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Reise durch Zeit, Raum und Kunstgeschichte: Anna Haifisch vor drei Drucken aus ihrem Werk im Museum der bildenden Künste Leipzig.

© Lars von Törne

Neues von Anna Haifisch: Bei Schnabels zu Hause

Anna Haifisch gibt in einer Leipziger Ausstellung vielfältige, teils ungewöhnlich persönliche Einblicke in ihr Leben und Werk.

Das Federvieh hat es ihr besonders angetan. Damals in ihrer Kindheit, als die kleine Anna regelmäßig an der Hand ihrer Mutter den Zoo besuchte, ebenso wie später im Kunststudium, als es sie immer wieder zum Skizzieren hierherzog. „Vielleicht , oder vielleicht auch nicht, liegt da in der Gänsegeiervoliere des Leipziger Zoos der Ursprung von meiner Comicfigur The Artist“, schreibt Anna Haifisch im Nachwort zu ihrer gezeichneten Kurzgeschichte „1992“, die jetzt eine der zentralen Arbeiten der Ausstellung „Chez Schnabel“ und des dazugehörigen Katalogs (Spector Books, 96 S., 26 €) ist, mit der das Museum der bildenden Künste ihrer Heimatstadt Leipzig sie ehrt.

Auf knapp 20 Seiten, die im Museum auf Posterformat vergrößert die Wand eines Ausstellungsraumes bedecken, gibt Anna Haifisch in „1992“ einen ungewöhnlich persönlichen Einblick in ihre Biografie. Zugleich treibt sie das über die Jahre in ihrer Reihe „The Artist“ kultivierte Spiel mit den Identitäten in diesem autofiktionalen Stück weiter voran.

Denn die junge Anna, die da durch den Zoo spaziert und damals noch nicht Haifisch mit Künstlernamen hieß, hat einen ebensolchen Vogelschnabel wie auch der exzentrische, zwischen Hybris und Depression schwankende Künstler, der ihre Hauptfigur ist und die Zeichnerin in den vergangenen sechs Jahren international populär gemacht hat.

Auch die Eltern der Comic-Anna in „1992“ sind nur ab dem Hals abwärts Menschen, ihre Köpfe sind denen von Vögeln nachempfunden. Bislang hat die 1986 in Leipzig geborene Zeichnerin kaum Persönliches in ihren Werken preisgegeben und autobiografische Elemente meist gut versteckt und stark abstrahiert.

„Das ist kein Tagebuchprojekt“, stellte die Zeichnerin dann jüngst auch bei der Eröffnung der bis zum 3. Juli laufenden Ausstellung klar, als sie nach dem Realitätsgehalt der Episoden von „The Artist“ gefragt wurde. Und gab zugleich zu erkennen, dass ihr der mal weinerliche und mal größenwahnsinnige Habitus ihrer Hauptfigur, deren Geschichten soeben bei Reprodukt in einem Sammelband neu aufgelegt worden sind, durchaus vertraut ist.

Persönliche Odyssee durch das Betriebssystem Kunst

„Was ihm geschieht, ist aus der realen Welt entlehnt, aber beim Schreiben mache ich alles viel schlimmer und reite ihn rein“, sagt sie. Und betont, dass sie im Gegensatz zu ihrer mit dem Leben und der Kunst hadernden Hauptfigur durchaus ein glücklicher Mensch sei – aber eine erfolgreiche Figur, der es gutgehe, sei in erzählerische Hinsicht nunmal langweilig.

Die Kurzgeschichte „1992“ füllt im Museum eine ganze Wand.
Die Kurzgeschichte „1992“ füllt im Museum eine ganze Wand.

© Lars von Törne

Für das Museum der bildenden Künste ist es eine besondere Premiere: Es ist die erste Comic-Ausstellung in diesem Haus, dessen Geschichte bis 1848 zurückreicht und das eines der größten Kunstmuseen Deutschlands ist. Anlass ist die Verleihung des Kunstpreises der Leipziger Volkszeitung – eine Auszeichnung, die vor Anna Haifisch Künstler wie Neo Rauch oder Via Lewandowsky erhalten haben.

