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Sprung nach vorne: Ein Captain-America-Titel aus dem Angebot von Comixology.

© Comixology

US-Comicmarkt: Digitale Comics preschen nach vorne

Seit mehr als zehn Jahren beobachtet Stefan Pannor den US-Comicmarkt und schreibt darüber im Comicjahrbuch des ICOM (Interessenverband Comic e.V.). Dessen aktuelle Ausgabe ist soeben erschienen, wir veröffentlichen mit freundlicher Genehmigung des Autors einen Auszug daraus.

Lange Zeit waren digitale Comics das große Fragezeichen in der Rechnung für jeden, der den US-Comicmarkt analysieren wollte. Inzwischen hat sich das geändert – fraglos, weil Digitalcomics endlich kommerziell erfolgreich sind. (Unter digitalen Comics werden im folgenden ausschließlich zum Verkauf bestimmte Comics verstanden, die nicht ausschließlich, aber zum sehr großen Teil analog auch in gedruckter Form erscheinen.)

Lag bis 2009 der digitale Umsatz noch bei unter einer Million Dollar, steigerte er sich seitdem kontinuierlich – besonders drastisch von 2011 auf 2012 um 45 Millionen Dollar. 2013 betrug der Gesamtumsatz digitaler Comics in Nordamerika 90 Millionen Dollar. Im selben Jahr war die Comixology-App die umsatzstärkste App abseits der Spiele im nordamerikanischen iTunes und auf Platz 11 im Ranking insgesamt. Der gesamte nordamerikanische Comicmarkt (Comicshops, Buchhandel, Versandhandel und Digital) generierte 870 Millionen Dollar Umsatz im Jahr 2013.

Wie ein Comicladen - nur digital

Der Aufstieg digitaler Comics und von Comixology hängt eng zusammen. Der 2007 gegründete Online-Shop Comixology war einer der ersten Anbieter für digitale Comics in Nordamerika. Von Anfang an setzte er auf eine enge Anbindung zur bestehenden Comicszene, vor allem zur Heftkäuferschaft der Comicshops. Die Website Comixology.com erlaubte nicht nur das Auffinden realer Comicshops und das Führen von Wunschlisten anstehender Neuerscheinungen für angemeldete Nutzer. Comicshops wurde gestattet, digitale Geschäfte via Comixology zu führen.

Comic-Marktplatz: Die Startseite von Comixology.
Comic-Marktplatz: Die Startseite von Comixology.

© Tsp

Neben der Website zentral war die App, bis 2014 über iTunes vertrieben und vor allem für Tablets optimiert. Mehr als 40 Prozent aller iPads der vergangenen Jahre wurden in den USA verkauft, insgesamt über 17 Millionen Exemplare. Anders als etwa Smartphones gestatten Tablets das Betrachten auch komplexer konstruierter Comicseiten im Ganzen.

Neben regelmäßigen Gratisangeboten auf Comixology dürften zwei Faktoren zum Erfolg beigetragen haben.

Zum einen, dass es sich wirklich um einen überall verfügbaren digitalen Comicshop handelt. Wie im US-Marktreport 2014 im aktuellen ICOM Jahrbuch beschrieben, bilden die Comicshops immer noch das kommerzielle Rückgrat der US-Comicszene mit bei weitem dem meisten Umsatz für die Szene.

Grade in ländlichen und wirtschaftlich schwachen Gegenden bot Comixology also eine reizvolle Alternative für die fraglos vorhandene Käuferschaft. Vertreten waren immerhin alle großen klassischen Heftverlage, also DC, Marvel, Dark Horse und Image, sowie diverse der Start-Ups des vergangenen Jahrzehnts wie etwa Boom!. Comixology repräsentierte damit einen typischen Comicshop digital. Bei gleichzeitig geringeren Preisen. Denn zum andern liegen digitale Preise traditionell unterhalb denen körperlicher Produkte. Auch hier dürfte grade in strukturschwachen Regionen ein Kaufanreiz bestanden haben.

