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Magischer Alltag: Eine Seite aus „SuperMutant Magic Academy“.

© Reprodukt

Neue Comics: Grenzenlos - die Welt der Jillian Tamaki

Das Werk der kanadischen Autorin und Zeichnerin ist außergewöhnlich vielseitig. Jetzt gibt es ihre wichtigsten Comics auf Deutsch.

Die Kanadierin Jillian Tamaki ist vor allem mit dem 2015 auf Deutsch erschienenen Comic „Ein Sommer am See“ über zwei Freundinnen und das Ende einer Kindheit bekannt geworden. Ihre in fast schwarzem Lila gehaltenen Zeichnungen einer Sommeridylle mit Rissen überzeugten zusammen mit dem Szenario ihrer Cousine Mariko Tamaki Publikum, Kritik sowie die Jurys zahlreicher Preise.

Auf Deutsch liegen inzwischen zwei weitere Comics der 38-jährigen Künstlerin vor, die sie nicht nur gezeichnet, sondern auch geschrieben hat: „Grenzenlos“ von 2017 und das kürzlich übersetzte „SuperMutant Magic Academy“ (alle bei Reprodukt). Diese Bücher spannen mit dem „Sommer am See“ einen weiten Bogen künstlerischen Schaffens, sowohl das Format betreffend als auch Zeichenstil und Themen.

„Was für ein Luxus, sich völlig frei bewegen zu können“

Da wäre zunächst die Kurzgeschichtensammlung „Grenzenlos“ (248 S., 24 €), die in sich schon künstlerisch vielfältig ist. Stories in Kästchen und mit Sprechblasen stehen neben Geschichten aus Einzelbildern über ganze Seiten; besonders gewählte Ausschnitte von Motiven wie der geschwungene Schwanz eines Eichhörnchens mit etwas Text daneben wirken wie von japanischen Holzschnitten inspiriert (in der Tat hat Jillian Tamaki väterlicherseits japanische Vorfahren).

Kurzgeschichtensammlung: Eine Seite aus „Grenzenlos“.
Kurzgeschichtensammlung: Eine Seite aus „Grenzenlos“.

© Reprodukt

Tamaki spielt in den eher essayistischen als erzählerischen Geschichten in „Grenzenlos“ nicht nur mit den Erzählformen, sondern auch ganz buchstäblich mit Formaten; so fliegt etwa ein Vogel mit ausgebreiteten Schwingen von links nach rechts über mehrere Doppelseiten und ist dabei von oben, der Seite oder unten zu sehen – der Textblock aber ist vertikal gesetzt und erklärt unter anderem: „Was für ein Luxus, sich völlig frei bewegen zu können und nicht auf eine horizontale Achse beschränkt zu sein.“

Das Cover von „Grenzenlos“.
Das Cover von „Grenzenlos“.

© Reprodukt

Unter Jillian Tamakis Büchern dürfte „Grenzenlos“ das am wenigsten zugängliche sein, es zeigt aber eine spannende Auseinandersetzung mit Inhalten und Formen – und das Werk einer vielseitigen Illustratorin, die unter anderem für „The New Yorker“ und „The New York Times“ arbeitet.

Blitz auf dem Schädel und Laser-Fähigkeiten

In völlig anderem Stil gehalten ist hingegen „SuperMutant Magic Academy“ (280 S., 24 €) über den Alltag an einer Internatsschule für junge Leute mit magischen Fähigkeiten, auf deren Stundenplan unter anderem Zaubern und Besenreiten steht und deren Leiterin aussieht wie eine Mischung aus Bilderbuchhexe und Patti Smith. „SMMA“ versammelt Webcomics, die Jillian Tamaki zwischen 2010 und 2014 veröffentlicht und für die Buchversion mit einer Abschlussgeschichte versehen hat.

In meistens sechs Panels erzählt sie eine Episode pro Seite mit trockenen Dialogen und Pointe am Ende, in Schwarzweiß und skizzenhaftem, ein bisschen schnodderigem Strich, der gerade bei den ersten Strips noch recht unbeholfen wirkt.

Das Cover von „SuperMutant Magic Academy“.
Das Cover von „SuperMutant Magic Academy“.

© Reprodukt

Die schrägen Figuren, die in der SuperMutant Magic Academy miteinander zurecht kommen müssen, wachsen einem im Lauf der 280 Seiten ans Herz: Die burschikose Marsha mit schwarzem Bubikopf und Brille, die unglücklich verliebt ist, die hübsche Wendy mit den niedlichen Katzenöhrchen, die stets missmutige Frances, die im Unterricht raucht und auch sonst gerne Erwartungen untergräbt, Gemma mit dem riesigen eiförmigen Kopf, die hartnäckig ihre schriftstellerischen Ambitionen verfolgt, oder Trevor mit dem Blitz auf dem Schädel und Laser-Fähigkeiten, die er am liebsten einsetzt, um Böses zu tun. Abgesehen davon, dass die Strips wunderbar komisch sind, ist es großartig, wie entspannt-humorvoll und ohne Aufhebens Tamaki hier Themen wie Gender und Vielfalt aufs Tapet bringt.

2019 soll auch „Skim“ auf Deutsch erscheinen

„Ein Sommer am See“ (320 S., 29 €, ausführlichere Rezension hier) schließlich ist bislang sicherlich Tamakis erfolgreichstes Werk, 2015 von der Tagesspiegel-Jury zu einem der besten Comics des Jahres gekürt und 2016 als bester internationaler Comic mit dem Max-und-Moritz-Preis ausgezeichnet.

Mehr als 300 Seiten lang ist das Buch, wirkt aber dabei leicht, ohne seicht zu sein. Tamakis Strich ist weich und dynamisch und fängt die Charaktere – allen voran die ernstere, schon fast jugendliche Rose und ihre jüngere, fröhlich-pummelige Ferienfreundin Windy – wunderbar ein. Die dunkellila Druckfarbe schafft dazu eine ganz besondere Stimmung, zum Beispiel, wenn Rose nach dem heimlichen Genuss eines Horrorfilms mit Windy allein zurück zum Ferienhaus ihrer Eltern geht und weiße Soundwords durch die Nacht schwirren: „TSSSSSCHILLLLLLLLPPPPPP“, „SURRR“, „RRRRR...“. Und auch hier wieder ist es wunderbar, wie unaufgeregt durchaus ernste Themen aufgegriffen und mit scheinbar leichter Hand in Comic-Kunst verwandelt werden.

„Ein Sommer am See“ ist Tamakis zweite Zusammenarbeit mit ihrer Cousine Mariko als Szenaristin. Zuvor hatten die beiden in „Skim“ die Geschichte einer japanisch-kanadischen 16-Jährigen und ihres alltäglichen Kampfes als Außenseiterin erzählt. Dieses im Tagebuch-Stil geschriebene Buch, dessen Zeichnungen unter anderem vom japanischen Ukiyo-e-Stil inspiriert wurden, steht für eine weitere Facette in Tamakis Werk. Im Frühjahr 2019 soll auch „Skim“ auf Deutsch erscheinen.

Barbara Buchholz

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