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Totalitäres Patriarchat: Eine Szene aus „Der Report der Magd“.

© Berlin-Verlag

Margaret Atwoods „Der Report der Magd“ als Comic: Rückkehr nach Gilead

Renée Naults Comic-Adaption von „Der Report der Magd“ verdichtet den dystopischen Klassiker und überzeugt durch eine stimmige künstlerische Umsetzung.

Es war wohl kein Zufall, dass Renée Naults Comicadaption des „Reports der Magd“ (Berlin-Verlag, 240 S., 25 €) in Deutschland kurz vor dem Erscheinen der langerwarteten Fortsetzung von Margaret Atwoods Klassiker herauskam Eingefleischte Fans konnten so die Wartezeit verkürzen und alle, die Atwoods Dystopie trotz der erfolgreichen TV-Serie der letzten Jahre nicht mehr ganz so präsent hatten, konnten ihre Erinnerung an den 1985 erschienenen Roman auffrischen.

Und Aufmerksamkeit für den vom Verlag als „literarisches Ereignis des Jahres“ angekündigten Roman „Die Zeuginnen“ wurde so ebenfalls noch einmal generiert, zumal beide Titel im Berlin-Verlag erscheinen. Doch man würde Renée Naults Adaption unrecht tun, wenn man sie und ihren Erfolg (das englischsprachige Original wurde schnell zum Bestseller) allein auf diesen Marketingeffekt reduzieren würde.

Die kanadische Zeichnerin Renée Nault hat den Roman sowohl textlich gestrafft als auch zeichnerisch umgesetzt. Laut Klappentext hat Margaret Atwood die Bearbeitung des Textes selbst übernommen, in Interviews hingegen berichtet Nault, sie habe das Skript für die Adaption selbst erstellt. Atwood sei in den Prozess zwar eingebunden gewesen, habe ihr aber im Wesentlichen freie Hand gelassen.

Wer von beiden für die Kürzung und Bearbeitung der Romanvorlage verantwortlich zeichnet, bleibt etwas unklar. Fest steht jedoch, dass sie ausgesprochen gut gelungen ist und mit der künstlerischen Umsetzung ein stimmiges Ganzes ergibt.

Zugänglich für Kenner der Vorlage und Neueinsteiger

Auf der Textebene präsentiert sich der Comic als Verdichtung des Originals. Leser, die den Roman kennen, werden alle Schlüsselszenen wiederfinden, aber auch Leser, die das Original nicht gelesen haben, können alle Hintergründe problemlos verstehen.

Rot gegen Grau: Eine Seite aus der Comicadaption von „Der Report der Magd“.
Rot gegen Grau: Eine Seite aus der Comicadaption von „Der Report der Magd“.

© Berlin-Verlag

Dieser Spagat gelingt nicht jeder Adaption einer literarischen Vorlage so selbstverständlich, zumal die Ereignisse, die zum Erstarken des totalitären Patriarchats in Gilead geführt haben, durchaus komplex sind. Die Vereinigten Staaten haben sich nach einer nuklearen Katastrophe und einem Putsch christlicher Fundamentalisten zu einer Gesellschaft entwickelt, in der Frauen erbarmungslos unterdrückt werden und nur dann etwas wert sind, wenn sie fruchtbar sind. Beruf, Freundschaften und eigener Besitz sind ihnen verboten.

Grautöne und leuchtende Farben

In einer Kombination aus Tuschezeichnungen und Aquarell, teils in Grautönen, teils in leuchtenden Farben, lässt Renée Nault ihre Version von Gilead entstehen. Auf den ersten Blick scheinen die frischen und zum Teil leuchtenden Farben nicht recht zur düsteren Atmosphäre der Erzählung zu passen. Dennoch gelingt es dem Comic eindrücklich, die bedrückende Stimmung, die wie Blei über Gilead zu liegen scheint, und die Angst der Frauen zu transportieren.

Das Titelbild des besprochenen Buches.
Das Titelbild des besprochenen Buches.

© Berlin-Verlag

Dies erreicht die Zeichnerin vor allem durch das geschickte Erzeugen von visuellen Parallelen. So kehrt das Bild der toten Mägde, die als öffentliche Mahnung in ihren bodenlangen Gewändern an einer Mauer aufgehängt wurden, nur wenige Seiten später wieder, wenn die Protagonistin die geschlossenen Blütenkelche hängender Glockenblumen betrachtet.

Genau wie Atwoods Roman, so löst auch Naults Comic ein Gefühl der Beklemmung aus, das den Leser über die gesamte Dauer der Lektüre begleitet und auch darüber hinaus noch nachwirkt.

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