sowie die am Boden liegende Hand der Toten. Der Rest ihres Körpers ist nicht sichtbar. Eingebettet in die Tötungsszene werden immer wieder Bilder des Pferdes aus Raskolnikows Traum eingeblendet, dessen letztes Aufbäumen im Todeskampf.

Das Titelbild des besprochenen Bandes.
Das Titelbild des besprochenen Bandes.

© Knesebeck

Mit dieser elliptischen Erzählweise lässt der Künstler Raum für eigene Vorstellungen des Betrachters. Zugleich mag sie denjenigen kryptisch erscheinen, die den Originaltext nicht kennen. Kako reduziert und abstrahiert. So schafft er andere Ebene, einen neuen Zugang zu Dostojewskis Werk.

In diesem Punkt unterscheiden sich die beiden Umsetzungen eindeutig. Ein bisschen mehr Mut zum Ausbruch und Deutungsspielraum hätte man sich auch bei Loukia gewünscht.

Birte Förster

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