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Verleger und Letterer: Dirk Rehm.

© Kai-Uwe Heinrich

Reprodukt-Verlag startet Crowdfunding-Kampagne: „Wir sind ans Ende der Kette gerutscht“

Hohe Rohstoffpreise machen auch der Comicbranche zu schaffen. Der Verlag Reprodukt bittet die Leser*innen um Hilfe. Verleger Dirk Rehm erklärt, wie ernst die Lage ist.

Der Berliner Verlag Reprodukt, 1991 von Dirk Rehm gegründet, hat sich in den vergangenen gut 30 Jahren zu einer renommierten Institution für Autorencomics entwickelt. Jetzt hat Reprodukt zum ersten Mal eine Crowdfunding-Kampagne auf der Plattform StartNext gestartet, auf der bis Dienstagmorgen bereits rund 150 Unterstützer*innen eine Fördersumme von mehr als 15.000 Euro zugesagt haben. Hier erklärt der Verleger, wie es zu der Kampagne kam und was man sich davon erhofft.

Mit diesem Gemeinschaftsbild zahlreicher Reprodukt-Zeichner*innen wirbt der Verlag für die Kampagne.
Mit diesem Gemeinschaftsbild zahlreicher Reprodukt-Zeichner*innen wirbt der Verlag für die Kampagne.

© Reprodukt

Seit gut 30 Jahren hat sich der Reprodukt-Verlag mehr oder weniger durch den Verkauf seiner Comics finanziert. Jetzt starten Sie zum ersten Mal eine umfangreiche Crowdfunding-Kampagne und bitten Ihre Leser*innen um Unterstützung – wie ernst ist die Lage und wie kam es dazu?
Zunächst mal haben wir uns die ersten 20 Jahre des Verlagsbestehens kein Geld für unsere Arbeit ausbezahlt, sondern Selbstausbeutung betrieben. Das Finanzamt hat mehrfach versucht, mir nachzuweisen, dass der Verlag ein Hobby ist, und keine Gewinnabsicht besteht - zum Glück konnte ich sie auf bessere Aussichten in fernerer Zukunft vertrösten. Erst seit etwa zehn Jahren können wir von der Verlagsarbeit leben. Mehr oder weniger gut, aber wir betrachten es schon als großen Erfolg, diese Stufe erklommen zu haben. Unser Bestreben war und ist es, Comics so zu veröffentlichen, wie wir sie uns wünschen. Dazu zugehört beispielsweise Handlettering, das drei Arbeitsschritte mehr erfordert – Lettern und Scannen und das Lettering in die Druckdaten einbauen – als wenn wir auf Digitales Lettering setzen würden, wie es die meisten Comicverlage tun.

Rohstoffmangel und steigende Energiepreise haben das Papier nicht nur teurer werden lassen, sondern auch die Auswahl an Papiersorten verringert, seit die Papierfabriken mehr auf die Produktion von Kartonage setzen. Die Pandemie hat zu einem starken Wachstumssprung im Versandhandel, der Bedarf ist groß und die Nachfrage wird gegenüber dem Papier für die Druckmaschinen bevorzugt bedient, vermutlich, da mehr dem Verkauf von Versandkartons verdient werden kann als mit dem Verkauf von Papier. Die Folge ist, dass viele Papiere, die vor zwei Jahren noch zum üblichen Repertoire der Druckereien gehörten, derzeit seltener und erheblich teurer angeboten werden. Manche Sorten sind nur nach langen Lieferzeiten erhältlich.

Gestiegene Rohstoff- und Energiepreise treffen auch andere Branchen, von denen manche ihre wachsenden Kosten jetzt direkt auf die Kunden umlegen und die Preise für ihre Produkte erhöhen – kann man das nicht einfach auch als Comicverlag machen, oder wieweit ist die Situation eine andere?
Mit dem Crowdfunding hoffen wir auf Unterstützung für die Finanzierung unseres Herbstprogramms. Mittelfristig setzen wir darauf, dass sich die Papierpreise wieder stabilisieren, aber dafür gibt es keine Garantie. Natürlich könnten wir die Preiserhöhung der Rohstoffe und der Fabrikation auch auf unsere Produkte umlegen, aber das führt in meinen Augen nur dazu, dass Bücher und Comics noch mehr zum Luxusgut werden als sie es jetzt schon sind. Das ist eine politische Entscheidung, aber ich finde es wichtig, wenigstens zu versuchen, in unserem Markt die Inflation in einem gewissen Rahmen zu halten.

Einige der Gegenleistungen, die der Verlag seinen Unterstützer*innen anbietet.
Einige der Gegenleistungen, die der Verlag seinen Unterstützer*innen anbietet.

© Reprodukt/StartNext

Bei Reprodukt erscheinen Comics, die von der Aufmachung und vom Format her oft sehr individuell gestaltet sind – wieweit ist dieses Qualitätsmerkmal, das viele Comicfans so schätzen, in diesem Fall Teil des Problems?
Um die Resultate zu erzielen, die wir sehen möchten, fließen nicht nur redaktionelle Sorgfalt in die Arbeit, sondern auch die Herstellung steht ständig vor der Herausforderung, das „richtige" Papier für den Buchblock und die richtige Haptik für den Umschlag zu finden. Wir arbeiten mit etwa einem Dutzend Druckereien in Polen, Litauen und Lettland zusammen, produzieren also vor allem in Osteuropa. Wir verwenden viele verschiedene Arten von Papier, raues oder glattes, dünnes oder voluminöses, weißes oder gelbliches, von vielen verschiedenen Herstellern, je nachdem, was uns in Hinblick auf die bestmöglichste Präsentation von Zeichnung und Inhalt am stimmigsten erscheint. Diese Vielfalt ist nicht mehr gegeben, so wie zuvor die kleineren Druckereien verschwunden sind, mit den wir besondere Bücher wie die von Marc-Antoine Mathieu produzieren konnten. Bücher, die sich durch spezielle Effekte wie „angerissenes“ Papier, Stanzungen oder einen besonderen Falz ausgezeichnet haben. So etwas ist heute kaum noch zu machen.

