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Im Bauch der Maschine: Eine Szene aus „Yokohama Station Fable“.

© Carlsen

Science-Fiction-Manga „Yokohama Station Fable“: Ein Bahnhof gerät außer Kontrolle

Eine sich selbst verwaltende Megastruktur überwuchert in Gonbe Shinkawas Manga-Reihe „Yokohama Station Fable“ Japans Hauptinsel Honshu.

Seit 200 Jahren breitet sich die Bahnstation Yokohama immer weiter auf der Hauptinsel Japans aus. Die Menschen, die in ihrem Inneren wohnen, müssen sich den Regeln der ohne Unterlass nach Wachstum und Veränderung strebenden Megastruktur beugen. Die Menschen außerhalb leben in Abhängigkeit von ihren Abfallprodukten auf kleinstem Raum an den Küsten.

Mysteriöse Welt: Der junge Hiroto auf seiner Odyssee durch den gigantischen Bahnhof.
Mysteriöse Welt: Der junge Hiroto auf seiner Odyssee durch den gigantischen Bahnhof.

© Carlsen

In einem dieser Slums begegnet der rastlose Hiroto, Hauptfigur der dreibändigen Manga-Reihe „Yokohama Station Fable“ (Übersetzung: Gandalf Bartholomäus, Carlsen Manga, bislang ein Band, 178 S., 8 €), einem Widerstandskämpfer. Der erzählt ihm von einer Gruppe Rebellen, deren Ziel es ist, sich von der Kontrolle der übermächtigen Maschine zu befreien.

Er entschließt sich, mit dem nur wenige Tage gültigen Ticket, das der Freiheitskämpfer ihm auf dem Sterbebett – sein Immunsystem war den Bedingungen außerhalb der Station nicht gewachsen – übergeben hat, in die Station einzudringen.

Hiroto dachte stets, er würde in dem Satelliten-Slum sein Dasein fristen müssen und sieht jetzt die Chance gekommen, dem kargen Leben zu entfliehen. Doch die Realität im Inneren der Station ist noch weitaus abenteuerlicher, als es die wenigen Augenzeugen geschildert haben.

Was für deutsche Reisende der Berliner Flughafen BER, das ist für die Japaner der Tokioter Bahnhof Yokohama, ein zentraler Verkehrsknotenpunkt, der aufgrund der stetig steigenden Fahrgastzahlen quasi als Dauerbaustelle gilt.

Ein Bahnhof wird zur Hauptfigur

Yuba Isukari hat, inspiriert von Tsutomu Niheis Science-Fiction-Meisterwerk „Blame!“, ebendiese Station zum Sujet eines Romans gemacht, der bei Yen Press in englischer Sprache erhältlich ist. Ein zweiter Band, der unabhängig von Hirotos Geschichte das Leben der Menschen mit der Megastruktur unter die Lupe nimmt, ist bislang nur in Japan erschienen.

Eine weitere Szen aus „Yokohama Station Fable“.
Eine weitere Szen aus „Yokohama Station Fable“.

© Carlsen

Die Manga-Adaption von Gonbe Shinkawa wird hierzulande bei Carlsen Manga veröffentlicht und übernimmt viele Szenen aus der originalen Erzählung, verändert aber den Informationsfluss, sodass etwa einige Aspekte der außerhalb Honshus existierenden Widerstandsbewegungen zunächst außen vor bleiben.

Weit weniger abstrakt, düster und actionreich als Inspirationsgeber „Blame!“ gibt „Yokohama Station Fable“ Einblicke in ein von Menschen erzeugtes Problem. Mit einfachen Rastern und klaren Schwarz-Weiß-Kontrasten entwirft Gonbe Shinkawa die alles überwuchernde Station als karge und repetitive Megastruktur, die der undurchschaubaren, blassen menschlichen Hauptfigur manchmal den Rang abläuft.

Was erträgt der Mensch? Wo regt sich Widerstand?

Auch der Zeichenstil erinnert entfernt an die postapokalyptische Welt des Vorbilds „Blame!“, ist aber weit weniger organisch und dynamisch. In sterilen Kulissen und geraden Layouts wird die Einförmigkeit der sich emotionslos ausbreitenden Yokohama Station mit kilometerlangen, monotonen Korridoren und Rolltreppen, einverleibten Großstädten, engen Slums und völlig verwaisten Gegenden zweckmäßig dargestellt.

Die Bilder sind damit fast eine Allegorie auf das gleichförmige, stumpfe Leben der Menschen mit der außer Kontrolle geratenen Technik.

Das Titelbild des ersten Bandes von „Yokohama Station Fable“.
Das Titelbild des ersten Bandes von „Yokohama Station Fable“.

© Carlsen

Der Segen eines sich selbst regulierenden Bahnhofs wird zu einem nicht zu stoppenden Fluch. Im Grunde geht es um die Hybris und die Ambitionen des Menschen – die unkontrollierbare Ausdehnung der Yokohama Station als logische Konsequenz menschlichen Wachstumsstrebens.

Mit den Bahnhofsbeamten sind neben den Ticketschranken, der unbestechlichen Exekutivgewalt der Station, selbst ernannte Kontrolleure am Werk, die zugunsten ihrer eigenen Interessen als Kontrollorgane agieren. Sie ziehen keine Lehren aus dem Geschehen, machen einfach weiter wie bisher.

Aber wie anpassungsfähig ist der Mensch wirklich? Was erträgt er? Und wo regt sich Widerstand? Existenzielle Fragen, denen Yuba Isukari und Gonbe Shinkawa hier mit leicht verständlicher Unterhaltungskost zu Leibe rücken.

Sabine Scholz

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