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Nummernrevue: Zwei Seiten aus „Ode an die Feder“.

© Reprodukt

„The Artist: Ode an die Feder“: Von den Museen geküsst

Ein Comic im Gewand einer Oper – nicht nur die Bekleidungsbranche bekommt bei Anna Haifischs neuem Artist-Band einen Fuß in die Tür.

Poppen in „Ode an die Feder“ (aus dem Englischen von Marcel Beyer, Reprodukt, 128 S., 24 €) nach Seiten voller textunterlegter Einzelbilder endlich Sprechblasen auf, wird augenfällig, wie lustvoll Anna Haifisch sich konservativen Definitionen von Comics entzieht.

Schwanengesänge

Waren die ersten beiden Bände ihrer Reihe um den stets mit sich hadernden Künstler i.e. „The Artist“ von klassischen Formaten wie dem zweiseitigen Strip dominiert, ist der dritte „Artist“-Band eine Nummernrevue, die im Rahmen einer Oper Schlaglichter auf Haifischs bisheriges Werk wirft.

Aber nicht nur: Neben dem sich mehr und mehr ausbreitenden Hang zur einseitigen Illustration, konsequent durchgängig von ihr, nebst lyrischer Begleitung, formvollendet im Lamento „Drifter“ (2017) angewandt – was zumindest im Sinne von Hal Foster oder Alex Raymond von Bildern mit Wörtern darunter noch als Comic durchgewunken werden kann – erweitert die Leipzigerin ihre Produktpalette obendrein um Haute Couture.

Denn Modeillustration und Comics entspringen gemeinsamen Quellen. Nachvollziehbar wurde das spätestens 2018 in einer Ausstellung der New Yorker Met, betitelt „Heavenly Bodies: Fashion and the Catholic Imagination“.

Dort wurden unter anderem aus den 1920er Jahren stammende Priesterwesten mit in den Stoff eingewobenen und der Religionsgeschichte stammenden Narrativen gezeigt. Das hatte in der Gegenwart unter anderem multitaskende Hybriden wie Marguerite Sauvage mit Klienten wie DC Comics und Luis Vuitton zur Folge.

Illustrierte Klassiker zum Anziehen - Priesterchic der 1920er Jahre.
Illustrierte Klassiker zum Anziehen - Priesterchic der 1920er Jahre.

© aus dem Katalog der Ausstellung "Heavenly Bodies: Fashion and the Catholic Imagination"

Geschichtsbewusst eröffnet „Ode an die Feder“ also mit einigen ganzseitigen Grafiken, in ihrer schlanken Eleganz wie Fotos aus einem Modemagazin anmutend. Gleich das erste ist eine Referenz an das von Marjan Pejoski entworfene Schwan-Kleid, das die isländische Musikerin Björk auf dem roten Teppich der Oscar-Verleihung 2001 sowie dem Cover ihres im selben Jahr erschienenen „Vespertine“-Albums trug, und das zu diesem Zweck von den international bekannten Modefotograf*innen Inez & Vinoodh fotografiert wurde.

[Weitere Artikel über Anna Haifisch auf den Tagesspiegel-Comicseiten: Vom Paradies zur Mausefalle, Die Kunst des Überlebens, Tierisch menschlich.]

Zum Zweiten bedient der im Nacken des Artists drapierte Schwanenhals die ornithologischen Obsessionen der Künstlerin aufs Vortrefflichste, siehe „The Artist über Vögel“ im Vorgängerband von 2017, „Der Schnabelprinz“, und der Verweiswitz auf den zu Thanksgiving Truthähne verspeisenden Erpel Donald Duck liegt bei der disneyfizierten Haifisch, siehe „Von Spatz“ (2015), auf der Hand.

Hellbent For Leda.
Hellbent For Leda.

© Reprodukt

Haifisch setzt dieses Spiel noch eine Weile fort, bis der Artist im Großkaro-Jackett vor einer mit Dior-Logos verzierten Wand endet, die so auch in der legendären und inzwischen nur noch zu exorbitanten Sammlerpreisen erhältlichen Vogue-Italia-Ausgabe vom Januar 2020 hätte stattfinden können.

Der ideenreiche und leider im September 2021 entlassene Chefredakteur Emanuele Farneti hatte damals das gesamte Heft inklusive der Modestrecken von Comic-Zeichner*innen gestalten lassen, was auch den ökologischen Fußabdruck der Ausgabe enorm vermindert haben soll, da keinerlei Reisen zu exotischen Shooting Locations anfielen.