Entscheidend waren ebenfalls die exklusiven Deals mit genannten Verlagen. Natürlich war Comixology nicht der einzige Anbieter für digitale Comics. Mit iVerse und Graphicly gab es zwei frühzeitige Mitbewerber auf dem Markt – beiden gelang es freilich nie, attraktive digitale Verkaufsdeals mit großen Verlagshäusern zu schließen. Während iVerse mit Schwerpunkt auf Independent-Publishern als kleine Alternative zu Comixology fortbesteht, musste Graphicly im April 2014 schließen.

Das war bezeichnenderweise der selbe Monat, in dem Comixology von Amazon aufgekauft wurde. Das Online-Kaufhaus ist seit langem bekannt für seine aggressive Strategie im E-Book-Markt und dafür, Verlage als Bindeglied zwischen Autor und Handel ausschalten zu wollen. Mit dem Ende von Comixology als eigenständigem Anbieter wurde kein Verlag, sondern ein konkurrierendes Shopsystem im E-Comic-Bereich ausgeschaltet.

Inzwischen sind mehr als zehn Prozent aller Comics in den USA digital

Ein Verkaufspreis wurde nicht bekannt gegeben. Gleichwohl gab es Konsequenzen für Kunden, die bisher auf Comixology via iPad gekauft hatten: sämtliche Optionen, weitere Titel innerhalb der App zu erwerben, wurden abgeschaltet. Die App funktioniert seither als reine Archiv-Application für bereits erworbene Titel. Hintergrund sind die 30 Prozent Händlergebühr, die Apple bei jedem iTunes-Kauf verlangt und die Amazon nicht gewillt ist zu zahlen – erst recht nicht an Apple.

Hierin zeigt sich zumindest in Teilen die Gefahr der reinen digitalen Distribution. Zwar haben weder Comixology noch Apple oder Amazon die App ganz abgestellt oder die Backlist gelöscht. Aber ebenso wie sie Käufe/ Verkäufe verhindern können, können sie Daten löschen, die auf Servern lagern, die dem Zugriff des Kunden entzogen sind (sprich: sämtliche Daten, die nicht auf eigenen Geräten liegen).

Kompakt: Das Cover zum aktuellen COMIC!-Jahrbuch stammt in diesem Jahr von Harald Juch.
Kompakt: Das Cover zum aktuellen COMIC!-Jahrbuch stammt in diesem Jahr von Harald Juch.

© Icom

Den Verkäufen hat das wohl vorerst noch keinen Abbruch getan. Nach Verkündung des Amazon-Deals ging sogar VIZ zu Comixology. VIZ, immerhin der größte amerikanische Mangaverlag, in seiner Bedeutung dort ungefähr mit Carlsen hierzulande gleichzusetzen, war bisher, anders als die japanischen Lizenzgeber in deren Mutterland, zurückhaltend bei digitaler Distribution über fremde Kanäle gewesen.

Wie nahezu alle US-Comicverlage betrieb VIZ ein eigenes E-Comic-Portal. Anders als diese vertrieb der Verlag seine digitalen Comics aber nur dort und nicht noch zusätzlich in digitalen Comicshops. In wieweit sich der Deal von VIZ mit Amazon-Comixology auf den Gesamtumsatz digitaler Comics in Nordamerika auswirkt, bleibt abzuwarten. Vorerst, und für das Jahr 2013, lässt sich festhalten: mehr als zehn Prozent aller Comics in den USA sind digital.

Der vollständige Text ist enthalten in ICOM COMIC!-Jahrbuch 2015 (herausgegeben von Burkhard Ihme, 264 Seiten, Din A4, 15,25 Euro, ISBN 978–3–88834-945-4). Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors. Weitere Texte des Autors finden sich in seinem Blog www.pannor.de.

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