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Isolierende Topographie: Eine Seite aus dem ersten Band von „Melvile“.

© Splitter

Multimedia-Comic „Melvile“: Die Welt ist ein Dorf

In „Melvile“ erzählt Romain Renard vom Leben in einer isolierten Region Kanadas. Am Sonntag bringt er sein Werk in Berlin live auf die Bühne.

Ein Dorf mit Persönlichkeit? Jeder kennt das gallische Dorf ohne Namen, dessen spezifische Topographie die unverwechselbare Struktur für die Rituale der unbeugsamen Gallier abgibt. Das fiktive Melvile ist nicht so ein klar strukturiertes und strukturierendes Dorf, zu unüberschaubar seine Lage in der wilden kanadischen Berg- und Waldlandschaft, und nach bisher nur zwei Bänden kennen wir auch noch zu wenige seiner 478 Bewohner. Aber auch die Reihe des belgischen Comic-Künstlers Romain Renard verspricht durchaus, etwas Besonderes zu werden.

Das liegt zum einen an den aufwändigen Zeichnungen, die teilweise düster-romantische Gemälde evozieren und effektiv eine entsprechende Stimmung erzeugen. Auf den ersten Blick fallen narrative Struktur und Dynamik der Comics gegenüber diesem künstlerischen Aufwand ab, es geht recht schleppend zu. Doch am Ende ist es genau die spezifische Harmonie zwischen den düsteren Bildern, der die Protagonisten voneinander isolierenden Topographie des Ortes und den Geschichten voller Rätsel und Melancholie, welche den Leser in den Bann schlägt: Weniger ist mehr; Stimmung vor Handlung.

Zwei Helden von der traurigen Gestalt

Renard setzt mittels Interaktivität und Intermedialität noch einen drauf. Nicht nur hat er Songs und einen Soundtrack für die Comic-Reihe komponiert und aufgenommen, welche die Stimmung der Bände treffen. Die instrumentalen Stücke funktionieren als Lesebegleitung, allerdings geht es anders als bei Filmen wegen der individuellen Lesegeschwindigkeit nicht perfekt auf. Man kann aber einfach mit dem Lesen innehalten und in die Bilder eintauchen. Auf der Homepage melvile.com kann man zudem per interaktiver Karte weiter in Ort und Handlung einsteigen.

Geschichten voller Rätsel und Melancholie: Eine Seite aus dem zweiten Band der Reihe.
Geschichten voller Rätsel und Melancholie: Eine Seite aus dem zweiten Band der Reihe.

© Splitter

An diesem Sonntag, dem 10. September, bringt Renard sein Werk beim Internationalen Literaturfestival Berlin auf die Bühne (15:15 Uhr, Haus der Berliner Festspiele, Schaperstr. 24, 10719 Berlin, 8/6 €).

Die Protagonisten der bisher erschienenen Bände, Samuel Beauclair und Saul Miller, sind beide Helden von der traurigen Gestalt, deren Traumata und Geheimnisse wir langsam entschlüsseln. Es sind vielleicht komplexere Charaktere als die Figuren aus dem anderen kanadischen Dorf-Comic, „Das Nest“ von Loisel/Tripp, aber es gibt durchaus Gemeinsamkeiten. Zwar liegt bei Letzterer der Fokus auf Alltagsgeschichten aus dem Quebec des frühen zwanzigsten Jahrhunderts, aber diese wirken genauso authentisch wie die Geschichten aus Melvile.

Romain Renard: Melvile Bd. 1: Die Geschichte von Samuel Beauclair und Bd. 2: Die Geschichte von Saul Miller, Splitter, 136/208 Seiten, 24,80/34,80 Euro

Veranstaltungshinweis: Romain Renard ist am 10. September beim Graphic Novel Day des Internationalen Literaturfestivals Berlin zu Gast. Hier das komplette Programm, weitere Informationen auf der Website der Veranstalter:

10.09., Haus der Berliner Festspiele (Schaperstraße 24, 10719 Berlin):
10:00 Uhr: Amruta Patil [Indien/F] behandelt in »Sauptik. Blood and Flowers« die Schönheit als Mittel des Widerstandes
11:00 Uhr: Burcu Türker [D] und Ahmed Mohammed Omer [Eritrea/D] präsentieren das Projekt »Alphabet des Ankommens«
12:00 Uhr: Javier de Isusi [E]: »Ich habe Wale gesehen« und Hamid Sulaiman [Syrien/F]: »Freedom Hospital«
13:00 Uhr: Berliac [Argentinien/D] und Inga Steinmetz [D] diskutieren den Manga als Weltsprache
14:00 Uhr: Buchpremiere: In »Wie ich versuchte, ein guter Mensch zu sein« schildert Ulli Lust [A/D] den Weg einer lebensgierigen Anarchistin im Wien der 90er Jahre
15:15 Uhr: Romain Renard [B] präsentiert sein multimediales Comic-Meisterwerk »Melvile«
16:30 Uhr: Buchpremiere: Nicolas Mahler [A] interpretiert Prousts Meisterwerk »Auf der Suche nach der verlorenen Zeit« neu

Ticket (gilt für alle Veranstaltungen dieses Tages): 8 Euro / ermäßigt 6 / Schüler 4, erhältlich hier.

Thomas Greven

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