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Sinnsucher: Eine Seite aus der „Der nutzlose Mann“.

© Reprodukt

Manga-Pionier Yoshiharu Tsuge: Der Wert des Menschen

Yoshiharu Tsuge behandelt in seinen Mangas grundlegende Fragen der menschlichen Existenz, jetzt ist ein zweiter Sammelband auf Deutsch erschienen.

Yoshiharu Tsuge gilt neben Osamu Tezuka als Gigant des modernen japanischen Comics, als Pionier literarisch-künstlerischer Manga. Tsuge ist allerdings außerhalb Japans weit weniger bekannt als Tezuka („Astroboy“, „Buddha“) oder auch Jiro Taniguchi.

Bislang wurden nur wenige seiner Werke übersetzt. Auf Deutsch erschien 2019 mit „Rote Blüten“ eine erste von Tsuges Comic-Kurzgeschichtensammlungen – und nun folgt mit dem Band „Der nutzlose Mann“ (Reprodukt, 416 S., 24 €) eine weitere.

Allein im Langeweilezimmer

Der nun auf Deutsch erschienene Band versammelt zwölf Kurzgeschichten, doppelt so viele wie in der französischen Ausgabe, die schon 2004 beim nicht mehr existenten Verlag Ego comme X vorlag. Die Erzählungen sind dem von Tsuge geprägte Genre des „Ich-Manga“ zuzurechnen und mutmaßlich autobiografisch angehaucht. Sie sind poetisch, still und gelegentlich mit einer Spur von magischem Realismus versetzt.

Steinsammler: Eine Seite aus „Der nutzlose Mann“.
Steinsammler: Eine Seite aus „Der nutzlose Mann“.

© Reprodukt

Der Protagonist der Erzählungen ist Mangazeichner, der seinem Beruf hadernd den Rücken kehrt und sich recht erfolglos anderen Tätigkeiten widmet: dem Verkauf von Steinen oder alten Kameras etwa. Er schafft es auf diese Weise nicht, seine Frau und seinen kleinen Sohn ausreichend zu versorgen.

Oder aber er versucht, sich zu entziehen und scheitert dabei: In der Geschichte, „Das Langeweilezimmer“ mietet sich er sich etwa ein Zimmer an, einfach nur, um dort zu sein. Als seine Frau das herausbekommt, beginnt sie, das Zimmer herzurichten, damit er es als Arbeitszimmer oder Rückzugsort nutzen könne, und bringt schließlich sogar seine Mutter mit.

In allen Geschichten geht es im Grunde darum, was ein Mensch wert ist, wenn er der Gesellschaft nicht nützlich ist oder konkret: nicht genug Geld verdient, um seine Familie zu versorgen.

Tsuges Figuren scheinen sich nach einer Art Verflüchtigung zu sehnen, fortfliegen zu wollen wie der vagabundierende „Herr der Vögel“, der sich schattengleich in den Freitod stürzt – doch wenn der Protagonist ihm das gleichtun will, taucht sein kleiner Sohn auf, um ihn abzuholen. Eine Erinnerung an die Pflichten, aber auch an ein Band der Liebe, das filigran sein mag, aber hält.

„Sein, ohne zu sein“

Tsuge transportiert diese Sehnsucht nach Verflüchtigung in seinen Zeichnungen, wenn sich Konturen in körnigen Dunst oder tuschegestrichelte Strukturen auflösen, wie das ganz besonders schön in der letzten Geschichte „Die Verflüchtigung“ der Fall ist. „Sein, ohne zu sein“, so formuliert es eine Figur: sich der Gesellschaft entziehen.

Das Titelbild des besprochenen Bandes.
Das Titelbild des besprochenen Bandes.

© Reprodukt

Die Geschichten in „Der nutzlose Mann“ sind zugänglicher, weniger verstörend als einige aus dem Band „Rote Blüten“ – das allerdings spektakulärer gestaltete Seiten zu bieten hat. Doch hier passen Tsuges schwarzweiße Zeichnungen mit den fein ausgearbeiteten Hintergründen und den ausbalancierten Kontrasten gut zum innensichtigen Inhalt der Geschichten.

Tsuge hat „Der nutzlose Mann“ 1987 veröffentlicht, als sein letztes größeres Werk, bevor er sich aus dem öffentlichen Leben zurückzog.

„Wo ist Yoshiharu Tsuge?“ ist denn auch das Nachwort des Historikers, Comickritikers und bekennenden Tsuge-Fans Ryan Holmberg betitelt, das der deutschen Ausgabe beigefügt ist. Auf diese Frage hat Holmberg zwar keine Antwort, aufschlussreich ist sein Nachwort trotzdem.

Und zumindest im Januar 2020 war klar: Yoshiharu Tsuge ist in Angoulême. Der 83Jahre alte Künstler nahm dort auf dem Comicfestival einen Ehren-Fauve für sein Lebenswerk entgegen und wurde mit einer Ausstellung bedacht.

Barbara Buchholz

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