Wir sind kein Konzernverlag, der die nötigen finanziellen Rücklagen aufbieten kann, sich eigene Papiervorräte anzulegen. Da wir außerdem eher in kleinen Auflagen planen, sind wir ans Ende der Kette gerutscht – so wie sich über kurz oder lang viele kleinere unabhängige Verlage in der gleichen prekären Lage wiederfinden dürften.

Wie ist die Lage bei anderen Comicverlagen?
Ich denke, unsere Art Comics zu produzieren und die Struktur des Verlages ist schwerlich mit denen anderer deutscher Comicverlage zu vergleichen. Splitter hat als mittelständischer Verlag eine ähnliche Größe wie wir mit etwa zehn Mitarbeitern, aber Splitter produziert in drei oder vier verschiedenen Reihenformaten und vermutlich zu 90 Prozent mit demselben Papier. Der avant-Verlag hat im Moment vielleicht drei feste Mitarbeiter, arbeitet in der Regel mit Digitalem Lettering und hat mit Liv Strömquist eine veritable Bestseller-Autorin im Programm. Cross Cult arbeitet auch mit Mainstream-Titeln und bedient seit kurzem erfolgreich die Nachfrage junger Manga-Leser:innen, ein dankbares Publikum. Ich denke, sie alle haben auch Probleme mit der Erhöhung der Papierpreise, aber aufgrund anderer Strukturen trifft es sie aktuell weniger stark als uns.

Für welche Projekte von welchen Reprodukt-Zeichner*innen wird das Crowdfunding gestartet?
Wir möchten mit das Crowdfunding nutzen, um die Summe unserer Neuerscheinungen im Herbstprogramm zu unterstützen, nicht einen einzelnen Comic. Wir planen unter anderem neue Comics von Pénélope Bagieu, Marc Boutavant, Nadia Budde, Sascha Hommer, Isabel Kreitz, Ferdinand Lutz, Nicolas Mahler, Taiyo Matsumoto, Craig Thompson, Barbara Yelin und so viele mehr.

Was bekommen Unterstützer*innen im Gegenzug geboten?
Wir bieten als „Dankeschön“, wie es bei StartNext heißt, vor allem Originalzeichnungen, Comicseiten und Drucke unserer Zeichner:innen an, die uns als aller Welt zugesendet wurden. Wir freuen uns unendlich über so viel unbezahlbare, fantastische Unterstützung und können ihnen allen gar nicht genug danken. Diese positive Bestätigung ist uns darüber hinaus eine große Motivation!

Zahlreiche Dankeschön-Originale waren am Dienstagmorgen bereits vergeben.
Zahlreiche Dankeschön-Originale waren am Dienstagmorgen bereits vergeben.

© Reprodukt/StartNext

Die wirtschaftliche Lage von unabhängigen Comic-Verlagen wie Reprodukt ist ja auch unabhängig von der aktuellen Krise eher fragil, wie man in den vergangenen drei Jahrzehnten gesehen hat. Wieweit wäre eine dauerhafte Förderung durch Crowdfunding, einen Unterstützerkreis oder ähnliche Modelle ein Weg in eine etwas sicherere Zukunft?
Das sind sicher alles gute, mögliche Modelle, aber grundsätzlich ist es natürlich am gesündesten, wenn die Verlage ihre Existenz selbst erwirtschaften. Was Reprodukt angeht, sind wir im Lauf unserer Existenz durch viele Krisen gegangen und haben für jedes Problem einen neuen Lösungsansatz gefunden – diesmal versuchen wir es zum ersten Mal mit Crowdfunding. Wir sind gespannt, wie es weitergeht!

Die größeren Comicverlage Deutschlands erleben gerade einen wirtschaftlichen Höhenflug – wieso sieht die Lage bei kleineren Verlagen nicht ähnlich gut aus?
Die größeren Verlage verkaufen an die Filialisten – Thalia, Hugendubel etc. Vor allem Manga sind dort präsent. Die Filialisten bewerten die Verlage nach dem Umsatz, den sie bei ihnen erwirtschaften und weisen ihnen eine entsprechende Präsentationsfläche zu. Man kann sich leicht vorstellen, dass ein kleiner Verlag, der vielleicht eine vier- bis fünfstellige Summe für die Filialisten erwirtschaftet, gegenüber denen weit hintenansteht, die ihnen die Millionen in die Kassen schaufeln.

Der Bereich Manga beschert deutschen Comicverlagen offenbar das stärkste Wachstum. Auch Reprodukt veröffentlicht ja seit einigen Jahren Manga – wie laufen die und wieweit ließen sich durch einen Ausbau dieses Bereichs Defizite in anderen Bereichen ausgleichen?
Überhaupt nicht. Die Manga, die wir veröffentlichen, sind zumeist autobiografischen Inhalts und für ältere Leser:innen gedacht – nicht für die Zielgruppe der 10- bis 18-jährigen, die Carlsen, Egmont, Tokyopop oder Kazé bedienen. Wir sprechen bei unseren Gekiga von Auflagen zwischen 2000 und 4000 Stück, wohingegen die erfolgreichen Manga der größeren Verlage eine fünfstellige Startauflage haben.

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