Ganz oben und am Ende.
Ganz oben und am Ende.

© Reprodukt

Ihre Tauglichkeit für derartige Unterfangen unterstreicht Haifischs Illustration in der zweiten Nummer des Magazins der „Süddeutschen Zeitung“ vom 15. Januar des laufenden Jahres noch einmal ausdrücklich, bei der wiederholt hingeschaut werden muss, ob sie wirklich von besagter Künstlerin stammt, so gänzlich anders und einhüllend kommt dieser wohltexturierte Mantel im ungewohnten Ambiente daher.

Dabei gibt es in der Süddeutschen Zeitung gar keinen Mantelteil.
Dabei gibt es in der Süddeutschen Zeitung gar keinen Mantelteil.

© SZ

In Deutschlands doch manchmal auch arg kleinkleckeriger Comicszene beherrschen zwar nur wenige das virtuose Spiel mit angrenzenden Künsten wie eben Modestrecken, jedoch setzen jüngere und auf Haifisch nachfolgende Generationen deutscher Comic-Zeichner*innen diese sich gegenseitig befruchtenden Möglichkeiten künstlerischen Ausdrucksweisen im Erzählen ÜBER ihre Protagonist*innen inzwischen beherzter ein.

Verwiesen sei auf zwei Neuerscheinungen aus diesem Jahr, das grandiose und wie ein Fashion Editorial daherkommende „Hexen“ von Malwine Stauss oder Lina Ehrentrauts geschickt Genres vermischendes „Melek + Ich“. Ehrentraut modelt übrigens auch selbst gern mal für Fotos herum und organisierte nach dem Ende des von unter anderem Haifisch initiierten Comicfestivals „Millionaires Club“ in Leipzig die ähnlich ausgerichtete Veranstaltung „Snail Eye“.

[Die Tagesspiegel-Rezension zu „Melek + Ich“ gibt es hier, mehr zum Ende des „Millionaires Club“ hier.]

So tanzt der nun unverhofft wie einst ein anderes bekanntes Federvieh zu Ruhm gekommene spaghettihaarige Artist um sich selbst kreisend zwischen Kunsthallen und apokalyptischen Panoramen, angelegt und furios koloriert im beispielsweise vorstellbar düstersten Lila seit dem Aussterben der Dinosaurier, und wie das seit Catherine Meurisse 2016 in „Die Leichtigkeit“ kaum wer bewerkstelligt hat, halsbrecherisch umher, während in anderen Sequenzen die wehmütige Kargheit von „Fuji-San“ (2018) oder „Residenz Fahrenbühl“ (2021) aufscheint.

Flughundstage

Das bricht übrigens mit der Großbildillustration und bedient wieder traditionellere Erzählformen, während der Hundezwinger gleich nebenan ebenso vom Wehmut der Melancholie zerfressen wird. Diese Spezies übrigens, ein gleichfalls wiederkehrendes Motiv im Haifisch'schen Tierkosmos, nicht erst seit dem übrigens in der Sélecions Officielles 2022 für Angoulême nominierten „Schappi“ (2019), legt weitere frei interpretierbare Bezüge zu Medium und Wahlverwandtschaften offen.

Von Drifter zu Schappi - Ein Hundeleben als fashionabler Aufnäher.
Von Drifter zu Schappi - Ein Hundeleben als fashionabler Aufnäher.

© Promo

Und wer sonst lässt den dritten Teil der „Artist“-Reihe von Büchner-Preisträger Marcel Beyer übersetzen, weil die Künstlerin nicht in ihrer Muttersprache, sondern lieber in Englisch dichten mochte? Doch freut ein hochdekorierter Literat mit Renommee wie Beyer die Comics oft immer noch argwöhnisch liebende Rezeption, nicht realisierend, dass sie zeitgleich zittrig farbsprühend unterwandert wird.

Was sich aktuell gerade wieder einmal in der Äußerung des Grünen-Politikers Erhard Grundl, befragt zur Aufnahme des Comics in den Koalitionsvertrag, manifestiert: „Gerade die universelle Bildsprache schafft Zugänge auch zu komplexen Themen für ein diverses Publikum“, i.e. Erklärbildtafel für eventuell eher Minderbemittelte.

[Wie kam der Comic in den Koalitionsvertrag? Mehr dazu hier.]

