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Auf Deutsch liegen von "Tokyo Girls" bislang vier Bände vor, hier das Cover des aktuellen Bandes.

© Egmont

Single-Frauen in Tokio: Fischmilch und Leber als Beziehungsratgeber

Über 30 und noch keine Familie? Die Mangareihe „Tokyo Girls - Was wäre wenn …?“ behandelt ein Thema, das die japanische Gesellschaft beschäftigt.

Rinko, Kaori und Koyuki sind Mitte Dreißig und Single. Während Rinko, die kurz vor ihrem 33. Geburtstag steht, sich eher semi-erfolgreich als freie Drehbuchautorin für romantische Web-Serien durchschlägt, führt Kaori ein kleines Nagelstudio. Koyuki ist in der familienbetriebenen Izakaya, einer traditionellen japanischen Bar, beschäftigt.

Hier treffen sich die drei Ladys, um zu lästern, zu trinken und über ihr Lieblingsthema zu sprechen: Männer! Vor allem Männer zum Heiraten und wie sie zu finden sind. Letzteres ist die Hauptsorge der Single-Damen, denn bis Olympia 2020 in Tokio wollen sie unter der Haube sein.

Ihre lautstarken Besäufnisse ziehen die Aufmerksamkeit der anderen Gäste auf sich. Auf die neueste Bekanntschaft, einen blonden, arroganten und unverschämt gut aussehenden Typen in den Zwanzigern, hätten Rinko, Kaori und Koyuki aber verzichten können.

Er beleidigt die drei redseligen Schnapsdrosseln nicht nur, indem er ihnen schonungslos die Wahrheit über ihre Situation serviert und sie „Was-wäre-wenn-Weiber“ nennt. Er sprengt auch noch Rinkos neuestes Serienarrangement. Als aufstrebendes, erfolgreiches Model sollte er für die Webromanze engagiert werden. Er weigerte sich jedoch aufgrund der schlechten Story mitzuspielen und kippte damit das gesamte Projekt.

„Übrig geblieben“ in der patriarchalen japanischen Gesellschaft

Akiko Higashimuras Figuren im Großstadtliebesdrama „Tokyo Girls - Was wäre wenn …?“ (Egmont Manga, bisl. 4 Bd., je 192 S., je 7 €) kommen im typisch japanischen Alltagslook daher. Die Mangaka offenbart schon anhand der Kleidung die Zugehörigkeit zur jeweiligen Alters- und Gesellschaftsgruppe. Die fast schmucklosen, gut gefüllten Seiten bewegen sich mit verzerrt-überspitzten Comicdarstellungen, extremer Symbolik und sogar skizzenhaften Passagen durchaus auch mal abseits der gängigen Manga-Schönheitsideale.

Das Cover des ersten Bandes.
Das Cover des ersten Bandes.

© Egmont

Zwei irrwitzige Maskottchen schuf die Künstlerin mit Tara (Fischmilch vom Dorsch) und Reba (kurz gebratener Rinderleber). Dies sind die personifizierten Lieblingsgerichte der Antiheldin Rinko, die als unbarmherziges Gewissen in Jiminy-Tradition und Anwalt des Teufels fungieren. Gleichzeitig ist es ein Wortspiel, denn Tarareba bedeutet auf Japanisch „Was wäre wenn?“.

Dialogreich und vergnüglich entlarvt die zynische Manga-Reihe „Tokyo Girls“, wie es „übrig gebliebenen“ Frauen in der patriarchalen japanischen Gesellschaft und einer unpersönlichen Metropole wie Tokio ergeht. Manga-ka Akiko Higashimura wählte drei ihrer Freundinnen als Vorbilder für die Hauptfiguren, deren Erwartungen und Befürchtungen zum eigenen Singledasein sie in der Geschichte verarbeitete.

Die liebende Hausfrau und Mutter als Lebensziel

Die exzentrischen Damen Rinko, Kaori und Koyuki sind allesamt sehr tiefgründig angelegt als eine Art Prototyp für die japanische, alleinstehende Single-Frau. In Japan ist die Ehe gesellschaftlich hochangesehen. Das traditionelle Rollenbild der Frau ist trotz vieler Bemühungen, die weibliche Bevölkerung in Arbeit zu bringen, immer noch das der liebenden Hausfrau und Mutter.

Wer Kinder bekommt, gibt häufig seinen Beruf auf. Wer Karriere machen will, endet meist kinderlos. Außerdem bringen extreme Arbeitszeiten das soziale Leben zum Erliegen und wer nicht früh genug einen Partner findet, dem bleiben fast nur Heiratsvermittler und Single-Events.

Rinko und Co. haben aus verschiedenen Gründen den Zug zur Zweisamkeit verpasst und spüren zunehmend den Druck, das klassische Familienmodell doch noch anzubahnen. Ihre wahren Sehnsüchte bleiben ungeklärt, alles ist wie bei „Sex and the City“ auf die Jagd nach dem entscheidenden Mannsbild ausgerichtet.

Der Emotionszirkus in all seinen Facetten

Akiko Higashimura, die zuvor in „Prinzessin Jellyfish“ das Phänomen der weiblichen Otakus und NEETs (Not in Education or Training) thematisierte, spielt in „Tokyo Girls“ forsch mit den Hoffnungen von Singles, betrachtet ironisch Dating-Regeln, zitiert die üblichen gut gemeinten Ratschläge, ohne sie zu verurteilen — und stellt den Emotionszirkus in all seinen hässlichen und lustigen Facetten bloß.

Ohne Romantik und Klischees kommt die Geschichte trotzdem nicht aus. Jede der Damen darf diverse Dates und Beziehungen über sich ergehen lassen. Ob und in welcher Form das persönliche Glück schlussendlich an die Tür klopft, liegt im Ermessen des Betrachters.

Wie viele verwandte Geschichten für junge Frauen wie „Kimi wa pet - Tramps like us“ und „Nodame Cantabile“ erschien „Tokyo Girls - Was wäre wenn …?“ in Japan von 2014 bis 2017 im Magazin „Kiss“ bei Kodansha und war zeitweise einer der fünfzehn am besten verkauften Titel des Verlags. Insgesamt umfasst das Werk neun Bände sowie eine Zusatzstory.

2017 wurde eine zehnteilige Real-TV-Serie produziert, die ohne kreative Mitwirkung der Zeichnerin die Originalserie adaptierte. Da das Interesse für das Thema in Japan aufgrund der oben genannten gesellschaftlichen Gründe ungebrochen ist, geht „Tokyo Girls“ dort schon in die zweite Runde. In Staffel 2 des Mangas geht es um zwei Protagonistinnen, die jeweils in den 30ern und 40ern sind.

Egmont Manga veröffentlicht die erste Serie seit Mai 2019. Mittlerweile sind vier der neun Bände erschienen. In den USA strich die Reihe sogar einen der begehrten Eisner Awards für „Best U.S. Edition of International Material—Asia“ ein, während sie in Japan 2016 zwar für den Kodansha Award nominiert war, sich aber schließlich gegen das Arzt-Drama „Konodori“ von Yu Suzunoki geschlagen geben musste.

Kein Grund, die unterhaltsamen „Tokyo Girls“ abblitzen zu lassen. Und mit einem Date mit Rinko und Co. erweitern auch „Sex and the City“-Verehrer ihren Singlehorizont um ein weiteres Land.

Sabine Scholz

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