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Die fabelhafte Welt der Marguerite: Eine Seite aus "Akissi".

© Gallimard

Marguerite Abouet: Schwarz, weiß, bunt

Die Autorin Marguerite Abouet wird oft auf ihre Comic-Seifenoper „Aya“ reduziert. Dabei gibt es von ihr viele weitere Erzählungen zu entdecken - hoffentlich bald auch auf Deutsch.

„Die wunderbare Welt der Marguerite Abouet“, so lautete der Titel der Ausstellung beim Internationalen Comic-Salon, der die Arbeit dieser Autorin würdigte - und der wohl nicht zufällig Assoziationen mit der „fabelhaften Welt der Amelie“ weckt. Zur Erinnerung: Enthusiastisch fiel vor fünfzehn Jahren die Kritik dieses Films aus, ob seiner Originalität, Verspieltheit und allgemeinen Frenchness; an manchen Stellen äußerte sich aber auch Unmut: Das inszenierte Paris sei zwar sehr hübsch und bunt; letzteres gelte aber nur in Bezug auf die Requisiten und nicht in Bezug auf die Bewohner. Die sind in dem Film nämlich alle ziemlich weiß.

Dieses Fass aufzumachen war sicher nicht das Ansinnen der Erlanger Ausstellung. Aber: Das Werk und  vor allem die Rezeption des Werkes Abouets vor dieser Folie zu betrachten lohnt sich. Während nämlich Amelies Welt sehr fabelhaft und dabei doch sehr ‚eintönig‘ ist, ist Marguerites Welt nicht nur wunderbar, sondern auch sehr bunt. Das haben sowohl die Werkschau auf der Erlanger Empore als auch die Begegnung mit der Autorin gezeigt, die sich mit dem Tagesspiegel zum Interview traf.

Im Fokus der Ausstellung steht natürlich die Serie „Aya“, die auf Deutsch bei Reprodukt veröffentlicht wurde: Sie präsentiert Coming of Age vor ivorischer Kulisse, hübsch in Bilder gebannt von Clement Oubrerie, der nicht nur hier ein breites Farbspektrum virtuos einzusetzen weiß. „Aya“ ist eine sechsbändige Seifenoper für tendenziell junge Leser (oder Erwachsene mit Hang zum Kindlichen); und das ist nicht negativ gemeint: Nicht nur die Titelheldin Aya und ihre zwei besten Freundinnen Adjoua und Bintou haben Träume, schwierige Familien und Liebeleien, sondern deren Geschwister auch, und die Freunde der Geschwister ebenfalls, ganz zu schweigen vom Chef von Ayas Vater und auch von seiner Mätresse.

Die Autorin möchte sich nicht auf eine oder zwei Hauptfiguren beschränken, wie sie im Interview erzählt: „Eine Liebesgeschichte zwischen zwei Personen könnte ich nie erzählen. Das langweilt mich. Aber wenn man den Ex-Partner hinzufügt, die Eltern, die nicht einverstanden sind, die Nachbarn, die sich einmischen... dann wird das Ganze interessant.“ Diese Vorliebe für opulente Ensembles hat sicherlich mit den ersten zwölf Lebensjahren zu tun, die sie in Yopougon, Schauplatz von „Aya“, verbracht hat. „Du kommst aus dem Bauch der Mutter und ab diesem Moment bist du nicht mehr alleine. Die Nachbarn gehen ein und aus. Meist findet das Leben aber draußen statt.“

Der Reiz der Seifenoper liegt darin, dass sie zwar leicht, aber nicht allzu süßlich daher kommt – es geht um die erste Liebe genauso wie um die ivorische Gesellschaft der Siebziger inklusive ihrer patriarchalen Strukturen, Homophobie und dem Geschäft mit dem (Aber-)Glauben. Immer wieder und auch in diesem Interview betont Abouet, dass es ihr darum gehe, ein differenziertes Bild von „ihrem Afrika“ zu zeichnen (was in der Rezeption ihres Werkes aber nicht überall angekommen ist).

Ayas kleine Schwester: ein "Akissi"-Cover.
Ayas kleine Schwester: ein "Akissi"-Cover.

© Gallimard

Diesem Anliegen bleibt sie auch in ihrer zweiten Serie „Akissi“ treu, von der einige Auszüge die Ausstellung bereicherten. Grafisch angelehnt an das Universum von Oubrerie, hat der Zeichner Mathieu Sapin ihr mit einem knalligeren cartoonesken Stil eine eigene Handschrift verliehen. Richtet sich „Aya“ an Jugendliche, ist „Akissi“ gewissermaßen Ayas kleine Schwester, das Pendant für Kinder.

Marguerite Abouet sieht die Figur der Akissi als ihr alter ego an: „Aya ist viel braver als ich jemals war“ betont sie im Gespräch, „Akissi, das bin ich.“ Bemerkenswert an „Akissi“ ist, dass weder die Hauptfigur noch das gesamte Werk brav sind. Die Kleine erkundet ihre Umgebung auf ansprechend anarchistische Art und Weise und leiht sich schon mal ungefragt das Nachbarbaby aus; die Geschichten sind trotz der angestrebten kindlichen Klientel nicht glattgebügelt, es gibt Säufer und Schläger.

