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Vampire: Der Zahn der Zeit

Von der „Twilight“-Saga bis zu Stephen King: Der Vampir-Comic erlebt eine Renaissance. Dabei hat jedes Land seine ganz eigene Interpretation des Vampirmythos.

Man muss sich Vampire heute als untote, aber liebenswerte Wesen vorstellen. Sie helfen den Menschen und suchen ihrerseits einen Platz in der Gesellschaft. Zwar gibt es auch niederträchtige Exemplare, aber gut, die finden sich auch unter Menschen. Kein Wunder also, dass man sich in einen Vampir durchaus verlieben kann. So geschehen in Stephenie Meyers Romansaga „Twilight“, die mit millionenfach verkauften Büchern und Verfilmungen der Überraschungserfolg der vergangenen Jahre ist – der dritte Teil der Blutsauger-Reihe „Eclipse – Biss zum Abendrot“ führt derzeit die Kinocharts an.

In einer solchen Verwertungskette darf ein Comic nicht fehlen, und so ist nun „Twilight: Biss zum Morgengrauen – Der Comic“ (Carlsen, 224 Seiten, 14,90 Euro) erschienen. Zeichnerin ist die Koreanerin Young Kim, die Meyers Vorlage im Manga-Stil umsetzte. Es ist eine solide Adaption, man kann die Comic-Version für ihre Romantik lieben – oder hassen, weil sie Teil eines Hypes ist. Aber das gilt auch für das Original. Es zeigt sich, dass die Form des auf junge Mädchen ausgerichteten Shojo-Mangas durch ihre Ästhetik prädestiniert ist für die Vampir-Lovestory, auch wenn die Gesichter manchmal übertrieben engelsgleich glitzern. Aber so sieht nun mal der Vampir der Stunde aus. Zudem gibt es bereits etliche Manga-Serien, die thematisch ähnlich gelagert sind, etwa „Vampire Knight“ von Matsuri Hino (Carlsen), wo Menschen und Vampire gemeinsam zur Schule gehen – auch hier sind die jungen Vampire gutaussehende und begehrenswerte Wesen. Während Blutsauger früher Kontakt mieden und Menschen bloß als Mahlzeit mochten, weilen sie heutzutage ganz normal unter den Sterblichen wie in „Twilight“ oder wie in Charlaine Harris’ „Sookie Stackhouse“-Romanserie, die unter dem Titel „True Blood“ als Fernsehserie viel Lob erntete und die es natürlich auch als Comic gibt. Auch dort steht die scheinbar unmögliche Liebesbeziehung von Sookie zu dem Vampir Bill im Vordergrund. Vorbei sind also die Zeiten des Gruselns, heute wird mit den Vampiren gekuschelt. Eine erotische Komponente war den Vampiren schon immer zu eigen, aber so strahlend standen sie noch nie da. Sie ähneln gar den Superhelden, die sich genauso als Symbol für jugendliche Ausgegrenztheit und Andersartigkeit verstehen lassen.

Nahezu jede nationale Comic-Kultur hat ihre eigenen Vampirgeschichten und Deutungsmuster. In den USA sind die Zeiten des Horrors, der einst etwa die Marvel-Serie „Die Gruft von Dracula“ oder die erotisch aufgeladenen Geschichten von „Vampirella“ dominierte, erst einmal passé. Hauptsächlich wurden die Serien von Männern goutiert, das wirkte sich auf Inhalt wie Ästhetik aus, Romantik war höchstens schmückendes Beiwerk.

In Frankreich hingegen finden sich Vampire im Mainstream in fantastisch- historischen Abenteuerserien, und der unglaublich kreative Joann Sfar hat mit „Desmodus“ (auf Deutsch bei Avant) einen lustvollen Kindercomic gezeichnet, der die Abenteuer einer untoten Rasselbande mit anarchischem Humor erzählt.

Bei so viel Harmonie zwischen Sterblichen und Untoten sind die Gegenentwürfe auch nicht weit. Stephen King bedient sich bei seiner ersten für den Comic geschriebenen und kürzlich angelaufenen Serie ebenfalls bei den Vampiren – auch wenn in „American Vampire“ (DC/Vertigo, noch nicht auf Deutsch) die amerikanische Geschichte im Vordergrund steht. Allerdings setzt der Meister des Horrors auf die ungezähmte Wildheit der Vampire und hebt sich damit von den feinfühligen „Twilight“-Charakteren ab.

Auch im deutschen Comic gibt es Vampire, nur steht hier statt der Romantik der Klassenkampf im Vordergrund. Der Berliner Zeichner Reinhard Kleist („Cash“) hat mit dem Autor Tobias O. Meißner in der Trilogie „Berlinoir“ (Edition 52) Berlin in ein visionäres Metropolis verwandelt, in dem Menschen den Aufstand gegen die herrschende Klasse der Vampire wagen. Die eigentliche Hauptrolle spielt hier allerdings die Architektur Berlinoirs. Der Leser wird die Hauptstadt kaum wiedererkennen und bei diesen aufregenden Bildwelten schnell die brave amerikanische Kleinstadt Forks, in der „Twilight“ spielt, vergessen.

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