Aber zurück zu Beyer, ganz unbewandert ist der Schriftsteller in Kollaborationen mit comicschaffendem Volk nicht; 2007 adaptierte Ulli Lust dessen NS-Schocker „Flughunde“, dem eine gemeinsame Lesetour nachfolgte, und 2019 erschien mit „Exzess und Entzug: Ferres vor Gursky, Ferres vor Immendorf“ ein von Anna Haifisch illustrierter Text Beyers über die Verstrickungen von Kunst und Mäzenatentum, ein Motiv, welches „Artist“-Leser*innen durchaus geläufig sein dürfte.

[Flüstern und Schreien - hier gibt es die Tagesspiegel-Rezension von Ulli Lusts Adaption von Marcel Beyers Roman „Flughunde“]

Bedauerlicherweise aber erwies sich bei der „Flughunde“-Adaption lediglich die Koloration sowie die Umgewichtung zu einer weiblicheren Erzählperspektive als wirklich wetterfest, während der Rest in alles überrollenden Beyer'schen Textwellen absoff.

Haifisch dagegen deklamierte für die im Stil der bei Vernissagen gereichten Häppchen verfassten Textschlaglichter – nebst Annotationen – schon beim Umschlaginnern und dem nachfolgenden Vorsatzpapier nicht nur ihre Farbhierarchie, sondern inszenierte Carsten Maschmeyer und Veronica Ferres zudem als die formlosen Massen, die sie sind, und fügte so eine dem reinen Text verschlossen bleiben müssende Ebene hinzu.

Buchgestaltung liegt Frau Haifisch auch.
Buchgestaltung liegt Frau Haifisch auch.

© Passagen-Verlag

Zahlenmagie inklusive.
Zahlenmagie inklusive.

© Edit

Deutungshoheit sowieso.
Deutungshoheit sowieso.

© Spector Books

Gut, wer wie der Artist 2019 im Rahmen der „Drawn-to-MoMA“-Reihe im ebenfalls in New York beheimateten Museum of Modern Art abhängt, darf schon etwas Gestaltungshoheit für sich beanspruchen – schließlich ist Illustration nicht Adaption, sondern Interpretation. Was die Adaption ebenso sein könnte, aber aus Bequemlichkeit und/oder Sicherheitsdenken immer noch zu oft nicht ist.

Im MoMA hängen - so oder so.
Im MoMA hängen - so oder so.

© MoMA

Dass im Anfang angeführte Sprechblasen dann erstmals im achten Akt der Arien versammelnden Oper ausgerechnet im Umfeld einer Kunsthalle auftauchen, ist mehr als ein Fingerzeig in das ebenfalls als ohne Sicherheitsrisiken eingestufte Subgenre der Autobiografie zu werten, ebenso wie ein Abgesang an eine eventuell ziemlich auserzählte Figur.

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„Ode an die Feder“ ist, natürlich figurengerecht von federleicht schwebend bis absturzgefährdet taumelnd eine Rekapitulation nicht nur vom Werdegang einer künstlerischen Projektionsfläche. Genutzt wird diese durch Haifisch 2018 beim Workshop mit dem Nachwuchs im Oldenburger Horst-Janssen-Museum oder 2021 zum Erstellen eines Heftes für die Bremer Weserburg, wobei Kindern unkonventionell ein Herangehen an Kunst angeboten wird, ohne ins Kindlich-Anbiedernde abzudriften.

Bildungsauftrag im Sinne der Staatsräson erfüllt: Anna Haifisch für die Weserburg 2021.
Bildungsauftrag im Sinne der Staatsräson erfüllt: Anna Haifisch für die Weserburg 2021.

© Weserburg

Was neben der andauernden Erzählverweigerung, i.e. (Auto-)Biografien, Sachcomics und Adaptionen, nicht nur in deutschen Bildschriften eine weitere schlimme Seuche von vorsätzlicher Unterforderung der Leserschaft darstellt. Diese Schwemme uninspirierter Mischkalkulationen führt dann leider zu immer noch im Gebrauch befindlichen Rezeptionen wie „auf inhaltlicher wie auf visueller Ebene“.

Das Titelbild des besprochenen Bandes.
Das Titelbild des besprochenen Bandes.

© Reprodukt

Was hier jedenfalls dargeboten wird, sprengt mal wieder den immer noch viel zu engen Rahmen deutscher, nicht gewachsener Traditionen vom Erzählen durch *sprechende* Bilder und ist in seiner Mischung aus Slapstick, Tanzeinlagen mit dünnem Haar auf noch dünnerem Eis fordernd und wagemutig. Letztlich also nicht nur eine Ode an die Feder, sondern eine Hommage Anna Haifischs an sich selbst – eben, weil sie's kann.

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