Abouet zeigt, wie sehr sich dieses Aufwachsen von dem in der wohlsituierten Pariser Kernfamilie unterscheidet: „Wenn ein Kind in Abidjan auf der Straße Mist baut, kann es von allen gemaßregelt werden, nicht nur von den eigenen Eltern. Aber das Kind hat dort sein eigenes Leben. Es muss nicht steif mit am Tisch sitzen, wenn die Erwachsenen Besuch empfangen. Hier werden die Kinder eingesperrt und dann wundert man sich über Pubertätskrisen.“

Es stellt sich die Frage, warum diese unkonventionelle Serie bislang nicht das Interesse der deutschen Verlage geweckt hat – möglicherweise liegt es an eben jenen Randfiguren, die an das Elend manch menschlicher Existenz erinnern, die man den deutschen Kindern im harmlos-frechen Kinderbuchkosmos nicht zumuten will.

Schauplatz Paris. Eine Seite aus „Bienvenue“ .
Schauplatz Paris. Eine Seite aus „Bienvenue“ .

© Gallimard

Hier schließen sich eine weitere Frage und der Einblick in das dritte Werk an, das der Comic-Salon-Besucher in Auszügen bestaunen durfte. Die Frage: Warum ist die Serie namens „Bienvenue“, eine Kooperation der Autorin mit dem Zeichner Singeon, bislang nicht auf Deutsch erschienen? Warum wurde sie generell deutlich seltener übersetzt? Sie hat mit „Aya“ einiges gemeinsam: Im Mittelpunkt steht eine junge Kunststudentin, die sich in Paris mit Universität, Nebenjobs und allerlei exzentrischen Charakteren herumschlägt. Gemeinsame Nenner sind nicht nur die junge, weibliche Protagonistin in der Großstadt, sondern auch das Oberthema des Zusammenlebens von Kulturen, Religionen und Typen.

Wie bei „Aya“ resultieren aus diesen Begegnungen pointierte Episoden mit hohem Unterhaltungsfaktor, die zum binge-reading animieren. Der Unterschied: Das Setting ist nicht das Abidjan der Siebziger, sondern das multikulturelle Paris unserer Zeit, und Bienvenue ist weiß. „Une histoire parisienne“ nennt Abouet ihre letzte Arbeit und ist sich im Klaren, dass ihre Leser damit nach „Aya“ nicht gerechnet hätten. Sie erzählt von Signierstunden, in denen ihre Fans sie ungeduldig danach fragten, warum sie seit „Aya“ nichts Neues gemacht habe; als sie dann auf ein Exemplar von „Bienvenue“ direkt vor ihnen wies, reagierten sie verdutzt: „Das ist von Ihnen? Aber... die ist ja gar nicht schwarz.“

Möglicherweise spricht „Bienvenue“ die Oubrerie-Fans ästhetisch weniger an, und möglicherweise besticht die Exotik der Elfenbeinküste mehr als die des näher liegenden Paris. Jenseits dessen scheint aber auch folgende Erwartungshaltung verbreitet: Eine charismatische schwarze Autorin soll poppig-postkoloniale Geschichten in bunten Farben präsentieren. Und einfach dabei bleiben.

Literarisches Zeugnis der Kohabitationen: Ein „Bienvenue“-Cover.
Literarisches Zeugnis der Kohabitationen: Ein „Bienvenue“-Cover.

© Gallimard

Dabei ist das Setting von „Bienvenue“ nur konsequent: Paris ist die zweite Heimat der Autorin Abouet, ihr Pariser Alltag ist geprägt von vielen kulturellen Einflüssen – „Bienvenue“ ist ein literarisches Zeugnis dieser spannenden Kohabitationen.

Die Autorin äußert sich in diesem Zusammenhang dezidiert politisch. Frankreich sei, wie andere europäische Länder auch, nicht gefeit vor rechtspopulistischen Umtrieben: „Und Frankreich ist mein Land. Wenn es Frankreich schlecht geht, geht es mich etwas an. Hier wachsen alle möglichen Nationen zusammen auf, wie in der Klasse meines Sohnes. Und dann wird den Leuten Angst gemacht, sie suchen irgendwann die Schuld beim Anderen. Man muss deshalb andere Geschichten erzählen und zeigen, wie die Leute zusammen aufwachsen, wie es wirklich ist. Das Fernsehen ist oft nicht bereit das zu tun, ein Schwarzer in der Hauptsendezeit oder einer, der keinen Kriminellen spielt, ist immer noch die Ausnahme. Deshalb muss man weiterhin Geschichten vom Zusammenleben, von dieser Vielfalt erzählen. Die Menschen müssen neugierig bleiben, nicht ängstlich werden. In diesem Punkt bin ich militant.“

Sie weiß, dass sie mit „Aya“ einen Nerv getroffen hat: „Ich hatte unglaublich Glück. Ich bin ja jetzt auch nicht die einzige afrikanische Autorin. Aber zu der Zeit war Raum für genau solch eine Geschichte.“ Das leichte Bedauern der Autorin darüber, dass die Pariser Geschichte auf so viel weniger Interesse stößt als die ivorische ist deutlich spürbar.

Dabei wäre jetzt genau der richtige Zeitpunkt für dieses Werk einer Autorin, die viel über die Elfenbeinküste, aber ebenso viel über die pulsierende Metropole erzählen kann: Die fabelhafte Welt der Marguerite, schwarz, weiß, bunt und nuanciert. So schön wie die von Amelie, aber facettenreicher. In Frankreich soll aus „Bienvenue“ jetzt eine echte Seifenoper werden, mit richtigen Schauspielern. Möglicherweise ist das die Brücke zum deutschen Buchmarkt. Wünschenswert wäre es.

Von Marie Schröer

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