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Ein Kreis schließt sich: Eine Seite aus dem aktuellen Band 8.1. von „Reisende im Wind“.

© Splitter

„Reisende im Wind“: Ein Comic, der Geschichte schrieb

Vor 40 Jahren begann François Bourgeon seine Mammutserie „Reisende im Wind“. Jetzt steht die Reihe, die ihrer Zeit lange voraus war, vor dem Finale.

Sein Blickwinkel „ist nicht der eines Historikers, sondern der meiner Charaktere“, stellt François Bourgeon im Interview fest. Geführt wurde dieses Gespräch anlässlich der Veröffentlichung des Abschlusses seiner Mammutserie „Reisende im Wind“, die Bourgeon vor 40 Jahren, im Jahr 1979, begonnen hat, abgedruckt ist das Interview in der Vorabveröffentlichung des vorletzten Bandes.

Bourgeons Verlag hat sich hier etwas ganz Besonderes ausgedacht: Das komplette Album erschien zwischen November und Januar in vier großformatigen Schwarz-Weiß-Journalen. Hier kommt nicht nur Bourgeons detaillierter Strich besonders gut zur Geltung, die einzelnen Hefte enthalten auch noch jede Menge Zusatzmaterial.

Unfassbare Sehnsucht nach Freiheit

Neun Alben und 100 Jahre erzählte Zeit umfasst „Reisende im Wind“, zunächst geht es um die Heldin Isa, die sich selber Agnes nennt. Angetrieben von einer unfassbaren Sehnsucht nach Freiheit verschlug ihre Odyssee sie vom vorrevolutionären Frankreich in die Karibik, nach Westafrika und zurück.

Ab dem zweiten Zyklus übernimmt Isas Enkelin Zabo, die ähnlich willensstark wie ihre Großmutter ist, die Hauptrolle. Vom amerikanischen Sezessionskrieg führt ihr Weg sie jetzt in das Paris des Jahres 1885. Einige Jahre nach dem verlorenen Krieg gegen das Deutsche Reich und der Pariser Kommune herrscht hier immer noch bittere Armut und politische Unterdrückung.

Beim Begräbnis von Jules Vallés, einem der Anführer der Kommunarden, treffen wir Zabo wieder, die sich inzwischen Clara nennt. Als sie Zeugin einer Misshandlung der jungen Bretonin Klervi wird, schreitet sie ein.

Architektur als Mittel der Macht

Der Detailreichtum, den der in Paris geborene Künstler in seine Recherchen und Zeichnungen legt, ist erstaunlich: Da kann eine Szene nicht wie geplant auf der Pont d’Austerlitz spielen, weil diese im Februar 1885 durch Bauarbeiten verhüllt war. Also findet Bourgeon einen anderen Weg durch die Stadt. Es ist eine Stadt, in der Architektur als Mittel der Macht benutzt wird, Proletarier und Unterschicht immer mehr aus der Stadt herausgedrängt werden.

Das Titelbild des besprochenen Bandes.
Das Titelbild des besprochenen Bandes.

© Splitter

Schon mit der Konzeption dieser komplexen Serie war er seiner Zeit weit voraus. Bourgeon dürfte einer der ersten Comic-Künstler gewesen sein, die sich ganz bewusst für eine Frau als Hauptfigur eines Abenteuercomics entschieden haben.

Und damit nicht genug: Sich kritisch mit Frankreichs brutaler, blutiger Kolonialvergangenheit zu beschäftigen, ist auch heute noch keine Selbstverständlichkeit.

Dabei verknüpft François Bourgeon seinem historischen Stoff ganz eng mit der Gegenwart. Schließlich wusste schon der große Historiker Sebastian Haffner, dass es bei der Pariser Kommune um die Fragen ging, die uns auch heute noch beschäftigen: „Demokratie oder Diktatur, Rätesystem oder Parlamentarismus, Sozialismus oder Wohlfahrtskapitalismus, Säkularisierung, Volksbewaffnung und Emanzipation.“

Noch ein letzter Band, dann ist die Geschichte endgültig zu Ende, der Kreis hat sich geschlossen.

François Bourgeon: Reisende im Wind, Band 8.1: Die Zeit der Blutkirschen, Übersetzung: Harald Sachse, Splitter, 88 Seiten, 18,80 Euro.

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