„In einem auf das Wesentliche reduzierten Zeichenstil lässt Haifisch androgyne Tier-Mensch-Wesen erstehen, die ihre persönliche Odyssee im Betriebssystem Kunst erleben“, heißt es in der Laudatio zur Preisverleihung. „Dabei gelingt es ihr, die nach wie vor romantisch und klischeehaft geprägten Vorstellungen vom Künstlergenie und seinen Abhängigkeitsstrukturen vom modernen Kunstmarkt wie vom musealen Ausstellungswesen kritisch-ironisch zu dekonstruieren.“

Melancholische Hunde beim Spiel, traurige Mäuse im Lockdown

Kernstück der Ausstellung – die bislang umfangreichste von Anna Haifischs Werk hierzulande - ist eine 20 Meter lange Tischreihe, auf der sich unter Glas Dutzende Skizzen, Notizen und Originalzeichnungen für „The Artist“ und anderen Haifisch-Werken wie „Von Spatz“, „Schappi“ und „Residenz Fahrenbühl“ befinden.

Hier eine Familienszene aus „1992“. Der Comic ist komplett im Katalog zur Ausstellung erhalten.
Hier eine Familienszene aus „1992“. Der Comic ist komplett im Katalog zur Ausstellung erhalten.

© Foto aus „Anna Haifisch – Chez Schnabel“, Spector Books / MdbK

Hier lässt sich studieren, wie die Zeichnerin mit filigranem Krakel-Strich an der Körpersprache ihrer Figuren arbeitet, die oft ohne ein einziges Wort viel mittzuteilen haben: Melancholische Hunde beim Spiel mit einer Frisbeescheibe, traurige Mäuse im Lockdown, und immer wieder ihre markanten Vogelwesen, die es in der realen Welt vor ein paar Jahren sogar bis ins New Yorker „MoMa“ geschafft haben.

Die Wände sind beklebt mit meterhohen Postern. Neben der extra für diesen Anlass geschaffenen Geschichte „1992“ gibt es schwarz-weiße Stillleben aus Haifischs Atelier, die ebenfalls Einblicke in Persönliches geben, von den Arbeitsutensilien über Souvenirs bis zu gezeichneten Bücherstapeln, die literarische Vorlieben und künstlerische Einflüsse verraten.

Hier stehen und liegen Kafka und Carson McCullers neben den „Peanuts“ von Charles M. Schulz und Sempés „Saint Tropez“, dazu kommen Biografien von ihr geschätzter Künstler wie Chagall und Walt Disney. In einem zweiten Raum, der extra für diesen Anlass einen neuen, in Anlehnung an die von der Künstlerin bevorzugten leuchtenden Farben knallgelben Linoleum-Fußboden bekommen hat, zieren großformatige Inkarnationen von „The Artist“ die Wände, der Raum hat dadurch etwas von einem begehbaren Buch.

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Ungeachtet der Ehrung durch einen Kunstpreis und der Wertschätzung ihrer Originalzeichnungen im Museum macht Anna Haifisch deutlich, dass für sie die ultimative Form ihrer Kunst nach wie vor das gedruckte Werk ist. „Bitte begeben Sie sich in den Museumsshop im Erdgeschoss“, hat sie auf ein Plakat am Ende der Ausstellung geschrieben, auf dem eine Herde Straußenvögel in wildem Lauf zu sehen ist.

Der Buchladen ist für sie ein integraler Bestandteil der Schau – und für ihr Publikum eine Erinnerung daran, dass ihre Bilder in erster Linie nichts fürs Museum, sondern für die allgemein zugängliche Veröffentlichung geschaffen wurden.

Aktuell arbeitet die Zeichnerin bereits an einem neuen Buch, wie sie beim Museumsrundgang verrät. Darin geht es aber diesmal nicht um „The Artist“ oder andere vertraute Tierfiguren: Es soll ein Kinderbuch werden, die Hauptfiguren sind diesmal Grillen.

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